Bürgerbeteiligung mit Florian Schmidt: In Kreuzberg soll ein 100-Meter-Hochhaus entstehen
Neubauten an der Schöneberger Straße sind längst genehmigt. Ein Bauherr will mehr: ein Hochhaus. Ziehen die Bürger mit? Eine Debatte über die Pläne.
Wer keine gute Alternative hat, muss sich mit dem geringeren Übel abfinden. So ungefähr lassen sich die Optionen der Kreuzberger Anwohner an der Schöneberger Straße zusammenfassen. An die fünf Dutzend Interessierte waren der Einladung zur ersten öffentlichen Diskussion der Hochhaus-Pläne der Firma UTB am Montagabend in der Fanny-Hensel-Schule gefolgt.
Gebaut wird auf der angrenzenden Brache ohnehin. Dort gehen zurzeit Auto-Schrauber, Musiker, Imbiss-Betreiber und andere ihrem Gewerbe nach. "Dass gebaut wird, steht fest, der Voreigentümer hat einen positiven Bauvorentscheid, der ist amtlich", sagte der Projektentwickler Tom Bestgen. Nicht genehmigt sind allerdings dessen himmelstürmende Pläne. Einen 100 Meter hohen Turm will Bestgen bauen - der würde es also mit dem braun-roten Kollhoff-Tower am Potsdamer Platz aufnehmen.
Um das durchzusetzen, warf der Unternehmer einen Köder aus: Die Nachteile des Turmbaus – lange Schatten auf benachbarte Häuser und der für Hochhäuser typische Luftzug am Bürgersteig von den Fallwinden – will er durch offene Flächen für alle Anwohner, günstige Mietwohnungen sowie Räume für kulturelle und soziale Träger ausgleichen.
Ein Projekt nach Schmidts Geschmack
Das ist nach dem Geschmack von Florian Schmidt (Grüne). Der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg hat vor seinem Amtsantritt selbst ähnliche Bauvorhaben auf den Weg gebracht: Am Blumengroßmarkt gegenüber vom Jüdischen Museum, am Alexanderplatz das Haus der Statistik. Auch dort sollen bezahlbare Wohnungen, Ateliers sowie Läden für Nachbarschaftsinitiativen, soziale Träger und kleine Gewerbetreibende entstehen. Kurzum: Es geht um die Erhaltung der Berliner Mischung. Und Schmidt hat dieses Engagement auch in seiner neuen politischen Funktion nicht aufgegeben.
Das macht ihn verdächtig für die FDP - und auch Teile der Sozialdemokraten. Vor allem die Liberalen werfen dem Grünen-Politiker "Vetternwirtschaft" vor. Wegen einer bezirklichen Auftragsvergabe für eine von Aktivisten mitgegründete Firma etwa. Auch bei der Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten der unter heftigen Wehen gegründeten Neu-Genossenschaft "DieseEG" wittert die FDP den Missbrauch von Steuergeldern, weil die Genossenschaft Förderungen des Landes erhielt.
[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]
Hier schließt sich auch der Kreis zu Bestgen. Denn die DieseEG hätte Schmidt um ein Haar das Amt gekostet. Noch während deren Gründung drohte ihr schon die Insolvenz. Und das hätte Schadensersatzansprüche in Millionenhöhe gegen den Bezirk auslösen können. Dass es nicht so kam, hat auch mit dem UTB-Chef zu tun. Er half aus mit Krediten für die DieseEG. Bei seinem Hochhaus-Projekt ist Bestgen wiederum auf Genehmigungen des Bezirks angewiesen. Umso gespannter war man deshalb darauf, ob und wie stark sich Schmidt für den Turmbau einsetzen würde.
Baustadtrat: ein "Experiment", das etwas für Berlin leistet
"Die UTB kam vor zwei Jahren auf mich zu", sagte Schmidt am Montagabend. Sie habe eine "Experiment" wagen wollen: ein Hochhaus mit sozialer Mischung. 30 Prozent Wohnraum für 6,70 Euro je Quadratmeter, 30 Prozent genossenschaftliche Wohnungen und der Rest Eigentumswohnungen. "Das klingt erstmal ziemlich interessant", so Schmidt.
Er berichtete von der Vorstellung der Pläne im Baukollegium, einem beratenden Gremium der Senatsbaudirektorin Regula Lüscher. Dort habe das Konzept Zuspruch gefunden, aber nicht der Entwurf für das Scheibenhochhaus und auch nicht dessen zu große Nähe zur Straße. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag werde die Sozialwohnungen übernehmen, "damit die dauerhaft bezahlbar bleiben", so Schmidt. Es sei also ein "kompliziertes Projekt". Das müsse nun "ergebnisoffen" unter Beteiligung der Bürger weiterentwickelt werden. Die UTB habe "einen guten Ruf". Das "Experiment" leiste "etwas für die Stadt". Trotzdem werde die Firma das Projekt "nicht durchboxen und kann es in Kreuzberg auch gar nicht".
Entwickler Bestgen warb anschließend für ein "offenes" Hochhaus mit "gemischter" Bewohnerschaft. Der Kreuzberger Kiez entstehe gleichsam in der Vertikalen. Es entstehe eine öffentliche Terrasse mit Café-Betrieb auf dem Dach. Zu dem führe ein offenes Treppenhaus mit wiederum öffentlichen Flächen auf mehreren Ebenen. Dem Musiker, der im Publikum von den Proberäumen auf der Brache berichtete, versprach der Entwickler Musikräume im Turm bei Bedarf. Fehlende Ateliers und Kita-Flächen könne es geben. Und in den Abendstunden verwandle sich das Dachcafé in eine Musikkneipe ähnlich dem "Yorckschlösschen" in Kreuzberg. "Wir garantieren die Mischung, und wenn das nicht funktioniert, werden wir es nicht machen", so Bestgen.
Die Stimmen der Anwohner:
- Zwei Kritikerinnen setzten sich gegen den Bau eines Hochhauses ein.
- Dem Musiker von der Brache stellte der Investor Proberäume in Aussicht.
- Eine Anwohnerin warnte vor der Alternative: Luxuswohnungen in "horizontalen" Neubauten.
Im Publikum wirkte aber auch die drohende Alternative. Dass das Grundstück dann an den "Ersterwerber" zurückfalle. Und dass dann "Luxuswohnungen in der Horizontalen wie am Gleisdreieck-Park" entstehen könnten, wie eine Anwohnerin meinte. Eine andere warnte vor Zuständen wie am Moritzplatz. Dort sei sie 2011 hingezogen. "Jetzt gibt es nur noch Rieseninvestoren, die alle plattmachen". Es gebe keine Mischung mehr. Jede Gastronomie gehe ein. Kein Variété, kein Kino. Sie werde da weggehen. Und: "Ich würde mich für ein Atelier mit Galerie-Raum hier bewerben".
Kritikerinnen waren bestens vorbereitet
Kritik gab es auch. Hervorragend vorbereitet hatten sich zwei Anwohnerinnen, die sich gegen das Hochhaus engagieren. Dass ein Hochhaus in der fast durchgängig auf Traufhöhe ausgerichteten Schöneberger Straße planerisch überhaupt zulässig nach den neuen Senatsrichtlinien sei, bezweifelten sie. Sie warnten vor dem Schattenwurf, der die Licht- und Wohnverhältnisse in der Umgebung beeinträchtigten. Betroffen sind sie selbst auch, denn sie erwarben Wohnungen in dem zur Internationalen Bauausstellung errichteten Haus am Hafenplatz gegenüber der Brache. Andere im Publikum warnten, ein Hochhaus sei nie öffentlich. Das Hausrecht bleibe beim Eigentümer. Offene Flächen könnten bald wieder geschlossen werden.
Doch die Kritik stieß auf geteilte Zustimmung. Die Vision des sozialen gemischten Hochhaus, der allen etwas bietet, wirkte. So wollte ein Herr wissen, ob der Entwickler auch offen für die Übernahme von Wohnungen durch eine Genossenschaft von Anwohnern sei. Bestgen begrüßte das. Er habe selbst mehrere Genossenschaften gegründet. Doch er regte alternativ den Einstieg in eine bestehende Genossenschaft an, die die Flächen im Neubau übernehmen könne. Vielleicht auch eine derjenigen, die er selbst gegründet hatte.
In der Parlamentsdebatte zu den Geschäften der „Diese e.G“ am Mittwoch sollen die Präsidentin des Rechnungshofes, der Finanzsenator, die Stadtentwicklungssenatorin sowie die teils unter Druck gekommenen Bezirksstadträte Florian Schmidt (Friedrichshain-Kreuzberg) und Jörg Oltmann (Tempelhof-Schöneberg) Rede und Antwort stehen. Entsprechende Anträge stellte die AfD-Fraktion. Zentrale Fragestellung: War „Untreue“ im Spiel bei der Ausübung des Vorkaufsrechts sowie der Förderung der Genossenschaft? Zu den Vorkäufen wird auch der Senat selbst berichten.