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Ministerin mit Genossen. Übergabe des Schecks über 750000 Euro an die Chefs der Wohnungsbaugenosenschaft Märkische Scholle.
© Ralf Schönball

Wohnungsbau in Berlin: Innovationspreis für Lichterfelder Wohnsiedlung

Ausgerechnet die Wohnungsbaugenossenschaft Märkische Scholle bekommt einen Innovationspreis von Bundesumweltministerin Hendricks. Dafür gibt es gute Gründe: Vorbildlich sanieren, ohne Mieter zu verdrängen - das hat in Berlin seltenheitswert.

Schwarz, schwer, breit – der gepanzerte Ministerinnen-Audi ist fast so lang wie die Erdgeschosswohnung in der Gartenstadt Lichterfelde Süd, vor der er hält. „Hoffentlich hat der wenigstens Hybrid-Antrieb“, tuschelt einer, während ein Mann mit breiten Schultern Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) die Tür aufhält. Ausnahmezustand herrscht vor den frisch verputzten, aufgestockten 60er-Jahre-Bauten in der Schwelmer Straße. Eine Ministerin zu Besuch – das ist wohl der vornehmste Besuch in der fast 100-jährigen Geschichte der „Wohnungsbaugenossenschaft Märkische Scholle“.
750 000 Euro bringt Ministerin Hendricks mit und eine dicke Klarsichthülle mit der Begründung der Gutachter, warum ausgerechnet diese Sanierung von 120 Wohnungen den Preis vom „Umweltinnovationsprogramm“ verdient. Die Antwort ist: Die Genossen zahlen fast nichts mehr für Heizung und warmes Wasser, das alles machen Sonne und Solartechnik auf dem Dach, aber trotzdem bezahlen sie kaum mehr Miete als vorher. Deshalb muss auch keiner ausziehen und eine billigere Wohnung suchen. Hightech, aber sozial – wenn das Schule machte, wäre die Wohnungsnot in Berlin jedenfalls nicht mehr so groß.

Hat sich das nicht beim Senat herumgesprochen?

Hat sich das nicht bis zur Bauverwaltung herumgesprochen? Die hatte niemanden geschickt, dabei ist Behörden-Chef Andreas Geisel (SPD) mit dem gleichen Thema beschäftigt: bezahlbares Wohnen in Neubaugebieten. Und zwar zwangsweise. Wenn künftig eine neue Siedlung entsteht, muss der Bauherr jede vierte Wohnung für 6,50 Euro je Quadratmeter vermieten.„Kooperative Baulandentwicklung“ nennt Geisel das.

Senat schreibt Bauherren billige Wohnungen vor

Die Vorschrift gilt nur bei großen Industrie- oder Bahnarealen, die noch kein Bauland sind, also in „städtebaulichen Entwicklungsgebieten“. Der Beschluss des Senats ist eine Reaktion auf schwer wiegende Versäumnisse: Bereits seit 2014 wendet der Senat dieses Modell an, bisher entstand aber kaum eine Sozialwohnung in den großen Wohnungsbauquartieren, wie der Senat auf eAnfrage der Grünen im Abgeordnetenhaus einräumte. Die neue Vorschrift ist nicht ohne Tücken, denn der Investor muss nicht nur die billigen Mietwohnungen anbieten, sondern er bezahlt auch die Anlage von Grünflächen, den Bau von Kitas und Schulen, von Straßen und Leitungen. Zwar steht in der Vorschrift auch, dass „die Kosten für den Investor den planungsbedingten Bodenwertzuwachs nicht übersteigen“ dürfe. Aber die Baulandpreise sind teuer in Berlin, so jedenfalls klagen die Wohnungsbauverbände, und deshalb fürchten Experten, dass die Finanzierung des einen Viertel günstiger Wohnungen die Preise der anderen drei Viertel danach oben treiben wird.

30000 Euro kostet ein Schulplatz

Dabei ist bereits heute der kostendeckende Neubau von Mietwohnungen nicht für weniger als elf Euro je Quadratmeter und Monat zu haben. Das rechnet der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen vor (BBU, Slogan: „Wir sind die Guten“), zu dem auch die landeseigenen Firmen gehören und dessen Bestandsmieten unter dem Mietspiegel liegen. BBU-Chefin Maren Kern forderte die Politik deshalb dazu auf, die Baupreise nicht durch „noch mehr Regulierungen“ noch weiter zu erhöhen und rechnete vor, dass jeder Schulplatz mit 30000 Euro zu Buche schlage. Die Aufforderung galt auch Hendricks, denn deren Umweltschutzauflagen (Enev) erhöhen drastisch die Baupreise. An Problembewusstsein fehlt es im Ministerium nicht, eine Kommission zur Kostensenkung gibt es immerhin schon.

Weniger dicke Dämmung wäre mehr

Auch der Chef der Wohnungsbaugenossenschaft Märkische Scholle Jochen Icken half Hendricks aus mit einem konkreten Verbesserungvorschlag aus der Praxis: Die Vorschriften zwängen Bauherren bei der Sanierung von Wohnungen dazu, „mehr Dämmung an den Gebäuden anzubringen, als technisch und zur Senkung des Energieverbrauchs nötig wäre“. Warum der Bund nicht einfach eine Grenze beim Primärenergieverbrauch festlege und den Bauingenieuren überlasse, wie sie dieses Ziel erreichen? Schöner wäre es allemal, die sanierten Wohnhäuser in Lichterfelde sind so dick in Styropor eingepackt, dass die schmalen Waschraumfenster so tief liegen wie Schießscharten in Burgen.

"Im Nachhinein" gefällt es auch den Mietern

Und gefällt’s auch den Mietern, pardon: den Genossen? „Im Nachhinein, ja“, sagt Wolfgang Trawinski. Statt der geplanten sechs habe die Bauzeit elf Monate gedauert „und die saftige Mieterhöhung von 90 Euro“ müsse er erst mal verdauen. Jetzt wartet er gebannt auf die erste Nebenkostenabrechnung – ob er das wieder reinkriegt durch Einsparung von Heizkosten? Der Genossenschaft zufolge beträgt die Modernisierungumlage zwei Euro je Quadratmeter– und die Mieter zahlen 35 Cent für Heizung und warmes Wasser, statt bisher 1,50 Euro. Gesetzlich erlaubt wäre eine mehr als doppelt so hohe Umlage. Aber darauf verzichtete die Genossenschaft, der Mieter zuliebe. Nachtrag zur Wohnungsnot. Der Bezirk Mitte meldet, das Verbot von Ferienwohnungen greife: 220 seien wieder umgewandelt zu regulären Wohnungen. Dem Senat zufolge sind stadtweit 6300 Ferienwohnungen angezeigt, bei denen die Zweckentfremdung bis spätestens Mai 2016 enden muss. Die Dunkelziffer liege bei mutmaßlich weiteren 6000 bisher nicht gemeldeten Ferienwohnungen.

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