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Michael Grasze
© Uwe Steinert

Reinickendorf: Im Weltkulturerbe lässt sich's leben

Viele Bewohner freuen sich über den Unesco-Titel. Sie haben aber auch Angst vor Veränderungen.

Im tiefen Landeanflug auf Tegel brummt eine Maschine über die Aroser Allee. Ursula Aurisch steht vor der Haustür und blinzelt nach oben. Die Flugzeuge sind längst wie Nachbarn für sie. Die Reinickendorferin wohnt gern hier, seit über 50 Jahren, und der Krach von oben stört sie nicht. Sie strahlt. "Jetzt bin ich Weltkulturerbin geworden“, sagt sie stolz. "Aber ich weiß nicht, was das mit sich bringt.“

Die Freude mischt sich mit der Befürchtung, irgendetwas könnte sich ändern, strenger und teurer werden für die Mieter. Hier, in der Weißen Stadt in Reinickendorf, die mit fünf anderen Berliner Siedlungen des frühen sozialen Wohnungsbaus zum Weltkulturerbe erklärt worden ist. Michael Grasze vom nahen Laden "Teeblümchen“ freut sich auch über das Weltinteresse an seiner Umgebung, und hofft, dass Gelder in die Siedlung fließen. Mit der Wärmedämmung stehe es nicht zum Besten. Vieles müsste gemacht werden.

"Die Auszeichnung ist kein Grund für eine Mieterhöhung“

Eine moderne Markise würde er auch gern vor dem Laden anbringen, das dürfe er schon jetzt nicht. Der Denkmalschutz wird künftig noch genauer beachtet werden. Die Wohnungsbaugesellschaften und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erklären, für die Bewohner werde sich nichts ändern, etwa ein Welterbezuschlag erhoben. "Die Auszeichnung ist kein Grund für eine Mieterhöhung“, heißt es bei der Behörde. Sie und die Gesellschaften versichern auch, der Denkmalschutz sei ohnehin so streng, dass die Unesco, die ein Auge auf die Siedlungen werfe, ihn nicht mehr verschärfen könnte.

Aber die Gesellschaften haben die stille Hoffnung, dass sich doch etwas tut, die Siedlungen von ihrem neuen Image in irgendeiner Form profitieren und sich ihren Bewohnern als Besonderheit einprägen. Die Weiße Stadt gehört der "Deutsche Wohnen“, zu der die Gehag geworden ist, die vor zwei Jahren die Wohnungen von der GSW übernommen hat. Es gibt, sagt Bernhard Elias von der Eigentümergesellschaft, einen beachtlichen Investitionsstau. Viele der meist kleinen Wohnungen seien noch im Originalzustand, mit freistehenden Badewannen, stoffummantelten Kabeln auf Putz. Nur Stück für Stück könne die Siedlung modernisiert werden, für eine Komplettsanierung fehle das Geld, könne schon gar nicht über Mieterhöhungen finanziert werden.

Die Auszeichnung sei ein "reiner Schmuck“ und prestigeträchtig, aber nicht mit Geld verbunden. Am Image der Siedlungen müsse man nun arbeiten. Bei der Hufeisensiedlung in Britz, die nun auch zum Weltkulturerbe gehört, zeige sich, dass sie längst Leute anzieht, die sich sonst nicht für Neukölln interessiert hätten. So etwas könne es künftig auch hier in Reinickendorf geben. Der Leerstand ist gering, der Vandalismus zurückgegangen.

Denkmalschutz will gelernt sein

Senatsbaudirektorin Regula Lüscher wird am Freitag vermutlich neue Konzepte erläutern, die mit den Gesellschaften erarbeitet werden. Geplant sind Hinweise und Erklärungstafeln, auch touristisch soll einiges in Fahrt kommen. Die Fachleute wollen weltweit mit dem Weltkulturerbe in Berlin auftrumpfen.

Massentourismus, bei dem Besucher den Anwohnern in die Gärten und Wohnungen spähen, befürchtet Christoff Jenschke aber nicht. Er ist Vorsitzender des Vereins Freunde und Förderer der Hufeisensiedlung Britz. "Kommen werden auch künftig vor allem Architekturinteressierte in überschaubarer Zahl.“ Jetzt wolle sich der Verein, der sich für die Unesco-Anerkennung eingesetzt hat,vor allem die Bewohner beraten – etwa beim Umgang mit dem Denkmalschutz. Verschärfen werden sich die Auflagen nicht, meint auch Jenschke. Im Gegenteil: Da das Weltkulturerbe den Staat verpflichte, es zu erhalten, stiegen jetzt die Chancen auf eine bessere Pflege der Grünanlagen oder auch auf Förderprogramme für Hausbesitzer.

"Schaut hier die Welt hin?"

"Schön und harmonisch ist es hier“, sagen Johanna Lutz und Jeanette Schulz in der Erich-Weinert-Straße in Prenzlauer Berg. Sie blicken auf herausgeputzte Fassaden, zu denen nur die alten DDR-Laternen nicht passen wollen. Die Wohnstadt Carl Legien gehört zu den ausgezeichneten Siedlungen. Hier diskutieren die Bewohner am Mittag in der Bäckerei an der Ecke, was das Kulturerbe so bringen kann. So richtig verstehen können einige die große Ehre nicht. "Schaut hier die Welt hin?“ fragt einer skeptisch. Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Die Mieten dürften nicht steigen, sagen sie. Aber allen gefällt es hier, keiner will aus der Gegend wegziehen. Jetzt schon gar nicht.

Dass sich Menschen wirklich wohlfühlen, war das Ziel der frühen Sozialbauten. Helle Wohnungen, mit eigenen Bädern und möglichst viel Grün drumherum. Dass Flugzeuge darüber fliegen wie in der Weißen Stadt war nicht geplant. Das wird sich bald ändern. Frau Aurisch glaubt es nicht. Ein anderes Kapitel.

Christian van Lessen

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