Street-Art-Ausstellung: Jim Avignon zeigt neue Bilder in Friedrichshain
Die Urban Spree Galerie präsentiert eine Einzelausstellung des Berliner Künstlers Jim Avignon. Im Fokus: Die Veränderungen durch das Internet.
Gestrandet in Frankreich: Auto kaputt, Geld alle und ziemlich verzweifelt. Ihm blieb die Faszination für die Bilder von Salvador Dalí – und die war übermächtig. Ein Motiv nach dem anderen malte der junge Deutsche auf Plätze und Straßen der Provence-Stadt Avignon. Und siehe da: Nach drei Wochen hatten ihm Passanten genug Münzen hingeworfen, damit er seine Karre reparieren lassen konnte. So prägend war diese Erfahrung, dass sich der damals 21-Jährige fortan Jim Avignon nannte, zurück nach Deutschland fuhr und einfach weitermachte. Mit Kunst ließ sich Geld verdienen, genug um davon zu leben. Ideen hatte er genug.
30 Jahre später sitzt Avignon beim Malen immer noch gerne auf dem Fußboden, für gewöhnlich in seiner Wohnung am Südstern in Kreuzberg. Ein Atelier hat er nicht, braucht er nicht. „Ich arbeite am liebsten unter Menschen“, sagt er. Er freut sich über Kommentare der siebenjährigen Tochter, die ein wenig aufpassen muss, wohin sie tritt in den Zimmern. Auch im Zug oder im Flugzeug zieht er seine Pappen hervor, die Reisetuben mit Acrylfarbe. Bewegung regt ihn an, bringt die Gedanken zum Tanzen. Ist eine Idee im Skizzenheft herangereift, fliegt der Pinsel flink über das Papier – fertig. Avignon gilt als hochproduktiver Schnellmaler.
Großes Wandbild zur neuen Ausstellung
An einem Nachmittag im Juni steht der Mann mit Hut, Farbeimer und Pinseln auf einem Gerüst an der Außenwand der Urban Spree Galerie in Friedrichshain. Deren Macher schwärmt von der Werbewirkung dieser Fläche, die zu jeder Schau neu bemalt wird. Wer von der Warschauer Brücke in den Kiez läuft und den Kopf nach rechts dreht, kann die bunte Wand sehen. Der Menschenstrom auf der Brücke reißt kaum ab. Jedes Jahr wetteifern Künstler deshalb, wer sein Wandmotiv über die Winterpause retten kann und am längsten damit zu sehen ist. Dafür ist Jim Avignon zu früh dran mit seiner Ausstellung, die am 30. Juni beginnt. Er lacht entspannt darüber, als er bei Regen eine Pause einlegt. Einen knappen Kilometer weiter südlich ist öffentlich ein großes Bild von ihm zu sehen, das täglich und zu jeder Jahreszeit gesehen und fotografiert wird: Am Mauerstreifen der East Side Gallery.
"Ein Update" für die East Side
Um Avignons Platz an der Mauer hatte es vor vier Jahren großen Ärger gegeben. Seine freudig tanzenden Figuren von 1990 übermalte der Künstler in einer Spontanaktion mit einem neuen, weniger euphorischen Bild Berlins. „Ein Update“ sagt er dazu. Andere Mauermaler reagierten schockiert, wohl aus Angst um den Denkmalstatus ihrer Werke. Inzwischen hat die East Side Gallery das neue Motiv mit einer kleinen Anmerkung in ihren Katalog aufgenommen: „Hat sein Bild 2013 übermalt“ steht dort neben seinem Namen. Eine „windige Sache“ sei die Galerie von Anfang an gewesen, sagt Avignon. Praktisch „jeder, der einen Pinsel halten konnte“, durfte im Freudentaumel nach dem Mauerfall die Open-Air-Galerie mitgestalten. Nur die Vermarktungsrechte mussten sofort abgetreten werden.
Sich ein Denkmal zu schaffen ist Jim Avignons Sache nicht. Sein Name war in den 90er Jahren zu einer Marke geworden, nachdem er Techno-Clubs in seinem cartoonigen Stil bemalt hatte. Um die Jahrtausendwende fühlte er sich als Szenedinosaurier. Viele Künstler, die damals mit ihm in Berlin bekannt geworden wären, hätten fast nur noch ans Geldverdienen gedacht. 2005 zog es ihn nach New York. Sieben Jahre blieb er dort, fasste als Künstler Fuß. Doch 2012 brachte Avignon ein Streit mit der US-amerikanischen Einwanderungsbehörde zurück in die deutsche Hauptstadt – sein Visum war nicht verlängert worden.
Die Zugezogenen halten Berlin kreativ
Berlin sei in den Jahren seiner Abwesenheit eine andere Stadt geworden, sagt er heute. Der Zustrom junger Kreativer aus aller Welt aber halte den Anspruch der Stadt lebendig. Seine neue Ausstellung „Permanent Jetlag“ brachte Avignon auch deshalb an den relativ neuen Standort auf dem RAW-Gelände. Sein Thema darin ist das Internet. Auf dem Titelbild quellen einem Mann Hochhäuser aus dem Kopf. Er fasst sich müde an die Stirn. Es sei „permanent anstrengend“, sagt Avignon, diesem niemals ruhenden Medium gerecht zu werden. Es verlangt nach einer Präsenz in allen Zeitzonen. Instagram, zum Beispiel, sei geradezu „wie eine Tsunami-Welle“ voller guter Leute, deren Kunst gesehen werden will.
Gleichzeitig wird die Freiheit des Einzelnen durch den technischen Fortschritt neu verhandelt, weshalb Avignon das berühmte französische Revolutions-Gemälde von Eugène Delacroix neu interpretiert hat. Was macht das Netz mit uns? Jim Avignon stellt diese Frage auf ungefähr 50 teils großformatigen Bildern und Installationen. Die Farben an den letzten Werken dürften noch feucht sein, wenn die Schau an diesem Freitagabend beginnt.
- Jim Avignon, „Permanent Jetlag“. Urban Spree Galerie, Revaler Straße 99. Eröffnung 30. Juni, 19 Uhr. Bis 23. Juli. Di-Sa, 12- 19 Uhr. Der Eintritt ist frei. Vom 5. bis 8. Juli findet ein Musikfestival in der Ausstellung statt.
Henning Onken