Israelis in Berlin: In allen Kiezen zu Hause
Für viele Israelis ist Berlin die wichtigste Stadt Europas – 20.000 leben hier, bald dürften es mehr werden.
Sicher, an dieser Stelle müsste man von den DJs aus Tel Aviv erzählen, die regelmäßig in Berliner Clubs auflegen. Von den lockigen Jungen, die den Sommer auf den Festivals im Brandenburger Umland verbringen – und dabei die eine oder andere Pille einschmeißen. Von Humus-Lokalen, Schneidereien, IT-Start-ups, die von Frauen und Männern aus Jerusalem und Haifa nun in Mitte und Neukölln aufgebaut worden sind. Auch von „Spitz“, dem hebräischen Magazin aus Berlin, dass alle zwei Monate in einer Auflage von 2000 Stück erscheint.
Vielleicht aber erzählt man eher von Danielle Reiss, 27 Jahre, Studentin. Denn dass auf der Oranienstraße in Kreuzberg, der Pappelallee in Prenzlauer Berg oder im Südkiez Friedrichshain zunehmend Hebräisch zu hören ist, haben viele schon mitbekommen: Geschätzt 20.000 Israelis leben in Berlin, die meisten in der Innenstadt. Reiss aber lebt dort, wo statistisch die meisten Ur-Berliner wohnen dürften – außerhalb des S-Bahn-Ringes. Kürzlich ist sie in die Nähe der Grenzallee gezogen, die Miete dort ist günstiger.
Reiss studiert Industriedesign an der Hochschule für Technik und Wirtschaft – und zwar auf dem Campus in Schöneweide, den viele West-Berliner allenfalls aus der Zeitung kennen. Dass Reiss im einst als Rechtsradikalen-Kiez geschmähten Schöneweide von einer ebenfalls aus Israel kommenden Dozentin unterrichtet wird, zeigt: Jüdische Israelis gehören nicht nur als Dauer- Feierer und Bildungsurlauber an Touristen-Hotspots zu Berlin, sondern auch als Studenten, Arbeiter und Vereinssportler in den Berliner Alltag.
Wieso eigentlich Berlin?
Vereinssportler? Danielle Reiss ist ein wenig zu ruhig für durchzechte Clubnächte – etwas, das viele Israelis explizit in Berlin suchen. Dafür aber ist sie konzentriert und als Trägerin eines schwarzen Gürtels bestens geeignet, Berliner Kindern abends Judo beizubringen.
Wieso eigentlich Berlin? „Nach der Armee wollte ich etwas Neues machen“, sagt Reiss, die an diesem Märztag nur ausnahmsweise in einem hippen Nord-Neuköllner Café sitzt. „Als Mädchen habe ich immer gedacht, ich müsse nach New York oder Los Angeles.“ Nach dem obligatorischen Wehrdienst gehen viele Israelis erst mal ins Ausland. Ihre Mutter, deren Familie aus Deutschland stammt, regte an: Versuch es doch mal in Berlin. „Das Leben in Israel zehrte an mir“, sagt Reiss.
Weil Mieten und Preise in den Supermärkten anziehen, weil es immer weniger Jobs gibt, weil die politische Stimmung aggressiver wird, beschlossen viele säkulare, linke, gut ausgebildete Israelis in den vergangenen Jahren, nach Berlin zu gehen. Wegen ihrer Familiengeschichte erhielt Reiss die deutsche Staatsbürgerschaft und bezieht nun Bafög. Viele Israelis haben einen zweiten Pass, oft den ihrer Vorfahren: rumänisch, ungarisch, polnisch. Dazu kommen Staatsbürgerschaften der USA und Kanadas, weshalb sich nicht feststellen lässt, wie viele Israelis tatsächlich in Berlin leben.
"Auf der Straße sind die Deutschen oft kalt"
Im Sommer 2010 landete Reiss in Berlin und wohnte erst bei einer Bekannten der Familie. Der Anfang – und das berichten viele Israelis – war hart: Selbst im Sommer spielt das Leben seltener auf der Straße als das im mediterranen Israel. Die Deutschen mögen ernst, zuweilen schroff sein, die Berliner sind es mit Sicherheit. „Auf der Straße sind die Deutschen oft kalt, als Freunde aber sehr warmherzig“, sagt Reiss. Die Winter, auch das sehen viele Israelis so, trügen dazu bei.
„Man mummelt sich zu Hause ein“, sagt Reiss. „Und wenn man draußen ist, bleibt man oft kurz angebunden.“ Anders, als viele glauben, kommt man auch nicht überall mit Englisch weiter. Reiss verbesserte ihr Deutsch, sie hatte im Goethe-Institut in Tel Aviv vorgelegt, und tingelte zu WG-Besichtigungen: Wer ein Zimmer will, bewirbt sich vor Ort. Mal zieht sie für Monate, mal für ein Jahr zur Zwischenmiete nach Mitte, Friedrichshain, Neukölln – Reiss hat in mehr Kiezen gewohnt als viele Berliner.
Was ist mit Antisemitismus? In Online-Netzwerken der israelischen Community in Berlin wird auch über Angriffe gesprochen. Nicht weit von dem Café, in dem Reiss sitzt, hatten 2014 drei Männer arabischer Herkunft einen Israeli zusammengeschlagen. In Charlottenburg, Steglitz und Neukölln wurden Juden attackiert. Seit dem Gaza-Krieg vergangenen Sommer, sagt Reiss, passe sie besonders auf. Einige sprechen in der U-Bahn nur leise Hebräisch. Kippa, Kopftuch, Davidstern tragen viele ohnehin nicht. „Jüdischsein ist mein kulturelles Erbe“, sagt Reiss. „Religiös bin ich nicht.“
Wahlabend in Prenzlauer Berg
Der Tag, an dem Reiss das alles erzählt, ist der 17. März – in Israel wird gewählt. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte die Regierungskoalition platzen lassen und einen Law-and-Order-Kurs angekündigt. In Berlin sagen viele Israelis, er trage zur Isolation des Landes bei.
An diesem Abend treffen sich an vielen Orten der Stadt junge und alte Israelis zu privaten Wahlpartys. In einer Kneipe in Prenzlauer Berg sitzen 60 von ihnen vor einer Leinwand. Es gibt – kulinarisch unerschütterlich patriotisch – Humus. Als die ersten Ergebnisse übertragen werden, seufzen die einen und schimpfen die anderen: Netanjahu bleibt vorne. In Tel Aviv haben sich einige noch am Wahlabend gefragt: Ab nach Berlin?
Die israelischen Berliner durften nicht wählen – dazu hätten sie nach Israel fliegen oder als Staatsdiener in der Botschaft tätig sein müssen. Gut für Netanjahu: In der Kneipe in Prenzlauer Berg haben sie am 17. März immerhin symbolisch abgestimmt. Gewonnen hat ganz klar: Meretz, die Linkspartei.
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