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Ramona Pop
© Doris Spiekermann-Klaas

Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop: „Jede Frau kennt die Angst im Dunkeln“

Im Interview fordert Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop ein strengeres Sexualstrafrecht. Außerdem spricht sie über das Flüchtlingsdorf in Tempelhof und die CDU im Schlafwagen.

Frau Pop, sind Sie schon einmal Opfer sexueller Gewalt gewesen?

Fast jede Frau kennt sexistische, anzügliche Sprüche oder Blicke, die an der Grenzen zur sexuellen Belästigung sind.

Nach den Gewaltexzessen in mehreren Städten haben Sie darauf hingewiesen, man dürfe nicht verschweigen, dass die Mehrheit der Täter einen Migrationshintergrund hat. Muss das Asyl- und Sexualstrafrecht verschärft werden?

Nicht das Asylrecht, sondern das Sexualstrafrecht muss verschärft werden. Es gibt kaum Verurteilungen wegen sexueller Nötigung, da diese eine so genannte Ermessenssache ist. Anders gesagt: Fürs Schwarzfahren kommt man eher ins Gefängnis als für die Belästigung von Frauen. Ich möchte, dass die Sicht der Opfer im Gesetz deutlicher gemacht wird.

Und wenn die Täter nachweislich Asylbewerber sind?

Ein verurteilter Straftäter kann jetzt schon abgeschoben werden. Aber wenn es wegen des Sexualstrafrechts noch nicht einmal zu Verurteilungen kommt, greift das nicht. Mehr Abschiebungen zu fordern ist hier ein reiner Reflex.

Innensenator Frank Henkel fordert, Videoaufnahmen aus dem öffentlichen Nahverkehr länger als 48 Stunden zu speichern.

Das ist ein typischer Reflex. Auch eine längere Speicherung kann Gewaltexzesse nicht verhindern. Wir stehen einer Ausweitung der Videoüberwachung kritisch gegenüber. Wir sehen Ermittlungserfolge, aber es stärkt nicht das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum. Das geht nur mit einer deutlichen Präsenz der Polizei und indem man Angsträume umgestaltet, etwa durch mehr Licht.

Gibt es in Berlin No-go-Areas für Frauen?

Ich glaube, dass jede Frau dieses ungute Gefühl kennt, bei Dunkelheit allein auf der Straße zu sein. Da geht man die Wegstrecke schon mehrfach gedanklich durch, ob man nicht doch noch eine hellere Straßenalternative hat oder eine bestimmte U-Bahn-Station meidet. Das Sicherheitsgefühl von Frauen in der Öffentlichkeit war bislang kein Thema in der Innenpolitik. Wir müssen diskutieren, weshalb Angsträume entstehen, und wie wir diese beseitigen. Das dramatische an Köln ist: Das hat an belebten Orten und unter den Augen der Polizei stattgefunden. Ich bin mir sicher, die Berliner Polizei hätte das besser im Griff gehabt.

Immer mehr Frauen fühlen sich unsicher auf den Straßen und kaufen Pfefferspray. In Düsseldorf hat sich eine Bürgerwehr gegründet. Ist das nachvollziehbar?

Bürgerwehren haben in Deutschland nichts zu suchen. Wir haben eine Polizei, die gut arbeitet und ausgebildet ist. Sie ist für die öffentliche Sicherheit zuständig.

Sie fordern eine „neue Kultur des Respekts“. Glauben Sie, dass junge Flüchtlinge in Integrationskursen lernen, dass wir Frauen keine Sexobjekte sind und eine westliche Lebensart führen?

Es darf nicht allein um die Unterbringung von Flüchtlingen gehen, sondern um echte Integration. In vielen Herkunftsländern herrschen patriarchale Struktur vor, keine Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Deutschland steht für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung. Das müssen wir begreiflich machen.

Soll die Polizei die Nationalität der Täter von sexueller Gewalt nennen?

Die Berliner Polizei will dies nun veröffentlichen, nachdem sie das bislang aus Gründen des Opferschutzes vermieden hatte. Ich wäre damit vorsichtig. Wem ist damit gedient?

Berlin hat inzwischen 80 000 Flüchtlinge aufgenommen. Michael Müller sagte, man müsse schneller leere Hallen oder Gewerbeflächen beschlagnahmen. Ist das richtig?

Wir Grünen haben das bereits gefordert und einen Gesetzesentwurf eingebracht, der zurzeit in den Ausschüssen schlummert und noch nicht behandelt wurde. Wir wollen eine befristete Regelung, die zudem eine Entschädigung der Eigentümer zur ortsüblichen Miete vorsieht.

Bis zu 7000 Menschen sollen auf dem Tempelhofer Feld untergebracht werden. Die SPD will die Änderung des Gesetzes noch im Januar verabschieden. Die CDU will darüber beraten. Was meinen Sie?

Der Regierende ist damit gestartet und im Nirgendwo gelandet. Wieso ist eine Gesetzesänderung überhaupt nötig? Und macht es Sinn, dass noch mehr Flüchtlinge dort untergebracht werden? Ich halte ein abgeschlossenes Flüchtlingsdorf mitten in Berlin für falsch. Wir müssen auf dezentrale Unterbringungen setzen und die Bürger einbeziehen.

Ist Flüchtlingspolitik Wahlkampfthema?

Flüchtlingspolitik beschäftigt uns alle, eignet sich aber nicht als Wahlkampfthema. Wir tragen gemeinsam Verantwortung, den Menschen zu helfen, die vor Krieg und Verfolgung geflüchtet sind - und wir müssen diese auch integrieren. Das wird eine enorme Aufgabe, die SPD und CDU noch gar nicht im Blick haben.

Würden Sie mit AfD-Mitgliedern darüber diskutieren?

Die AfD ist bislang in Berlin so gut wie gar nicht in Erscheinung getreten. Ich glaube aber, dass demokratische Parteien sich nicht vor der Auseinandersetzung scheuen sollten. Die Argumente sind auf unserer Seite.

Was sind die grünen Wahlkampfthemen?

Berlin muss wieder funktionieren! Wir haben eine Verwaltungskrise, die Rot-Rot und Rot-Schwarz zu verantworten haben. Berlin ist Schlusslicht bei der energetischen Modernisierung, wir müssen bezahlbare Wohnungen schaffen und die Infrastruktur wieder auf Vordermann bringen. Darum wollen wir Grüne mehr investieren. Wir brauchen funktionierende Kitas, Schulen, Radwege, Straßen und einen guten öffentlichen Nahverkehr.

Wie wollen Sie die Verwaltung auf Vordermann bringen? Innensenator Henkel will ein Muster-Bürgeramt bei der Hauptverwaltung aufbauen. Unterstützen Sie das?

Ich kann das ständige Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bezirken und Senat nicht mehr hören. Wir brauchen eine Debatte über die Aufgabenverteilung statt einer Konkurrenz zwischen Senat und Bezirke. Dazu gehört auch ein Personalentwicklungsplan. Unter Rot-Rot wurde ein drastischer Personalabbau eingeläutet, SPD und CDU haben diesen Kurs fortgesetzt. Außerdem müssen wir unsere Verwaltungen endlich in die Gegenwart holen und die Digitalisierung vorantreiben.

Braucht Berlin eine Verwaltungsreform ohne zweistufige Verwaltung?

Wir Grünen befürworten ein politisches Bezirksamt mit einer Koalitionsbildung. Aber das haben SPD und Linke damals abgelehnt und den Proporz in die Verfassung geschrieben. Berlin wächst täglich, jeder unserer Bezirke hat die Größe einer mittelgroßen Stadt – deshalb brauchen wir die Zweistufigkeit. Ich schlage eine Kommission vor, die die Aufgabenverteilung und die Finanzierung klären soll.

Sie wollen Spitzenkandidatin werden. Verstehen Sie sich mit Michael Müller besser als mit Klaus Wowereit?

Michael Müller und ich verstehen uns gut. Das Verhältnis der Grünen zur SPD ist nach dem Wechsel von Wowereit zu Müller deutlich besser geworden.

Ist in Berlin wie in Thüringen auch Rot-Rot-Grün möglich?

Dreierkonstellationen sind nie einfach. Ich finde es erstaunlich, wie geschmeidig die Linke von der Regierungs- zur Oppositionspartei geworden ist und mit all den rot-roten Beschlüssen von damals heute nichts mehr zu tun haben will. Dabei hat die Linkspartei doch die heutige Verwaltungskrise oder die maroden Schulen und Straßen mit zu verantworten.

Und wie halten Sie es mit Schwarz-Grün?

Die Berliner CDU hat sich als Juniorpartner in einer großen Koalition sehr gut eingerichtet. Eine moderne Großstadtpartei sieht wirklich anders aus – das gilt nicht nur, wenn ich an das Thema Ehe für alle denke. Wer Berlin wirklich voranbringen will, schafft das nicht im Schlafwagen.

Das Gespräch führte Sabine Beikler.

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