Gentrifizierung in Berlin: Investoren gegen Mieter: Da ist die Tür!
Ein Investor kauft Häuser, um sie zu sanieren - ein lohnendes Geschäft, seit Wohnungen in Berlin mehr Dividende versprechen als die Börse. Mieter, die dafür nicht bezahlen können, stören da nur.Ein ungleicher Kampf, der Kräfte zehrt. Drei Beispiele aus Mitte, Prenzlauer Berg und Kreuzberg
Am 6. Januar 2012, da hing sein Briefkasten noch fest an der Wand, bekam Oleg Myrzak einen Brief zugestellt. Der Name des Absenders war ihm unbekannt, dessen Gewerbe – Mietmanagement – ebenso. Zunächst überflog der Regisseur das Schreiben nur, er war in Gedanken woanders. Sein nächstes Stück sollte im „Theater unterm Dach“ spielen, doch das Stadtteiltheater von Prenzlauer Berg war von der Schließung bedroht. Auch Myrzaks Stück war damit in Gefahr. Der Regisseur beschloss, alles zu tun, um das Theater zu retten. Dann las er das Schreiben erneut.
Das von Myrzak bewohnte Haus, schrieb der Mietmanager, sei Ende vergangenen Jahres an die „Gleimstraße 52 GmbH und Co. KG“ verkauft worden. Der Mietmanager sei damit beauftragt, Myrzak über die geplanten Veränderungen zu informieren. „Gern“, schrieb er, „möchte ich Sie hierzu persönlich treffen, um Ihnen die gesamte Problematik zu erläutern.“ Die gesamte Problematik. Da ahnte Oleg Myrzak, dass er nicht nur ein Theater, sondern vor allem sein Zuhause retten muss.
Auf Partys redet man über Quadratmeterpreise
Deutschland gilt traditionell als Mieterland. Nirgendwo sonst in Europa ist das Mietrecht so stark reguliert, nirgendwo sonst leben so viele Menschen in Wohnungen, die ihnen nicht gehören. Besonders gut hatten sie es lange Zeit in Berlin: Hier gab es große Wohnungen zu niedrigen Mieten und das mitten im Zentrum. Doch damit könnte es bald vorbei sein. Seitdem Berlins Popularität einen Aufwärtstrend erfährt, von dem aktiennotierte Unternehmen nur träumen können, seitdem die Finanzkrise Menschen dazu gebracht hat, ihr Geld lieber in Wohnungen als in den Banksafe zu stecken, ist etwas im Gange in der Stadt. Auf Partys hört man Menschen inzwischen über Quadratmeterpreise reden, wie man es aus New York, Paris oder München kennt. Eine neue Kampflinie verläuft quer durch die Stadt und manchmal sogar mitten durch einzelne Häuser. Die einen drucken bunte Kaufprospekte, die anderen schwenken bunte Protestplakate; die einen sprechen von Aufwertung und argumentieren, dass niemand ernstlich erwarten könne, auf Dauer für wenig Geld mittendrin zu wohnen, die anderen nennen es Verdrängung und beklagen sich über die Wildwestmethoden, mit denen sie zum Auszug gezwungen werden. Es ist ein Kampf zwischen Eigentümern und Mietern, der Ablauf ist meist ähnlich. Ein Bericht aus Mitte, Prenzlauer Berg und Kreuzberg – die Gegenden, die auf Maklerdeutsch „begehrte Innenstadtlage“ heißen.
ESKALATIONSSTUFE 1: DIE MODERNISIERUNGSANKÜNDIGUNG
Über dem Tisch von Michaela Zollners und Stephan Hoefts Küche in Kreuzberg kleben Postkarten aus Sansibar, Zypern und Ägypten. An ferne Orte zieht es die beiden gerade nicht. Sie wünschen sich nur, bleiben zu können, wo sie sind – zwei Zimmer in der Hasenheide, seit sieben Jahren das Zuhause von Michaela Zollner und ihrem Sohn, Hoeft zog ein Jahr später ein.
Im vergangenen Jahr bekam Michaela Zollner – sie ist die Hauptmieterin – Nachricht, dass ihr Haus verkauft worden sei, der Name des neuen Eigentümers: „Inter Stadt- und Wohnungsbau GmbH & Co. sechste Grundstücksverwaltungs KG“. Früher einmal hatte die Hausbesitzerin einfach Irma Brucks geheißen. Im März 2013 kam wieder Post. Die Eigentümerin mit dem langen Namen wollte das Haus modernisieren. Wärmedämmung. Einbau von Isolierglasfenstern beziehungsweise Doppelglasfenstern. Installation einer Zentralheizung, Fernwärme. Es folgten viele Zahlen. Die Wärmedämmung würde 187 100 Euro kosten, die Fenster 194 200 Euro und die Heizung 179 400 Euro. Davon, so hieß es, könnten jeweils elf Prozent auf die Mieter umgelegt werden, und so schuldeten Zollner und Hoeft der neuen Eigentümerin mit einem Mal 23 249,95 Euro, zahlbar durch eine monatliche Mieterhöhung von 274,13 Euro. Damit betrug ihre Miete nicht mehr 351,37 Euro, sondern 625,50 Euro.
Nach dieser Ankündigung wurden die ersten Kartons durch das Haus Richtung Ausgang getragen. Michaela Zollner und Stephan Hoeft blieben. Sie ist Altenpflegerin, er Landschaftsgärtner, sie können sich die neue Miete leisten, und die Vorstellung, nicht mehr Kohlen schleppen zu müssen, gefiel ihnen eigentlich ganz gut.
Das Treppenhaus verschmutzt, in den Kellern steht Wasser
Doch dann passierten Dinge, die ihnen nicht gefielen. Direkt vor ihrem Haus wurde ein „Zu verkaufen“-Schild aufgestellt, knallrot und groß. Vom Geschäft im Erdgeschoss war nicht mehr viel zu sehen. Bald darauf zog die Ladeninhaberin, die anfangs hatte bleiben wollen, aus. Das Treppenhaus verschmutzte, in den Kellern stand das Wasser, nach Ansicht der Mieter wegen einer verstopften Regenrinne, die Sprechanlage ging kaputt. Die Eigentümergesellschaft bestreitet diese Darstellung. „Es ist falsch, dass eine Hausreinigung nicht mehr erfolgt. Der Eigentümer hat keine Kenntnis darüber, dass die Sprechanlage nicht in Ordnung sei. Die Regenrinnen waren nicht verstopft. Vielmehr handelt es sich um ein extrem modernisierungsbedürftiges Haus, welches einer umfassenden Sanierung bedarf“, lässt sie über ihren Anwalt erklären.
Auch das übliche Prozedere nach einer Modernisierungsankündigung beschreibt der Anwalt: „Oftmals wird ein Mediator eingeschaltet, der höflich und freundlich gemeinsam mit den bisherigen Mietern herausfinden soll, ob diese trotz der Sanierung in der Wohnung verbleiben oder lieber ausziehen wollen. Im Falle eines Auszuges wird den Mietern regelmäßig ein Entgelt bezahlt, um die hiermit verbundenen Unannehmlichkeiten zu kompensieren.“ Und tatsächlich meldete sich auch in der Hasenheide der Mietmanager. „Gern würde ich mit Ihnen die neue Situation ganz aktuell besprechen“, schrieb er in einer E-Mail, die an Hoefts E-Mail-Adresse ging. Stephan Hoeft schickte ihm als Antwort eine Liste der Mängel. Zumindest der Mietmanager wusste also Bescheid. Eine Reaktion gab es nicht.
Willst du bleiben, wollt ihr gehen?
Inzwischen ist außer Michaela Zollner und Stephan Hoeft nur noch eine andere Partei im Seitenflügel übrig. Wenn sie sich begegnen, reden sie nicht mehr wie früher über das Wetter, es geht dann gleich ums Eingemachte: Willst du bleiben, wollt ihr gehen, und wie soll das alles werden? Vor kurzem hat Zollner den Anwalt Christoph Müller engagiert. Danach, sagt sie, habe sie die erste Nacht seit langem wieder gut geschlafen. Christoph Müller ist guter Stimmung an diesem Mittwochmorgen im September. Gerade hat er einen Mieter gegen eine Eigenbedarfsklage des Eigentümers vertreten, nun trinkt er noch schnell einen Kaffee in der Kantine des Gerichts. Es scheint, als habe er die Sache zugunsten seines Mandanten herumgerissen. Oft gelinge das heutzutage nicht mehr, sagt Müller. „Früher hieß es, der Experte wohnt zur Miete. Inzwischen ist man als Mieter nicht mehr sicher.“ Das liegt unter anderem an der Mietrechtsreform, die im Mai in Kraft trat und Modernisierungen neu regelte. Damit ist alles gemeint, was eine Wohnung schöner und umweltfreundlicher macht, zum Beispiel Fußbodenheizung oder Wärmedämmung. Elf Prozent der Kosten können auf die Jahresmiete aufgeschlagen werden. Vor der Reform konnten Mieter eine Modernisierung stoppen, wenn sie nachwiesen, dass ihnen das Geld etwa für neue Fenster fehlte. Doch weil man mit einer Nation, die sich gegen Zugluft lieber gestrickte Würste aufs Altbaufensterbrett legt, nicht das Klima retten wird, wurde das Gesetz geändert. Seit Mai dürfen Modernisierungen und damit jede Form der energetischen Gebäudesanierung nicht mehr angefochten werden. Die Mieter können nur noch später über die Höhe der Mietsteigerung verhandeln, Ausgang ungewiss.
Die große Liebe der Politik zur energetischen Sanierung nutzen manche Eigentümer in Berlin weidlich aus. Vor kurzem wollte ein Hausbesitzer in der Sredzkistraße in Prenzlauer Berg Doppelglasfenster, die in den 90er Jahren eingesetzt worden waren, gegen dreifach verglaste austauschen. Auch wenn Eigentümer mit solchen Modernisierungen nicht immer durchkommen, erreichen sie oft schon durch deren bloße Ankündigung ihr Ziel. „So ein Schreiben ist wie ein Schreckschuss“, sagt Müller. Gerade alte Menschen würden mitunter erschrocken die Sachen packen. Ihre Wohnungen könne der Eigentümer dann gewinnbringend verkaufen.
Modernisierungskarawane ist längst nach Tiergarten, Kreuzberg und Neukölln gezogen
So etwas passiert nicht nur in Mitte und Prenzlauer Berg – längst ist die Modernisierungskarawane weiter nach Tiergarten, Kreuzberg und Neukölln gezogen. Der Bedarf ist groß: Junge Familien, in denen Vater und Mutter arbeiten, wollen nicht mehr wie früher in der Peripherie, sondern in der Innenstadt wohnen, mit kurzen Wegen zum Arbeitsplatz, mit Kindergarten und Schule im täglichen Aktionsradius. Und wenn sie einen Kredit benötigen, bekommen sie den zurzeit für so niedrige Zinsen wie selten. Das Ergebnis: Noch nie wurden in Berlin so viele Eigentumswohnungen verkauft wie in den ersten sechs Monaten vom Jahr 2012.
ESKALATIONSSTUFE 2: POTENZIELLE KÄUFER SCHAUEN VORBEI
Sie sind eigentlich gar nicht so anders, die Leute, die da im Frühling 2012 in Katrin Rothes Wohnung kommen. In manchen erkennt sich die Filmemacherin und Grimme-Preisträgerin fast wieder. Junge Paare im Familiengründungsmodus sind es, nett noch dazu, ziehen sogar die Schuhe aus, wenn Katrin Rothe sie darum bittet. Wandern weiter auf Strümpfen umher, fragen, ob sie vielleicht mal das Fenster öffnen könnten. Der Friedhof, auf den man von der Bergstraße 62 aus blickt, hatte es Katrin Rothes Freund gleich angetan, als sie sich die Wohnung ansahen. Rothe war sich nicht so sicher. Aber sie erwarteten ein Kind, also brauchten sie eine Wohnung, und die Wohnung hatte zwei Jahre lang leer gestanden, also brauchte sie Mieter, und so zogen sie ein. Es war das Jahr 1996, bald tobte ein kleines Leben durch die Zimmer gegenüber vom Friedhof, ein zweites folgte, die Bergstraße wurde ein Zuhause, und als der Freund auszog, die Söhne groß wurden, malte sich Rothe aus, wie sie später hier wohnen würde, „eine Alt-Damen-WG oder so“. So weit ist es nicht gekommen. Katrin Rothe, immer noch ziemlich jung, kommt mit dem Fahrrad nach Berlin-Mitte gefahren. Sie wohnt inzwischen anderswo. Als Treffpunkt hat sie ein Café in einer Straße parallel zur Bergstraße vorgeschlagen, so als suche sie die Nähe, brauche aber zugleich etwas Abstand, um ihre Geschichte zu erzählen.
Als Katrin Rothe in der Bergstraße einzieht, gehört das Haus einer jüdischen Erbengemeinschaft. Im Jahr 2012 wechselt der Eigentümer, dem neuen kann es nicht schnell genug gehen: Die Modernisierungsankündigung schickt er, noch bevor er im Grundbuch steht. Bald darauf bekommt Katrin Rothe Post von einer Maklerin. Rothes Wohnung, so schrieb sie, werde nun Kaufinteressenten angeboten, vielleicht als Anlageobjekt, vielleicht auch zur späteren eigenen Nutzung. Die Besichtigungen beginnen. Besonderes Interesse zeigen einige Besucher an einer Wand im hinteren Teil von Rothes Wohnung. „Und da geht’s dann also weiter?“, fragen sie. Rothe erfährt, dass die angebotenen Wohnungen andere Grundrisse haben als die bestehenden Mietwohnungen. Offenbar, sagt Rothes Anwältin, sei sich der Eigentümer ziemlich sicher, dass Rothe ausziehen werde. Sie solle Interessenten unbedingt mitteilen, wie es sich wirklich verhalte.
Maklerin erzählt Interessenten, dass die Mieterin bereits ausgezogen sei
„Sie wissen, dass ich hier wohnen bleiben will“, sagt Rothe deshalb zu den Leuten, die auf Strümpfen bei ihr herumtappen, und die meisten Kaufinteressenten ziehen ihre Schuhe schnell wieder an und suchen das Weite. Im Mai bekommt Rothe vom Eigentümer eine Abmahnung. „Qualitative Fachgespräche mit den Interessenten während der Begehung der Wohnung sind ausschließlich von der uns von autorisierten Maklerfirma auszuführen“, steht darin. Von da an hat Katrin Rothe am liebsten ihre Anwältin Carola Handwerg dabei und sagt so wenig wie möglich, die vom Eigentümer autorisierte Maklerin dafür umso mehr. Sie berichtet den Kaufinteressenten, dass Katrin Rothe in Wirklichkeit schon ausgezogen sei. Manchmal kommt auch der Eigentümer zu Besichtigungsterminen mit. Was er laut Aussage von Mietern und Ex-Mietern bei solchen Zusammentreffen gesagt haben soll, darf in diesem Artikel nicht stehen. „Unser Mandant hat sich so weder wörtlich noch sinngemäß gegenüber Dritten geäußert“, schreibt dessen Anwalt, außerdem übernehme sein Mandant „gar keine persönlichen Verhandlungen mit Mietern“. Zumindest das sehen die Mieter ähnlich. Als Verhandlungen haben sie die Gespräche nicht empfunden.
Nach Ansicht des Eigentümers sind unzufriedene Mieter in seinen Häusern in der Minderheit. „Ich habe in der Mehrzahl anständige Mieter in meinen rund 250 Mietwohnungen, zu denen ich ein gutes Verhältnis pflege. Es gibt aber leider ein paar Splittergruppen an Mietern, die versuchen, eine Geschichte aufzubauen und damit eine möglichst große Auszugsprämie zu bekommen.“
An der Wand von Carola Handwergs Büro in Prenzlauer Berg hängt eine Fotocollage aus alten Fliesen und Tapeten. Sie wurde der Anwältin von einer Mietergemeinschaft, die sie vertreten hat, als Dankeschön geschenkt. Nach Abschluss der Modernisierungsarbeiten konnten sechs Parteien in das schick gemachte Haus zurückkehren. „Ein guter Schnitt“, sagt Carola Handwerg und wird im Gespräch mehrmals auf den Fall zurückkommen, vielleicht weil auch eine Mietrechtsanwältin keine unbegrenzte Frustrationstoleranz hat. Die Zeiten hätten sich geändert, sagt Handwerg. Vor der Finanzkrise hätten sich in Berlin stets die üblichen Verdächtigen vor Gericht getroffen, wenn Mietsachen verhandelt worden seien – immer wieder die gleichen Eigentümer, immer wieder die gleichen Anwälte, berechenbar bei aller Turbulenz. Und vor allem: „Man kehrte stets an den Verhandlungstisch zurück.“ Die Eigentümer heute seien anders, sagt Handwerg. Manchmal würden sie fast wie eine Jugendgang wirken. „Sie machen einfach los, ohne Rücksicht, ohne Ahnung vom Mietrecht. Und wenn man ihnen nicht erlaubt, etwas zu machen, tun sie es trotzdem.“
Eigentümer von heute wirken manchmal fast wie eine Jugendgang
ESKALATIONSSTUFE 3:TATSACHEN SCHAFFEN
Als Oleg Myrzak an einem Frühlingstag im vergangenen Jahr die Treppen zu seiner Wohnung im Hinterhaus der Gleimstraße 52 hoch steigt, will er sich gleich an den Schreibtisch setzen und an seinem Stück „Ödipus’ Klage“ arbeiten. Doch die Tür zur leeren Wohnung nebenan steht offen, und als Myrzak hineinschaut, entdeckt er auf der Blümchentapete eine grellpinke Botschaft. „2flg Tür“ steht da. Drumherum sind die Umrisse einer Tür gemalt, ziemlich groß und etwa genau dort, wo auf der anderen Seite der Wand Myrzaks ebenfalls ziemlich großer Schreibtisch seinen Platz hat. „Das war ein Fehler der Bauleitung“, sagt der Eigentümer gegenüber dem Tagesspiegel. „Da wurde eine Tür falsch eingezeichnet. So etwas passiert bei einem relativ großen Bauvorhaben mit etwa 2500 Quadratmetern schon einmal.“ Trotzdem hat sich Myrzak an diesem Tag nicht mehr auf sein Stück konzentrieren können. Und auch in den folgenden Wochen arbeitet er weniger an „Ödipus’ Klage“, sondern eher an etwas, das man „Olegs Kampf“ nennen könnte.
Von der Wohnungstür war nur noch verkohltes Holz übrig
Eines Nachts im September 2012 wird Myrzak, der bei seiner Freundin übernachtet, von einem Anruf geweckt. Sein Nachbar ist dran. Myrzak solle schnell nach Hause kommen. Als Myrzak in die Gleimstraße einbiegt, sieht er seine Nachbarn in Schlafanzügen vor dem Haus stehen, als veranstalteten sie eine große Pyjamaparty auf der Straße, wären da nicht ihre erschrockenen Gesichter und die ganzen Polizisten. Seine Wohnungstür habe gebrannt, erfährt Myrzak. Langsam steigt er die Stufen in den ersten Stock hinauf. Er hat Angst davor, was er zu sehen bekommen wird. Doch dann staunt er eher über das, was er nicht sieht. Von der Tür, die bisher seine Wohnung verschloss, ist kaum etwas übrig außer einem Haufen von verkohltem Holz. Es wird Anzeige wegen Brandstiftung erstattet, Spuren, Anhaltspunkte, wer der Täter sein könnte, finden sich keine. Wer es war, der ihm so schaden oder zumindest einen Schreck versetzen wollte, darüber rätselt Myrzak bis heute.
Im Oktober 2012 wird im Zuge der Modernisierungsarbeiten vor das Abluftrohr von Myrzaks Gasheizung eine Wärmedämmplatte gesetzt. Myrzak kann nun nicht mehr heizen. Im November 2012 erstellt ein Mitarbeiter des Bezirksamtes nach einem Besuch in der Wohnung folgendes Mängelprotokoll: Türöffner defekt, Außenwandgasheizer im Wohnzimmer funktioniert nicht, provisorische Eingangstür entspricht nicht Berliner Bauordnung, Elektrikanlage im Flur ist außer Betrieb, nicht unerhebliche Rauchspuren, nachhaltiger Brandgeruch. Darauf angesprochen, dass manche Mieter den Eindruck hätten, sie würden absichtlich schikaniert, sagt der Eigentümer: „Wenn bei so umfassenden Sanierungen mal ein Handwerker hier und dort einen Fehler macht und der Mieter sich dadurch gestört fühlt – das ist doch völlig klar. Aber das ist in meinen Augen kein Mobbing.“´
Ist man in einer Lage wie Myrzaks nicht versucht, die Briefe des Mietmanagers wieder hervorzuholen? In einem seiner Schreiben hatte er über den Fortschritt der Modernisierungsmaßnahmen informiert und hinzugefügt: „Für den Fall, dass Sie diese sehr umfangreichen Bauarbeiten nicht über sich ergehen lassen bzw. die Mieterhöhung nicht tragen wollen, darf ich Ihnen im Namen des Eigentümers (...) die einvernehmliche Aufhebung des Mietvertrages bei gleichzeitiger Zahlung einer Abfindung anbieten.“ Eine fertige Vereinbarung steckte im Umschlag. 6500 Euro waren Myrzak darin geboten worden, 2000 Euro bei Vorlage eines neuen Mietvertrages, den Rest bei Übergabe der Wohnung, einschließlich der Schlüssel. Es gab eine Klausel, dass Stillschweigen gewahrt werden müsse, und ansonsten: „evt. anfallender Sperrmüll (kein Sondermüll) kann nach Abstimmung in der Wohnung verbleiben und wird auf Kosten des Eigentümers entsorgt.“ Unter der Zeile, in der Myrzak unterschreiben soll, steht schon sein Name.
Eigentümer: Wir kommen nicht mit der Brechstange
Aber Myrzak will nicht unterschreiben, und er will auch nicht schweigen. Er beschäftigt sich nun weniger mit Theater und mehr mit Politik. Besucht die Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung und geht auf Mieter-Demos. Wenn man ihm begegnet, raucht er Kette und hat einen Aktenordner dabei, darin sind die Briefe vom Mietmanager, von der Hausverwaltung und vom Anwalt des Eigentümers. Es ist ein sehr dicker Ordner. Auf den Fall angesprochen sagt der Eigentümer: „Herr Myrzak ist derjenige, der am lautesten kräht.“ 14 Wohnungen hätten in der Gleimstraße schon leer gestanden, als er das Haus gekauft habe. Mit allen Mietern, die es noch gab, habe er sich einigen können, nur mit Myrzak und einer anderen Partei nicht. „Wir kommen nicht mit der Brechstange. Deswegen haben wir in der Gleimstraße sozialverträgliche Mietverträge abgeschlossen. Und wer das nicht möchte, bekommt eine Auszugsprämie. Und um das auch einmal deutlich zu sagen: Es gibt auch Mieter, die klappern so lange, bis die Auszugsprämie in ihrer Wunschhöhe ist und gehen dann.“
Tatsächlich hat Myrzak alles abgelehnt, auch die Vermittlungsversuche des Bezirksamtes, das im Sommer 2012 eine Vereinbarung mit dem Eigentümer geschlossen hatte, die den Mietern, so sagt der Pankower Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung Jens-Holger Kirchner (Grüne), ein Rückzugsrecht nach der Sanierung sicherte und eine Miete von fünf Euro pro Quadratmeter für die nächsten drei Jahre festlegte. Myrzak sagt, ihm habe das Vertrauen gefehlt, dass er am Ende wirklich zurückkehren dürfe. Seine Anwältin bekam am 28. November 2012 Post vom Anwalt des Eigentümers: Sie erbäten die ausdrückliche Bestätigung, dass Myrzak auch bereit sei, die Modernisierungsvereinbarung abzuschließen, „wenn er nicht in die bisher innegehaltene Wohnung zurückziehen (...) kann“. Doch für Myrzak ist es unvorstellbar, woanders zu leben. „Ich bin geschieden, ich bin kein besonders erfolgreicher Regisseur, die Wohnung ist alles, was ich habe.“
In den Anzeigen, mit denen die Makler die Gleimstraße 52 beworben haben, kommt Oleg Myrzak vor, zumindest indirekt. Vom „kulturellen Miteinander im Gleimkiez“ ist da zu lesen. Es sind Kreative wie Myrzak, die Prenzlauer Berg diesen Ruf eingebracht haben. Nun haben sie ihre Schuldigkeit getan, nun sollen sie gehen. So empfindet Oleg Myrzak das zumindest.
Was Milieuschutzgebiete in Prenzlauer Berg bewirken
Dabei war Jens-Holger Kirchner bundesweit in den Medien, weil er etwas erließ, was als Verbot von Luxussanierungen die Runde machte. Das klingt schmissig und macht was her, die Wirklichkeit ist natürlich viel popeliger. Teile von Prenzlauer Berg gelten als Milieuschutzgebiet, alle Modernisierungen dort müssen sogenannte „Prüfkriterien für Anträge in den Erhaltungsgebieten“ erfüllen. Diese hat Kirchner nicht erfunden, sondern nur verändert – nicht genehmigt werden zum Beispiel der Einbau eines zweiten Bads oder die Zusammenlegung von Wohnungen. Es geht beim Milieuschutz weniger um den Schutz von Mietern, sondern auch um städtebauliche Überlegungen und die Frage, was der Staat leisten kann. Denn wenn noch mehr Familien durch schöne, große Wohnungen nach Prenzlauer Berg gelockt werden, wollen all diese Familien auch schöne, große Schulen in der Nähe gebaut bekommen. Und das übernimmt kein Investor, sondern das müsste der Bezirk stemmen – ein Problem für die finanziell klamme Stadt. Trotzdem profitieren natürlich auch Mieter, die sich Modernisierungen nicht leisten können, von solchen Verboten. Zumindest theoretisch.
In der Praxis ist es aber nicht unbedingt so, dass ein Eigentümer seine Modernisierungsvorhaben einreicht und abwartet, was genehmigt wird und was nicht. Denn auf jeden Fall erlaubt ist ja alles, was der Umwelt guttut. Also kann man schon mal das Gerüst aufbauen und den Mietmanager entsenden. Ziehen dann die ersten Mieter aus, darf der Eigentümer über ihre Wohnungen nach Belieben verfügen, und wer sie kauft, kann sich, wenn ihm danach zumute ist, auch drei Bäder einbauen.
Und dann gibt es noch ein zweites Problem. Manchmal geht es gar nicht um die Frage, ob ein zweites Bad Luxus ist oder nicht. Manchmal gibt es noch nicht einmal ein Bad, sondern nur eine Außentoilette, und dann ist die Aussicht auf Modernisierung vielleicht keine Zumutung, sondern ein Versprechen. Die Häuser in der Gleimstraße und Bergstraße verfielen, weil die Erbengemeinschaften sich nur um das Nötigste gekümmert hatten, auch das Haus in der Hasenheide war sanierungsbedürftig. Ist es da nicht gut, wenn ein Investor kommt, Geld in die Hand nimmt und, wie in der Gleimstraße geschehen, eine Heizung, einen Fahrstuhl oder einen mit Pergola umrankten Müllplatz verspricht? Verkennt man ihn nicht, wenn man in ihm nur den Schurken sieht?
Gleimstraße, Bergstraße, Hasenheide. Drei Fälle aus Prenzlauer Berg, Mitte und Kreuzberg. Was sie eint: Hinter den Gesellschaften, denen diese Häuser gehören, steht derselbe Mann. Er heißt Sascha Klupp. Auf die Fragen des Tagesspiegels zu seinen Objekten und den Problemen mit einigen Mietern reagiert er zunächst sehr reserviert. Und schaltet seinen Anwalt ein. Dabei ist Klupp sonst nicht öffentlichkeitsscheu, ein engagierter Blogger in eigener Sache: Er sei Spezialist für traumhafte Dachgeschosswohnungen und stehe für jahrelange Erfahrung und allerhöchste Professionalität, ist da etwa zu lesen (http://klupp-berlin-reportage.blogspot.com und sascha-klupp-interstadt.blogspot.com).
"Natürlich kann man in mir den bösen Immobilienhai sehen" ... wenn man möchte
Um seinen Ruf geht es auch bei dem Termin, zu dem Sascha Klupp den Tagesspiegel in die Kanzlei seines Anwalts in der Clausewitzstraße in Charlottenburg gebeten hat. „Natürlich“, sagt Klupp bei dem Treffen mit dem Tagesspiegel, „kann man in mir den bösen Immobilienhai sehen, wenn man ihn denn sehen möchte. Aber wenn man mal hinter die Kulissen schaut, stellt man fest, dass das gar nicht stimmt.“ Und dann erzählt Sascha Klupp seine Seite der Geschichte und die handelt von einem Investor, der stark sanierungsbedürftige Häuser kauft und damit zwischen die Fronten gerät. Da ist auf der einen Seite die Stadt, die will, dass Häuser energetisch saniert werden, und auf der anderen Seite sind die Mieter, die am liebsten den Status quo der Niedrigstmieten beibehalten möchten. Und die verstehe er sogar. „Natürlich, niemand möchte gerne 300 Euro mehr Miete zahlen.“ Doch müsse man auch ihn verstehen. Als Investor habe er eine gewisse Verantwortung, das Stadtbild zu wahren. „Und ein paar wirtschaftliche Grundsätze muss ich auch einhalten, sonst hat das doch keinen Sinn für uns.“ Seiner Erfahrung nach sei es einfach so: „Da kann man noch so nett und friedfertig sein, wenn in einem Haus mit 40 Wohnungen zwei Mieter sind, die alles blockieren, dann haben Sie irgendwann ein Problem.“
Vielleicht ist Sascha Klupp, nachdem er die Sache richtiggestellt hat, wieder in sein Büro gegangen. Weit hätte er es nicht gehabt, er arbeitet am Kurfürstendamm 102. Das Haus gehört ihm und hier sitzen gleich mehrere seiner Firmen. Am Briefkasten unten steht außerdem der Name der Firma, die den Brandschaden bei Myrzak begutachten wollte, und der der Hausverwaltung, an die sich Michaela Zollner wenden muss, wenn sie Probleme in ihrer Wohnung hat. Und aus diesem Haus rief vor kurzem ein Mitarbeiter Klupps beim Jobcenter an und teilte mit, dass einer ihrer Leistungsempfänger, der zugleich Mieter Klupps ist, in – so steht es in der Gesprächsnotiz vom Jobcenter – OAW sei. OAW ist die amtsdeutsche Abkürzung für Ortsabwesenheit und ist ein Zustand der Nichtanwesenheit, der Hartz-IV-Empfängern nicht gestattet ist: Sie müssen sich stets abmelden. Außerdem heißt es in der Notiz, dass der Vermieter den Mieter zu den Geschäftszeiten nicht erreiche und vermute, dass er eine Arbeit aufgenommen habe. Sascha Klupp bestreitet diesen Hergang, „der genannte Mitarbeiter hat nichts mit dem Vorgang zu tun“, lässt er über seinen Anwalt ausrichten. Die Gesprächsnotiz des Jobcenters liegt dem Tagesspiegel vor, darauf stehen der Name, die Büro- und die Handynummer vom Mitarbeiter Klupps. Außerdem ist darauf ein handschriftlicher Vermerk – dem Mieter sind seine Leistungen gekürzt worden. Fällt dadurch auch nur eine Monatsmiete aus, gibt das dem Eigentümer einen triftigen Grund für eine außerordentliche Kündigung.
Regisseurin verarbeitete Erlebnisse in einem Film
Kathrin Rothe ist Ende 2012 aus der Bergstraße 62 ausgezogen. Sie hat eine Abfindung von 50 000 Euro bekommen. Als eine der wenigen hat sie keine umfassende Verschwiegenheitsklausel unterschrieben und hat ihre Erlebnisse in einem Film verarbeitet. Er heißt „Betongold“ und ist am 8. Oktober im RBB zu sehen. Nach ihrem Auszug wurde Rothes Wohnung mit der hinteren zusammengelegt und verkauft.
Bei Michaela Zollner und Stephan Hoeft in der Hasenheide finden ab und zu Besichtigungen statt. Kaufen wollte die Wohnung bislang noch keiner. Neulich haben Zollner und Hoeft nachgesehen, ob ihnen in den vergangenen Jahren vielleicht etwas entgangen ist. Im Internet wird ihre Wohnung als „stuckverziert“ beschrieben. Sie haben nichts dergleichen entdeckt, noch nicht einmal eine Rosette, halten aber weiter die Augen offen.
Oleg Myrzak hat vor kurzem eine Aufführung im öffentlichen Raum inszeniert. Bei einer Feier in Prenzlauer Berg, zu der Bezirkspolitiker gekommen waren, legte er mit einer Gruppe von schwarz gekleideten Menschen einen Kranz nieder. Dann wurde eine Rede gehalten, die Myrzak geschrieben hatte. In ihr ging es um die verdrängten Mieter aus Prenzlauer Berg. Myrzak selbst ist entschlossen zu bleiben. Neben dem Theater will er sich ein zweites Standbein schaffen, vielleicht durch eine Ausbildung im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Er hofft zu lernen, wie man Kampagnen organisiert und auf die Belange von Menschen aufmerksam macht.
Der Mietmanager, dessen Briefe Myrzak in seinem Aktenordner hat, wünscht keine Öffentlichkeit. Per E-Mail lässt er wissen: „Ich widerspreche dieser Veröffentlichung sowie jeder sonstigen Veröffentlichung in dieser Angelegenheit, die Rückschlüsse auf Ort, Zeit und Geschehen sowie meine Person zulässt oder zulassen kann, und insbesondere verbiete ich Ihnen, meinen Namen zu nennen, zu verwenden, abgekürzt zu verwenden oder auch nur anzudeuten.“
Sascha Klupp hat in diesem Jahr ein weiteres Haus gekauft. Es liegt in Charlottenburg, „nur wenige Gehminuten vom beliebten Savignyplatz“ entfernt, wie es in der Pressemitteilung heißt, und verfügt über „zwölf herrschaftliche Altbaueinheiten“.
Mitarbeit: Tiemo Rink