Vor dem Suizid beschützen: Jedes Jahr nehmen sich 600 Jugendliche das Leben
In der Öffentlichkeit werden sie gezielt verschwiegen, wegen des Nachahmereffekts. Aber zum Weltsuizidtag am 10. September sollen alle gewarnt sein - und bitte sensibel, appelliert die Telefonseelsorge.
Die Zahlen sind erschreckend. Selbsttötung ist in Deutschland nach Verkehrsunfällen die zweithäufigste Todesursache junger Menschen zwischen 15 und 20 Jahren. In den vergangenen zehn Jahren nahmen sich nach Angaben der Telefonseelsorge Berlin jedes Jahr in Deutschland mehr als 600 Jugendliche das Leben. Allein in Berlin gab es nach Auskunft der Beratungsstelle „Neuhland“ zum Beispiel 2011 insgesamt 353 Suizidtote, davon waren 20 Menschen unter 25 Jahre jung. In ganz Deutschland waren es 10 000 Selbsttötungen. Die Menschen setzten ihrem Leben wegen Liebeskummers oder nach Missbrauch ein Ende – rational geplant oder als Verzweiflungstat. Sie wussten keinen Ausweg mehr, weil sie in der Schule wegen ihres Aussehens gemobbt wurden oder nachdem sie sich in Mitschüler desselben Geschlechts verliebten. Manche Opfer nahmen Drogen, hatten Depressionen, flüchteten sich in Internetchats, ins virtuelle Dasein.
Es machen rund drei Mal mehr Jungen Schluss als Mädchen. Junge Männer fressen eher alles in sich hinein und ziehen die Selbsttötung dann durch. Junge Frauen schneiden sich eher derart oder nehmen nur so viele Tabletten, dass man sie noch findet. Ein Hilfeschrei. Mädchen mit Migrationshintergrund aber flüchten, so die Fachleute, radikaler in den Tod. Die Zahl der Suizidversuche liegt um zehn bis zwanzig Mal so hoch wie die der tatsächlichen Todesfälle. Weltweit nehmen sich jedes Jahr eine Million Menschen das Leben – mehr, als durch alle Kriege zusammen sterben.
Immer, wenn ein spektakulärer Suizid Schlagzeilen macht wie 2009, als sich Nationalfußballtorwart Robert Enke vor einen Zug warf, schnellen die Zahlen in die Höhe. Wegen dieses Nachahmereffekts machen Sicherheitsbehörden, Verkehrsbetriebe und die Medien Selbsttötungen in der Regel nicht öffentlich.
Anlässlich des Weltsuizidtages am 10. September appelliert die Telefonseelsorge, sensibel zu sein. Alarmiert sollten Freunde, Verwandte, Lehrer, Mitschüler etwa sein, wenn eine Person ihr Verhalten drastisch ändert, man möge den Menschen ansprechen. Die Beratungsstelle „Neuhland“ lädt am 10. September zu einem Tag der offenen Tür von 10 bis 13 Uhr. Um 11 Uhr gibt es die Infoveranstaltung „Hilfe! Was ist los mit meinem Kind?“, eine Anmeldung ist nicht nötig. Neuhland ist am Nikolsburger Platz 6 in Wilmersdorf, Telefon 8730111. Die Telefonseelsorge, die sich dieses Jahr besonders dem Thema „Jugend perspektivlos?“ widmet, ist gebührenfrei rund um die Uhr unter 0800 111 0 111 zu erreichen. Mails kann man senden an mail@telefonseelsorge-berlin.de, die Neuhlandberater findet man unter www.neuhland.net.