Stromnetz-Streitgespräch: Ist die Rekommunalisierung eine Schnapsidee?
Rekommunalisierung des Stromnetzes: Ist das jetzt eine teure Schnapsidee oder gut für den Bürger? Ein Streitgespräch zwischen dem Vattenfall-Netz-Chef und dem Sprecher des Energietischs.
Die Berliner stehen zurzeit vor der Frage, ob sie für das Volksbegehren „Neue Energie für Berlin“ unterschreiben sollen. Die Initiatoren vom „Berliner Energietisch“ wollen ein kommunales, sozial geprägtes Stadtwerk als lokalen Ökostromversorger gründen. Wegen hoher Kosten umstrittener, aber wegen der regulär bevorstehenden Ausschreibung deutlich dringlicher ist die zweite Forderung der Initiative, nämlich die Rekommunalisierung des Berliner Stromnetzes zum Jahr 2015. Der neue Landesbetrieb müsste sich darum bewerben – und unter anderem gegen Vattenfall antreten, dessen Tochterfirma Distribution das Netz auch künftig betreiben will. Der Tagesspiegel hat die Akteure zu einem Wettstreit der Argumente gebeten: Stefan Taschner, Sprecher des Energietischs, diskutiert mit Helmar Rendez, dem Geschäftsführer von Vattenfall Distribution.
Herr Taschner, warum wollen Sie Vattenfall bei der bevorstehenden Ausschreibung unbedingt das Stromnetz wegnehmen?
Warum soll man den Maler kommen lassen, wenn man seine Wohnung selber streichen kann? Beim Energienetz sind wir überzeugt, dass das Land es genauso gut selbst betreiben kann. Nach den fragwürdigen Privatisierungen der 1990er Jahre wollen viele Menschen wieder mehr Verantwortung für die öffentliche Hand. Die Gewinne aus dem Netzbetrieb sollen in der Kommune bleiben.
Das klingt nach einer Glaubensfrage, die Sie zu einem hohen Preis beantworten wollen. Denn vor den Gewinnen steht der Kauf des Stromnetzes. Der könnte durchaus eine Milliarde Euro kosten.
Taschner: Wir halten eher 400 Millionen für angemessen und beziehen uns dabei auf ein Gutachten im Auftrag der Wirtschaftsverwaltung, das übrigens das einzig verfügbare dazu ist. Das Netz darf ja nicht mehr kosten, als es in der 20-jährigen Vertragslaufzeit an Ertrag bringt. Sonst gäbe es auch nicht acht Bewerber für den Betrieb.
Rendez: Über den Kaufpreis wäre erst im nächsten Schritt zu verhandeln. Für uns ist es erst einmal Ehrensache, mit dem besten Angebot die Ausschreibung zu gewinnen. Netzbetrieb ist unser Kerngeschäft – in Berlin, Hamburg und in Schweden. Die Renditen sind mit etwa fünf Prozent zwar nicht riesig, aber sie sind stabil und damit gut fürs Unternehmen.
Taschner: Das Netz muss dringend umgestaltet werden für die Energiewende. Dazu brauchen wir Investitionen und mehr Einfluss.
Rendez: Die Energiewende findet doch in Berlin längst statt und das Netz ist fit für die Zukunft. Wir haben 10 000 intelligente Stromzähler im Märkischen Viertel installiert und Glasfaserkabel in der Gropiusstadt verlegt. Es gibt hier über 5000 dezentrale Anlagen beispielsweise für Solarenergie. Die versorgen wir mit Hightech, damit sie bestmöglich funktionieren. Und wir schließen sie binnen weniger Tage an…
Taschner: …weil Sie dazu verpflichtet sind. Aber falls der gesetzliche Einspeisevorrang für erneuerbare Energien wegfällt, sähe das vielleicht ganz anders aus. Außerdem sind die 5000 Anlagen für eine Stadt wie Berlin nicht viel. Das wird sich deutlich steigern müssen.
Rendez: Berlin hat als Großstadt gar nicht genug Platz, um sich zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen versorgen zu können. Das Wichtigste für die Berliner ist doch, dass der Strom aus der Steckdose kommt – und zwar zuverlässig rund um die Uhr.
An der Qualität gibt es wenig zu mäkeln. Was man von manchen öffentlichen Unternehmen wie Flughafengesellschaft oder S-Bahn leider nicht sagen kann.
"Natürlich muss man ins Stromnetz regelmäßig investieren. Genau wie ins Straßennetz."
Taschner: Andere kommunale Netzbetreiber können es auch. Die schlechten Erfahrungen, die wir in Berlin gemacht haben, resultieren auch aus fehlender Transparenz. Sonst wäre es ja nicht passiert, dass der Flughafen schon Frau Merkel einlädt und dann die Eröffnung absagt. Unser Mittel dagegen ist größtmögliche Transparenz und Bürgerbeteiligung. Da der Stromnetzbetrieb eine Art Monopol ist, spricht nichts dagegen.
Rendez: Um das Beispiel mit der S-Bahn aufzugreifen: Beim Strom gibt es keinen Ersatzverkehr mit Bussen. Es gibt bei einem derart großen Netz jede Menge betriebliche und finanzielle Risiken, die man beherrschen muss.
Die Energiewende war bisher ziemlich unberechenbar. Woher wissen Sie beim Energietisch, dass Sie sich mit der Rekommunalisierung nicht einen Berg Probleme aufladen?
Taschner: Risiken können doch kein Grund sein, sich als Staat aus allem herauszuhalten – zumal die Energiewende gesellschaftlich breit akzeptiert ist und durch die staatliche Regulierung verlässliche Renditen existieren.
Rendez: Nach dem Kaufpreis kommen ja noch die Investitionen. Ich als Bürger frage mich, ob die Stadt ihr Geld nicht lieber für Kitaplätze, Schulsanierung oder Straßenreparaturen ausgeben sollte statt für den Kauf des Stromnetzes. Das sollten die Berliner auch bedenken.
Auf der To-Do-Liste von Vattenfall stehen in der Tat Milliardeninvestitionen für die nächsten Jahre. Wollen Sie durch die Eröffnung möglichst vieler Großbaustellen mögliche Nachfolger abschrecken?
Rendez: Dass bei jedem Berliner statistisch nur alle vier, fünf Jahre mal das Licht ausgeht, ist unseren Investitionen zu verdanken. Jetzt müssen wir uns fit machen für das, was auf uns zukommt - und für die immer höheren Ansprüche unserer Kunden. Zumal die Bundesnetzagentur auch darauf achtet, dass wir das Netz gut betreiben.
Taschner: Natürlich muss man ins Stromnetz regelmäßig investieren. Genau wie ins Straßennetz. Aber auch Vattenfall investiert ja nicht auf Kosten seines Gewinns, sondern weil das Geld garantiert wieder hereinkommt – nämlich über die Stromrechnung der Kunden.
Was sagen eigentlich die Mitarbeiter der Vattenfall-Netzgesellschaft zu der Aussicht, vielleicht bald in einem Landesbetrieb zu arbeiten?
Rendez: Meine Mitarbeiter und die unserer Dienstleister brennen dafür, die Stromversorgung dieser Stadt zu sichern. Diese insgesamt etwa 1000 Menschen wissen sehr wohl, dass Vattenfall ein guter Arbeitgeber ist.
Wäre es nicht das Beste, Sie würden sich zusammentun? Dann wäre der Kauf nicht ganz so teuer, das Land hätte beispielsweise mit 51 Prozent Beteiligung das Sagen und Vattenfall könnte mit 49 Prozent sein Know-How einbringen.
Taschner: Bei uns melden sich viele und sagen, sie wollen um Himmels Willen keine zweiten Wasserbetriebe. Es gibt zu viele schlechte Erfahrungen damit – vor allem, was Geheimhaltungsinteressen und den eingeschränkten Zugriff von Bürgern und Parlamenten auf Private betrifft. Deshalb sind wir für 100 Prozent Rekommunalisierung mit einem Übernahmeangebot für die Mitarbeiter. Wir wissen, dass wir hier auch über deren Schicksale reden. Die kennen das Netz am besten – egal, ob an ihren Autos nun „Vattenfall“ oder „Berlin Energie“ steht.
Rendez: Vergessen Sie nicht: Wer die Konzession erhält, kauft Kabel in der Erde, aber keine Mitarbeiter. Sie sollten den Berlinern sagen, dass man mit dem Stromnetz weder Energiepolitik machen noch Strompreise senken kann. So wie Sie auch sagen sollten, dass Ihr ebenfalls geplantes kommunales Stadtwerk der 317 . Stromanbieter in Berlin wäre. Aber das ist zum Glück nicht mein Problem. Ich bin Netzbetreiber.
Das Gespräch führte Stefan Jacobs
Helmar Rendez
(50) promovierte nach seinem Wirtschaftsingenieur-Studium an der TU in Berlin und arbeitet seit 2000 bei Vattenfall. Seit 2010 ist er als Chef der Unternehmenstochter Distribution für den Stromnetzbetrieb in Berlin und Hamburg verantwortlich (im Bild links).
Stefan Taschner
(43) studierte in München Geografie. Nach anfangs rein wissenschaftlicher Arbeit im Bereich Klimaschutz war er in verschiedenen Umweltverbänden tätig. Seit 2012 ist er Sprecher der von mehr als 50 Organisationen unterstützten Initiative „Berliner Energietisch“.
Stefan Jacobs