Amtsübergabe im Roten Rathaus: Im Wappensaal brennt wieder Licht
267 Räume, eine Hintertür und 16 Schornsteinfeger: Auf der Suche nach dem Geist des Roten Rathauses.
So ein Rathaus will auch mal seine Ruhe haben. „Geschlossene Veranstaltung“ verkündet ein Schild am Haupteingang, aber eine italienische Lehrerin hat es doch irgendwie geschafft, ihre Klasse vorbei an dem Mann vom Wachschutz und den Damen vom Empfang zu schleusen. Beim Rundgang erzählt ihr der Reporter von der Besonderheit des Tages. „Berlin bekommt heute eine neue Regierung!“ Die Lehrerin antwortet mit einem irritierten Blick. Ein politisch natürlich völlig unkorrekter Übersetzungsversuch aus der Mimiksprache könnte so lauten: „Regierungswechsel? Gibt es bei uns alle paar Wochen. Was findet ihr so besonders daran?“
Das Rote Rathaus blickt zurück auf ewige dreizehneinhalb Jahre mit ein und demselben Hausherr. Am Mittwoch aber hat er sich verabschiedet und schwebt nur noch als Geist durch die 267 Säle und Veranstaltungsräume und Büros. Da fügt es sich gut, dass der neue Hausherr recht eng mit dem alten zusammengearbeitet hat und dem Roten Rathaus keinesfalls als Fremder gegenübertritt. Michael Müller kennt hier alle Schleichwege. Das ist schade für die tapferen Aktivisten von Greenpeace, die vor dem Haupteingang warten und den frisch gewählten Regierenden für ihren Kampf gegen den Braunkohle-Abbau in Brandenburg gewinnen wollen.
Müller kommt über den Hintereingang
Na, da würden sich die Brandenburger aber bedanken, wenn der Herr Müller ihnen in einer ersten symbolischen Regierungserklärung mal so richtig Bescheid gegeben hätte in Sachen Energiepolitik. Es gibt denn auch kein gemeinsames Foto mit Greenpeace, weil Müller das Rathaus durch den Nebeneingang betritt. Unten an der Haupttreppe steht ein kleines Denkmal für den vormaligen Umwelt-Senator Michael Müller. Eine digitale Installation gibt Auskunft darüber, wie viel Energie die auf dem Rathausdach montierten Sonnenkollektoren produzieren. Der aktuelle Tagesertrag liegt bei 2,8 Kilowattstunden, und viel mehr dürften an diesem wolkenverhangenen Tag nicht herausspringen.
Die Haupttreppe ist 39 Stufen hoch, ausgelegt mit rotem Teppich und flankiert vom Glück, es besteht aus 16 Spalier stehenden Schornsteinfegern. „Da kann ja nichts mehr schief gehen“, sagt Müller. Am Ende der Treppe thront überlebensgroß die Büste von Ernst Reuter, dem berühmtesten aller Regierenden Bürgermeister, an dem sich alle Nachfolger messen lassen müssen. Reuter hat hier nie regiert. Als das im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigte Rote Rathaus 1955 wieder bezogen wurde, war Berlins Verwaltung schon geteilt. Im Osten herrschte die SED, und zur Einweihung des neuen alten Rathauses verkündete sie: „Von hier aus wird einst ganz Berlin verwaltet werden!“ So ist es ein paar Generationen später auch gekommen. Und doch ein wenig anders, als es sich der kommunistische OB Friedrich Ebert damals vorgestellt hatte.
Die U-Bahnstation vor dem Haupteingang soll irgendwann Berliner Rathaus heißen
Hochoffiziell gibt es gar kein Rotes Rathaus. Angeblich wollte Eberhard Diepgen nach der Wende nicht mit einer politisch vorbelasteten Farbe in Verbindung gebracht werden. Die U-Bahnstation vor dem Haupteingang wird Berliner Rathaus heißen, wenn sie denn irgendwann einmal fertig sein sollte. Die Baugrube ist von rotbraunen Trennwänden umzäunt und verleiht dem Platz den Charme eines Berliner Ground Zero (ja, ja, auch dieser Vergleich ist politisch nicht korrekt). Nebenan türmen sich die Rathauspassagen auf, sie beziehen ihre ästhetische Berechtigung daraus, dass sie den Blick aufs Einkaufszentrum Alexa verstellen.
Dilek Kolat wird als erste Senatorin ernannt
Im Wappensaal des Roten Rathauses macht sich Michael Müller an die Arbeit und ernennt seine Senatoren. Als erste ist Dilek Kolat dran. Müller liest die komplette Ernennungsurkunde vor, auch den Namen des Unterzeichners: „Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller.“ Das gefällt ihm so gut, dass er auch bei den folgenden Ernennungen nicht davon lassen mag. Müller kommt auf die sehr ordentliche Bilanz von acht Senatoren in dreieinhalb Minuten. Blumensträuße werden überreicht und wandern weiter in Referentenhände. Beim offiziellen Foto drängt sich der Innensenator Frank Henkel keck in die Mitte. Die CDU will beim rot-schwarzen Neuanfang mehr als nur dabei sein. Nicht mit mir, signalisiert Müller, und es wird ein neues Foto gemacht. Dann zieht die Prozession weiter ins Abgeordnetenhaus und das Rote Rathaus ist wieder allein mit sich selbst.
Im Wappensaal entfernen zwei Männer im Blaumann die rote Kordel, sie tragen die Fahnen davon und bauen die Bühne ab. Die italienischen Schüler sind weg, vielleicht auf der Suche nach dem Alexa. „Hier geht’s erst heute Abend um halb acht weiter“, sagen die Damen vom Empfang. „Aber nehmense dann bitte den Eingang Jüdenstraße, wir haben um sieben Feierabend.“ Weil es draußen nieselt, hat sich der Mann vom Wachschutz unter das Hauptportal gestellt – „ist nicht viel los, sehnse ja“. Die digitale Sonnenkollektorenanzeige vermeldet einen unwesentlich gestiegenen Tagesertrag von 2,9 Kilowattstunden. Im Sinne einer angemessenen Berliner Energiebilanz schreitet der Reporter schnell noch mal den roten Teppich ab, 39 Stufen hinauf bis zum Wappensaal und schaltet das Licht aus.
Die erste Senatssitzung am Abend geht schnell
Am Abend wird es dann noch einmal hell im Senatssitzungssaal: Der Senat konstituiert sich. Das geht aber schnell. Laut Geschäftsordnung ist die nächste reguläre Sitzung am kommenden Dienstag, dann wird wieder gearbeitet.