Berliner Musikszene: Jetzt wird wieder gejazzt
Der Musikclub B-flat ist umgezogen – weil die Miete zu teuer wurde. Und auch sonst tut sich einiges in der Szene – von Charlottenburg bis Neukölln.
Zum Schluss sangen alle „Bye-Bye B-flat“ – und so mancher im Publikum verdrückte dabei eine Träne in Erinnerung an die vielen aufregenden Momente bei Konzerten im legendären Jazzclub in der Rosenthaler Straße. An einem Sonntag Mitte Juni hat der Jazzclub „B-flat“ nach 20 Jahren sein einzigartiges Domizil aufgeben müssen.
Jenen offenen Raum im Erdgeschoss mit den schallschluckenden Holzplatten an den hohen Wänden – und den großen Schaufenstern, durch die man draußen die Straßenbahn vorbeirollen sah, während auf der Bühne direkt davor lokale Szenegrößen oder internationale Stars wie der Pianist Brad Mehldau spontan Musik erfanden. Doch vor ein paar Jahren wurde das Gebäude verkauft. „Da ist die Miete um 100 Prozent gestiegen“, sagt Jannis Zotos, der das B-flat mit seinem Bruder Thanasis seit Mitte der 90er Jahre betreibt. Jetzt hätten sie noch mal 60 Prozent mehr gewollt. „Ich weiß gar nicht, wie die Schuhläden hier die Mieten zahlen.“
Als er 1993 in die Rosenthaler Straße kam, erinnert sich Zotos, sei die Gegend im Aufbruch gewesen: „Hier war unglaublich was los, alle Künstler und Musiker waren hier.“ Er selbst hatte sein Studium an der Hochschule Hanns Eisler gerade abgeschlossen und eröffnete mit seinem Bruder ein erfolgreiches Restaurant – und als im Nebenhaus ein Raum frei wurde, den Musikclub B-flat: „Weil wir ja selber Musiker sind.“ Der neue Club im Ostteil der Stadt zog die aufblühende Jazzszene an – und wurde dabei zum internationalen Schaufenster für die „arm, aber sexy“-Stadt. „Das war das Besondere am B-flat“, sagt Saxophonist Gebhard Ullmann, der damals in der Nähe wohnte. „Da, wo die Touristen sind, war auch die Kultur. Das ist in Amsterdam immer noch so. Irgendwie können die sich das leisten.“ Das Berliner B-flat musste dagegen weichen – wenn auch nur um die Ecke, in die günstigere Dircksenstraße 40. Dafür geht es nun in den Keller.
Zwischen Couchtischen und Stehlampen
Ganz anders in Friedenau: Hier wurde im vergangenen Jahr mit dem „ZigZag“ ein Jazzclub eröffnet. Nah am S-Bahn-Ring am Innsbrucker Platz gelegen, direkt an der Hauptstraße. Doch durch die Glastür im Erdgeschoss eines 60er-Jahre-Blocks betritt man die Atmosphäre eines Wohnzimmers. Auf gut erhaltenen 50er-Jahre-Sofas mit passenden Couchtischen und Stehlampen tummelt sich ein bunt gemischtes Publikum. „Wir haben vielleicht nicht so einen großen Kunden-Pool wie die Clubs in Mitte mit all den Touristen“, sagt Dimitris Christides, der mit Willi Hunz den Club leitet. Die meisten Besucher kämen aus den Altbau-Straßenzügen im Kiez, und die seien kulturengagiert. „Ein Publikum, das nicht einfach kommt, um eine Show zu konsumieren und das dann weiterzieht“, sagt Christides. „Eigentlich perfekte Bedingungen.“ Auch die Altersstruktur sei gemischt, mit vielen jungen Leuten darunter, „die einen Eintritt von 20 Euro nicht zahlen können“. Deshalb wird ein Teil der Konzerte auf Spendenbasis veranstaltet: In den Konzertpausen wird um einen Beitrag der Zuhörer gebeten. „Und im Moment bieten wir teilweise bessere Gagen als die anderen Clubs in Berlin“, sagt Christides. Manchmal werde auch für Konzerte im ZigZag ein fester Eintrittspreis verlangt, ansonsten gilt: „Die Spende geht immer an die Band.“ Und natürlich zahle er Gema-Gebühren – wie jeder andere Club.
Genau das wird immer wieder angezweifelt, wie auch die korrekte Abrechnung von Steuern und Sozialbeiträgen für die Musiker, die eigentlich von einer vereinbarten Gage abhängen. Erst im Mai hatte Klaus Spiesberger vom Quasimodo in einem Facebook-Brandbrief das vermeintliche „Eintritt frei – System“ beklagt, womit Steuern und Gebühren umgangen würden. „Ich habe kein Problem mit Konkurrenz“, sagt Spiesberger. „Aber ich habe was gegen eine Konkurrenz, die Einnahmen als Spende deklariert und damit die Abgaben-Pflicht umgeht.“ Er selbst rechne diese Kosten in die Ticketpreise ein. „Vom Berliner Jazz haben wir uns deshalb verabschiedet“, sagt Spiesberger. Diese Konzerte erreichen ihr Publikum in den kleineren Clubs; sein Livemusikkeller mit der angemessen druckvollen Verstärkeranlage und Platz für 350 Gäste ist nun die Heimat für Blues- und Funk.
Auch im „Sowieso“ werden Abgaben an die Gema gezahlt, allerdings erst seit dem vergangenen Jahr, wie Marc van der Kemp zugibt. Er ist bildender Künstler und der Initiator des Avantgarde-Clubs in der Neuköllner Weisestraße: Als die Wohnstraße zwischen Rollberg-Kiez und Schillerpromenade Anfang des vergangenen Jahrhunderts gebaut wurde, war der gekachelte Raum im Erdgeschoss eine Metzgerei. Nun stehen Tische und Sessel bereit, ein Nebenraum ist blau mit Teppich ausgeschlagen. Eine Glühbirne beleuchtet die wohnliche Bühne. Seit 2008 finden in dem Laden mit Berliner Zwischennutzungs-Charme mittwochs bis samstags Konzerte statt, bei denen „komplett frei improvisiert wird“, sagt van der Kemp. „Ich bin davon ausgegangen, dass das nichts mit Urheberrecht und geschützten Stücken zu tun hat.“ Das sieht die Gema anders und verlangt nun 20 000 Euro Nachzahlungen von dem Kunstverein, der für seine Konzerte einen Eintrittspreis zwischen 6 und 16 Euro vorschlägt. „Jeder Gast kann zahlen, was er kann und will, die Musiker bekommen davon 80 Prozent.“ Oft kommen aber nur acht bis zehn Gäste, dann macht auch das Sowieso Verlust. Dabei hat der Konzertort längst auch außerhalb Berlins einen guten Ruf,. „Was hier abgeht ist ja eine Nische in der Nische“, sagt van der Kemp. „Mich interessiert das Experiment: der Mensch, der versucht, etwas entstehen zu lassen. Nicht so sehr das Entertainment, wo man schon vorher weiß, was kommt.“
Auftritt auf Spendenbasis
Und warum lassen sich die Jazzmusiker überhaupt darauf ein, auf Spendenbasis aufzutreten, immer abhängig von der Gunst des Publikums und von der Gefahr bedroht, dass Steuern und Sozialabgaben bei der Barauszahlung vergessen werden? „Das liegt nur an der Attraktivität von Berlin“, sagt der Saxofonist Uli Kempendorff. „In New York verdienen die Musiker auch nichts und spielen trotzdem in der ,55 Bar‘, damit sie mal wieder in New York gespielt haben.“ Und Nikolaus Neuser, Trompeter und im Vorstand der IG Jazz, ergänzt: „Vieles an Musik kann nur in einer Metropole wie Berlin, in entökonomisierten Räumen, entstehen.“ Diese Kultur brauche Räume, in denen was passiert, Experimentierfelder. „Wenn es aber solche Räume in der Innenstadt nicht mehr gibt, dann spielen die Musiker für sich alleine.“ Deshalb engagiert sich die IG Jazz in der Koalition der freien Szene für eine nachhaltige Förderung solcher Spielstätten. Ein Engagement, das ebenso Kraft braucht, wie das spontane Musizieren, gibt Neuser zu: „Es ist ja klar: was wir machen, wirkt nicht unmittelbar. Aber es macht die Attraktivität einer Stadt wie Berlin aus.“
In Berlin Mitte hat Jannis Zotos seinen Umzug nun überstanden. Nur acht Geh-Minuten vom alten B-flat entfernt hat er eine neue Adresse gefunden. „Die Gegend ist viel mehr Kiez, es gibt hier Restaurants, Cafés, kleine Kneipen“, sagt er. Nur die legendären Schaufensterscheiben wird es im neuen „B-flat“ nicht mehr geben. „Es ist ein Kellergewölbe. Hier war vorher ein Soul-Club, das Cox Orange, später hieß es Bohannon“, sagt Zotos. Drei Wochen lang haben sie nun renoviert und umgebaut. Am Freitagabend stieg er mit seinem Bruder und der gemeinsamen Rembetiko-Band „Asia Minor Music“ auf die neue Bühne. Nun ist das B-flat wieder da, mit seinem bewährten Programm. Sonntag kommen Aki Takase und Alexander von Schlippenbach, um den Flügel einzuweihen, Mittwoch darauf ist wieder „Robins Nest“ – die Jam-Session – angesagt. Nur die legendären beschlagenen Fensterscheiben auf der Rosenthaler Straße gibt es nun nicht mehr.
Tobias Richtsteig
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