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Die Touristen kommen, die Schüler bleiben aus.
© dpa

Gedenken verlernt: Immer weniger Schüler besuchen KZ-Gedenkstätte

Günter Morsch, Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, fürchtet, den Kontakt zu den Berliner Schulen zu verlieren. Dabei sollte der Besuch eines Konzentrationslagers zur Pflicht für junge Leute werden.

Keine Lust auf Aufarbeitung? Immer weniger Schülergruppen aus Berlin besuchen die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg. Während die allgemeinen Besucherzahlen im vergangenen Jahr deutlich stiegen, scheint das Interesse der Berliner Schulen an einem Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers abzunehmen. So hat sich die Zahl der Gruppen von 2007 bis 2011 halbiert. „Der Trend ist mehr als bedenklich“, findet Gedenkstättenleiter Günter Morsch. Es sei Fakt, dass das historische Wissen bei Jugendlichen nachlasse.

Nicht nur bei den Schülerzahlen zeige sich ein abnehmender Trend. Auch die Weiterbildungsmaßnahmen für Geschichtslehrer, die in Sachsenhausen angeboten werden, müssten häufig wegen mangelnder Nachfrage abgesagt werden. „Uns gehen die Netzwerke zu den Schulen verloren“, sagt Morsch. Einen weiteren Grund für den rückläufigen Trend sieht er im Konkurrenzverhältnis zwischen den vielen Orten der Erinnerung in und um Berlin. Die Schulen müssen sich entscheiden: Mit dem Haus der Wannseekonferenz, der Topographie des Terrors und dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas stehen gleich mehrere zur Wahl. Aber können diese den realen Besuch in einem ehemaligen Konzentrationslager ersetzen?

Dr. Peter Lautzas vom Deutschen Geschichtslehrerverband sagt: „Ein ehemaliges Konzentrationslager zu besuchen sollte für alle jungen Leute Pflicht sein.“ An einem solchen Ort des Leidens würden die Schüler emotional berührt, sagt der Pädagoge. Dies helfe erheblich dabei, die Inhalte des Geschichtsunterrichts zu vermitteln. Auch Marion Gerber, Fachbereichsleiterin für Geschichte an der Reinickendorfer Bertha-von-Suttner-Oberschule, sagt, es sei für Schüler notwendig, ein Konzentrationslager zu besuchen. „Das ist ein authentischer Ort“, sagt Gerber – sowohl mit Blick auf die Perspektive der Opfer als auch mit Blick auf die Perspektive der Täter. An ihrer Schule werden nach wie vor Exkursionen nach Sachsenhausen unternommen. Das hänge auch vom persönlichen Schwerpunkt eines Lehrers ab, sagt Gerber. Verankert ist das Thema im Lehrplan der 9. und 10. Klasse, weshalb vor allem Schüler aus der Mittelstufe nach Oranienburg aufbrechen. In der Oberstufe ist eine Exkursion pro Halbjahr Pflicht, während im Rahmenplan der Mittelstufe lediglich dazu angeraten wird. Weil die Lehrpläne so eng seien, sei generell immer weniger Zeit für Ausflüge, beklagt Gerber. Die Lehrpläne müssten Priorität haben, findet Lydia Weitze, pädagogische Koordinatorin an der Flatow-Oberschule in Köpenick. Immerhin gingen ganze Schultage verloren. Sie hält nichts von verpflichtenden Besuchen in Konzentrationslagern. In ihrer Schule würden Lehrer und Schüler gemeinsam entscheiden, wo es hingehe. Häufig entscheide man sich für einen Ort in der Nähe.

Auch Oranienburg liegt gerade einmal eine halbe Stunde mit dem Regionalexpress vom Berliner Hauptbahnhof entfernt. Das am Reißbrett entworfene Lager gilt als Muster für andere Konzentrationslager. In unmittelbarer Nähe zur Reichshauptstadt Berlin gelegen, hatte es eine Schlüsselrolle im komplexen Geflecht deutscher Konzentrationslager. In der Zeit zwischen 1936 und 1945, in der die Anlage von SS-Truppen auch als Ausbildungslager genutzt wurde, waren hier mehr als 200 000 Menschen inhaftiert. Mehrere Zehntausende wurden ermordet, viele von ihnen fanden den Tod durch Zwangsarbeit, Hunger oder Krankheit. Die unmittelbare Nähe zur Stadt Oranienburg brachte dem Lager den Beinamen „das gläserne KZ“ ein.

Jonas Breng, Sina Schroeder

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