Streifzug durchs feierfreie Berlin-Friedrichshain: Irgendwo muss doch die illegale Party sein
Lässt sich Berlins berühmte Clubszene wirklich einfach ausknipsen? Oder gibt es doch geheime Raves? Eine Suche im stillen Partykiez.
In der Revaler Straße in Friedrichshain hat sich die Natur die Stadt zurückerobert, also fast: An der Mauer, die das RAW-Gelände vom Gehweg abtrennt, dort, wo sonst unzählige Plakate Konzerte, Lesungen und andere Veranstaltungen bewerben, klebt jetzt der sehr lange Druck einer Blumenwiese.
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Das Gras darauf ist immer grün, die bunten Blüten sind immer geöffnet. Auch nachts, wenn es hier sonst nicht mehr viel zu sehen gibt.
Denn in dem Friedrichshainer Partykiez, wo sich Clubs und Bars aneinanderreihen und zu dieser Jahreszeit gewöhnlich Horden von Feierwütigen durch die breiten Straßen ziehen, ist in Zeiten von Corona nach Einbruch der Dunkelheit nichts mehr los. Freitagnacht, 22 Uhr, die Straßen wirken wie ausgestorben, die verrammelten Clubs wie Kulissen einer längst vergangenen Zeit. Irgendwo hier muss es sie doch geben, die geheimen Partys. Lässt sich Berlins Clubszene wirklich so einfach ausknipsen?
Die Berlin-Korrespondentin der „Financial Times“ will kürzlich von einem Drogendealer namens Jack erfahren haben, in der Stadt gebe es geheime Raves, für die bis zu 100 Euro Eintritt verlangt würden. Draußen positionierte Späher hielten Ausschau nach der Polizei. Weitere Belege ließen sich dafür nicht finden. Sollte es diese Partys tatsächlich geben, dann doch wohl hier.
Das Leben trotz Corona genießen
Irgendwoher dröhnt lauter Techno. Nein, ein geöffnetes Fenster in einem Wohnhaus, das Zimmer hell erleuchtet.
Da drüben etwas Leben: Drei junge Frauen steuern auf den Fotoautomaten zu, der vor dem geschlossenen Club Badehaus steht. Am Automaten klebt ein Zettel, der auf den Mindestabstand von 1,5 Metern hinweist. Dürfte schwierig werden in der circa einen halben Quadratmeter großen Kabine.
Die drei Anfang zwanzigjährigen Studentinnen trinken Weißwein aus der Flasche, rauchen Zigaretten, wirken fröhlich. Sind sie etwa gerade auf dem Weg zu einer Party? Nee, Partys gebe es gerade nicht. Sie wollen einfach ein bisschen in Gesellschaft sein, das Leben trotz Corona genießen. Ein schönes Foto machen. „Nur Zoom-Meetings reichen einfach nicht“, sagt eine, „man braucht auch mal echten, körperlichen Kontakt.“
Die Dealer stehen rum, auch ohne Kundschaft
Gegenüber schließt Cosmo die Metalltür seines Häuschens zu, trägt gelbe Müllsäcke nach draußen. Ihm gehört das vegane Restaurant Emma Pea auf dem RAW-Gelände. Zurzeit bietet er Essen über Lieferando an, könne damit aber gerade mal die Hälfte der Betriebskosten reinholen. Er arbeitet jetzt meistens selbst, seine Angestellten sind in Kurzarbeit. „Ich kann vielleicht noch einen Monat so weitermachen“, sagt Cosmo.
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Die Dealer, sagt er, stünden weiterhin tagtäglich rum, auch wenn sie keine Kundschaft hätten. „Vielleicht sichern sie einfach ihr Revier.“
Ein paar Meter weiter hat dann doch noch was geöffnet, wo man tanzen kann - die „Teledisko“, eine zum Club umgebaute Telefonzelle. Außen ist sie golden bemalt, drinnen kann man nach Geldeinwurf für die Länge eines selbst gewählten Liedes zu blinkenden Lichtern und Kunstnebel tanzen.
Nur die S-Bahn wummert
Zumindest sind größere Gruppenbildungen darin unmöglich. Mehr als drei Leute passen kaum rein. Ohne Mindestabstand, versteht sich. „Die Infektionskombüse“, ruft ein davor wartendes Paar lachend rüber. Vielleicht ist das der geheime Rave? Bei zwei Euro pro Lied kann man hier in einerNacht locker 100 Euro loswerden.
Weiter auf die Warschauer Brücke, wo zu anderen Zeiten Straßenmusiker dankbares Publikum finden, wo sich Menschen dicht drängen, rumstehen, trinken oder über die Brücke hetzen. Zur nächsten Bar, zum Club oder einfach die Bahn nach Hause nehmen. Und jetzt?
Leere. Nur die S-Bahn wummert da unten, aus der Ferne tönen Sirenen, einer schreit einsam Unverständliches durch die Nacht. Symphonie der partylosen Großstadt. Ein paar junge Frauen laufen mit Luftballons in der Hand Richtung Norden, sie wollen einer Freundin am Balkon zum Geburtstag gratulieren, sagen sie. Und, na ja, wenn sie in die Wohnung bittet, vielleicht auch ein Glas Sekt trinken.
Keine Schlangen, keine Schlägereien
Mehr nicht. Ein sehr junger Mann, kurz vor der Volljährigkeit, läuft ebenfalls die Brücke hinab. Er trägt schwarzen Anzug und ein schickes weißes Hemd, Business-Meeting, sagt er. Zu so später Stunde? Irgendwas mit Aktien, mehr will er nicht verraten.
Kurzer Stopp beim Späti am südlichen Ende der Brücke. Die Kühlschränke sind voll, vom Bier mit dem aktuellsten Namen „Corona“ fehlen die meisten Flaschen. Die Beantwortung der Frage, ob das jetzt echt der Trend sei oder das Fach einfach nur nicht mehr aufgefüllt werde, scheitert an der Sprachbarriere.
Also weiter zur Oberbaumbrücke, unter der ruhig und schwarz die Spree liegt, majestätisch die Lichter der Stadt spiegelt. Am Ende der Fernsehturm, der da steht, als wolle er sagen, habt euch nicht so, ich hab’ schon größere Umbrüche erlebt. Kein Partyboot stört die Stille, keine leere Bierflasche fliegt ins Wasser. Niemand prügelt sich vorm Matrix und vorm Watergate steht niemand Schlange, kein Türsteher zerstört den Traum einer durchgetanzten Technonacht.
Partys? Gibt es nicht.
Ein paar Dealer stehen trotzdem noch rum, fragen, ob man was kaufen wolle. Das Geschäft laufe sehr schlecht, sagt einer, will dann aber nicht weitersprechen. Er läuft noch bis zur nächsten Straßenecke hinterher.
Am Schlesischen Tor stehen zwei große Polizeiwagen. Polizisten sind erst mal nicht zu sehen, dafür eine größere Gruppe junger Leute, die vor einer geschlossenen Bar stehen und trinken, vielleicht nicht ganz so dicht beieinander wie normalerweise, aber Mindestabstand ist es nicht.
„Die Polizisten sind hier vorhin vorbeigelaufen, aber die interessiert das nicht“, sagt eine junge Frau, die im Haus wohnt und ein Wasserglas in der Hand hält. Ihr Freund ist aus Frankfurt mit dem Zug nach Berlin gekommen, das sei ja erlaubt, den Partner besuchen. Und anstatt sich bei jemandem in der Wohnung zu verabreden, treffe man sich eben hier auf der Straße, draußen, das sei doch immerhin vernünftiger.
Und man habe sich die letzten Wochen fast nur allein zu Hause verschanzt. Partys? Gibt es nicht, sagt sie.
Weißwein vorm Fotoautomaten
Zurück nach Friedrichshain. Der heißeste Tipp dieser Tage scheinen die Fotoautomaten zu sein. Geldausgeben ohne langes Anstehen, ein Foto vom dicht gedrängten Zusammensitzen ist in Corona-Zeiten mehr als ein hippes Andenken an eine wilde Nacht, vielleicht ist es für die paar jungen Menschen hier ein Zeugnis der Rebellion gegen die Gesellschaft, ein Stück Anarchie gewissermaßen.
Hier stehen Said und seine zwei Freunde und trinken Weißwein aus Plastikbechern, „wir sind ja kultiviert!“, sagt einer, der sich mit dem „Streetnamen“ Toni vorgestellt hat, und bietet einen Schluck an. Und fragt dann, ob man noch Auto fahren könne, seins stehe da hinten, er sucht einen Fahrer.
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Toni will noch auf eine Party gehen, muss aber erst Kumpels fragen, wo irgendwas geht. Echt? Also gibt es wirklich diese geheimen, illegalen Partys? „Klar. Man muss nur Leute kennen, rausfinden, wo. Wenn ich jetzt eine Einladung bekomme, kann ich da auch niemanden mitnehmen.“ Inzwischen hat einer ein Uber bestellt, sie steigen ein in das schwarze große Auto, entschwinden in die Nacht, vielleicht auf eine wilde illegale Party, vielleicht war das aber auch nur ein bisschen geprotzt.
Also ab nach Hause, noch eine letzte Runde übers RAW-Gelände, kurz vor Mitternacht, es ist noch leerer. Totentanz könnte man das nennen, wenn es nicht so zynisch wäre. Nur die Diskokugel vorm Cassiopeia-Club dreht sich noch einsam im bunten Licht, als warte sie darauf, dass das alles endlich vorbei ist.
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