Frühlingserwachen in Berlin: "Jetzt haben die Bäume ihre Chance"
Naturkenner Derk Ehlert spricht im Interview über den Konkurrenzkampf im Wald, das Ende der Winterstarre und die Folgen von Sturmtief "Xavier".
Seit den Bestsellern des Försters Peter Wohlleben wissen die meisten, dass die Bäume im Wald nicht einfach herumstehen, sondern eine Gesellschaft bilden, die lebt und kommuniziert. Worüber reden die Berliner Bäume in diesen Frühlingstagen?
Zum Beispiel über die Konkurrenz, die gnadenlos ist. Manche Bäume gasen ständig aus, um Konkurrenten zu vertreiben. Was wir als Kiefernduft wahrnehmen, soll Birken fernhalten, die dieselben Standorte mögen. Das Gas aus den Kiefern greift die Schutzschicht von Birkenblättern an. Dadurch können sich Krankheitserreger dort ablagern. Aber wenn die Birke größer ist, hat die Kiefer keine Chance mehr. Außerdem reden die Bäume natürlich über die Bodenfeuchte. Und über ihre Wurzeln und die der Nachbarn. Viele Bäume halten sich an ihren Wurzeln Pilze und Bakterien, ohne die sie gar keine Nährstoffe aufnehmen könnten.
Bakterien als Haustiere der Bäume?
Ja, Millionen davon, das ist ein Riesenzoo, gerade bei Buchen, Eichen und Kiefern. Es gibt auch Tricks, mit denen sie versuchen, etwas vom Nachbarn abzubekommen. Die Wurzelspitzen sind das ganze Jahr über auf Wanderschaft auf der Suche nach Nährstoffen. Millimeterweise, aber pausenlos. Und die Pilze und Bakterien wandern mit.
Wie geht es der Waldgesellschaft aktuell?
Sie leidet noch etwas nach der Trockenheit der vergangenen beiden Frühjahre. Bäume sind nachtragend – und treiben deshalb vielleicht jetzt nicht ganz so üppig. Sonst sieht es gut aus: Seit dem Regensommer 2017 sind die Speicher voll. Die kleinen Stecklinge, die auch von Förstern gepflanzt werden, haben ihren Nährstoffvorrat für ein, zwei Jahre ohnehin an Bord. Erst danach brauchen sie die Symbiose. Davon abgesehen erleben wir dank "Xavier" gerade in etwa 46 000 Fällen, was passiert, wenn ein Sturm alte Exemplare gefällt hat. Da gelangt Licht an Stellen, an denen die Nachkommen jahrzehntelang im Halbdunkel gewartet haben. Jetzt haben sie ihre Chance und legen los.
Es scheint überhaupt wie ein Wunder, wie in der Wärme binnen weniger Tage an jedem Baum Hunderttausende Blätter sprießen. Wie funktioniert das?
Die Jahresringe an den Bäumen kommen dadurch zustande, dass im Frühjahr in enormer Geschwindigkeit Chlorophyll aus Wurzeln und Ästen in die Knospen gebracht wird. Das ist der grüne Farbstoff, der den Bäumen ermöglicht, Photosynthese zu betreiben. Dieser Stoff ist so wertvoll, dass er im Herbst zurückgeholt und fürs nächste Jahr eingelagert wird.
Daher die bunte Laubfärbung im Herbst?
Was wir im Herbst sehen, ist eigentlich nur der Abfall. Also das, was übrigbleibt, wenn der grüne Farbstoff herausgezogen wurde. Deshalb werden auch Blätter gelb, wenn sie welken. Das Gelb war schon vorher da, aber wurde vom Grün dominiert. Und im Boden warten schon Bakterien und Pilze auf diese Abfälle. Die bilden Humus, der dann wieder die Basis für den Nährstofftransport nach oben bildet. Ein genialer Kreislauf. Blutbuchen vertragen übrigens das UV-Licht nicht so gut. Jetzt werden auch ihre Blätter grün, aber bald legen sie eine rote Schutzschicht darüber.
Welche Waldbewohner haben aktuell die interessantesten Dinge zu erzählen? Sollten wir als Besucher besser nach oben horchen oder nach unten?
Es ist überall so interessant, dass man kaum vorankommt. Sämtliche Insekten sind aus der Winterstarre erwacht und krabbeln, flattern, summen. Und wenn man ganz leise ist, hört man nicht nur die Zapfen knacken, sondern auch die Schuppen von den Knospen aufgehen. Aber dazu muss man das Vogelgezwitscher ausblenden. Ganz toll sind auch die Buschwindröschen, die am Tegeler Forst und im Botanischen Garten bald aufblühen. Die haben kaum sechs Wochen Zeit, um zu blühen, zu samen und sich wieder in den Boden zurückzuziehen. Dann ist es ihnen unterm Blätterdach der Buchen zu dunkel.
Wenn die Berliner Bäume einen Wunsch frei hätten: Welcher wäre das wohl?
Genug Feuchtigkeit im Sommer, damit ihnen die Nährstoffe nicht knapp werden. Für die Bäume ist der 24. Juni sozusagen der Stichtag: Wenn ab Johanni die Tage wieder kürzer werden, bereiten sie sich auf 2019 vor. Sie bilden Holz, füllen die Speicher, legen die Knospen fürs nächste Jahr an. Dafür brauchen sie viel Wasser. Kiefern sieht man noch nach Jahrzehnten an, ob es ein gutes Jahr war: Je länger die jeweiligen Triebe, desto besser.
Das Gespräch führte Stefan Jacobs.
Derk Ehlert, 50, ist Gärtner, Landschaftsplaner und leidenschaftlicher Hobby-Biologe. 2017 wurde der Naturexperte bei der Senatsumweltverwaltung mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.