Infizierte Rückkehrer, steigender R-Wert, illegale Partys: In Berlin wächst die Angst vor der zweiten Welle
Kommt der Kontrollverlust wegen steigender Corona-Zahlen? Die Gesundheitssenatorin warnt, die Politik versucht Vorsorge zu leisten.
Illegale Partys, laxer Umgang mit Hygieneregeln im Restaurant und Urlaub in Risikoländern: In der Corona-Krise hat Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci Vorsicht angemahnt. Man müsse sehr wachsam sein, damit sich die Lage nicht drastisch verschlechtere, sagte die SPD-Politikerin am Montag in einer Sondersitzung des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus.
Trotz derzeit relativ niedriger Infektionszahlen gebe es in Berlin keinen Anlass, sich zurückzulehnen. Mit Unverständnis reagierten mehrere Ausschussmitglieder auf Partys Tausender Menschen am Wochenende in der Hasenheide. Kritik wurde außerdem an Verstößen gegen die Corona-Regeln im Alltag und an mangelnden Kontrollen laut.
Dass sich so manche Großveranstaltung aus der vergangenen Zeit wie die Schlauchboot-Demo auf dem Landwehrkanal nicht zum Ausbruchsherd entwickelt habe, sei kein Grund zur Entwarnung - dies gehe auf die niedrigen Infektionszahlen zurück, betonte die Senatorin. Mit stärkerer Virus-Verbreitung könnten solche Zusammenkünfte folgenreich sein: Es reiche die Anwesenheit von ein oder zwei Infizierten - „und es geht nicht mehr gut“, sagte Kalayci.
Mit Blick auf die Feiernden in Neukölln, die einen Polizeieinsatz ausgelöst hatten, sagte sie: „Ich verstehe diese Menschen nicht.“ Sie gehe fest davon aus, dass der Bezirk Ordnungswidrigkeiten verfolge. Den Bezirken seien die Parks, „wo Partys gemacht werden“ sowie die Cafés, wo Menschen dicht beieinander sitzen, bekannt, ergänzte sie in der rbb-„Abendschau“ und sprach sich für schärfere Kontrollen und gegebenenfalls auch höhere Bußgelder aus. Manche Ausschussmitglieder forderten legale Partys mit Regeln.
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Die Senatorin warnte außerdem vor dem Einschleppen des Virus aus Urlaubsregionen: Sie verwies auf eine betroffene siebenköpfige Familie aus Spandau, die über den Flughafen Schönefeld aus dem Urlaub zurückgekommen sei. Details zu dem Fall, wie das Land, aus dem die Familie einreiste, nannte sie nicht.
Das Thema Reisen bereite große Sorge - hier soll künftig mehr vorsorgliches Testen helfen. Kalayci beschrieb die weltweite Lage als „sehr besorgniserregend“; manche Länder erlebten zweite und dritte Wellen und führten neue Eindämmungsmaßnahmen ein. Was in anderen Ländern passiere, sollte eine Mahnung auch für Berlin sein.
In Berlin steigt der R-Wert
Reiserückkehrer aus Corona-Risikogebieten werden sich künftig auf das Virus testen lassen müssen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will eine entsprechende Pflicht anordnen, wie er am Montag sagte. „Wir müssen verhindern, dass Reiserückkehrer unbemerkt andere anstecken und so neue Infektionsketten auslösen“, sagte der CDU-Politiker. Die Tests sollen für die Reisenden kostenfrei sein.
Bis das Ergebnis vorliegt, gilt laut Kalayci weiter die Quarantänepflicht. Außerdem hätten die Gesundheitsminister beschlossen, die Aussteigerkarten mit Flugdaten der Reisenden wieder einzuführen. Die Senatorin und der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Berliner Kassenärztlichen Vereinigung, Burkhard Ruppert, zeigten sich in der „Abendschau“ optimistisch, dass Reiserückkehrer, die sich freiwillig testen lassen wollen, Termine bei Hausärzten bekommen. Reisende aus Nichtrisikogebieten könnten sich Kalayci zufolge binnen 72 Stunden testen lassen.
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Laut Gesundheitsverwaltung liegt der sogenannte R-Faktor in Berlin bei 1,57 und damit wie im Bund deutlich über 1. Das sei eine Vorwarnung, wie die Zahlen an Neuinfektionen steigen könnten, sagte Kalayci. Die sogenannte Reproduktionszahl gibt an, wie viele Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt. Angestrebt werden Werte unter 1, um die Pandemie abzubremsen. In den vergangenen sieben Tagen wurden laut der Senatorin 215 neue Fälle in Berlin erfasst; Schwerpunkte seien Mitte und Reinickendorf.
Kalayci sieht Nachlässigkeit bei Corona-Kontrollen
Mehr als die Hälfte der Corona-Infektionen geschehen demnach im Bereich privater Haushalte, zum Beispiel bei Familienfeiern und anderen Zusammenkünften. Das sei ein Umstand, an den man schwer rankomme - aber auch dort würden Abstandsregeln gelten, erinnerte Kalayci. Generell könnten Bürger mit ihrem Verhalten den weiteren Verlauf beeinflussen - die Ausbreitung des Virus sei keine „gottgegebene“ Angelegenheit.
Auch wegen einer „gewissen Nachlässigkeit“ im Umgang mit Corona-Regeln in Gaststätten sprach sich Kalayci für mehr Kontrollen und Bußgelder aus. Dieses Signal bräuchten einige in der Stadt. Auch für eine Erhöhung der Bußgelder zeigte sie sich offen. Der Bezirk Mitte hatte vergangene Woche von mehreren Ansteckungen im Zusammenhang mit einem Abend in einer Bar unter dem Fernsehturm und mehreren Verstößen wie unvollständigen Kontaktlisten berichtet. Kalayci zufolge häufen sich solche Fälle jedoch bisher nicht.
Außerdem erwähnte die Senatorin eine betroffene Flüchtlingsunterkunft in Lichtenberg. Wie das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten auf Anfrage mitteilte, sind dort elf Menschen positiv auf das Coronavirus getestet worden. Mit zwei weiteren Kontaktpersonen lebten die Betroffenen einstweilen separat in einer Unterkunft in Pankow.
Generell würden Ausbrüche nun zügig beherrscht - mit schnellem Testen und Quarantäne, erklärte die SPD-Politikerin. Inzwischen sei man „sehr sensibilisiert“, was Arbeitsplätze und die Nicht-Einhaltung von Hygieneregeln angeht. Betroffen sei etwa ein Frischgemüse-Unternehmen in Lichtenberg mit mehr als 70 Beschäftigten, die größtenteils in Brandenburg im Kreis Barnim wohnten. Dort würden die klassischen Maßnahmen getroffen. Die aktuelle Zahl der Infizierten in dem Fall wurde nicht genannt.
Was im Herbst komme, könne niemand vorhersehen, sagte Kalayci. Man wolle es von den Infektionszahlen abhängig machen, ob noch 300 weitere Betten im eigens eingerichteten Behandlungszentrum auf der Messe benötigt werden. Die Halle derzeit für die Messe freizugeben, „wäre fahrlässig“, so die Senatorin. Die Messe bekomme Miete und mache so ein Plusgeschäft. (dpa)
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