zum Hauptinhalt

U-Bahnhöfe in Berlin: Im U-Wald

„Einsteigen, bitte! Zurückbleiben, bitte!“ Ab geht’s in den Tunnel. Im Untergrund interessiert architektonische Finesse die wenigsten. Dabei spiegeln die teils grandiosen, teils bizarren Bahnhöfe mehr als 100 Jahre Berliner Baugeschichte. Zeit für eine Fahrt durch die Jahrzehnte – und eine Stationen-Stilkritik.

Hinab
Heute: nur Bahnhof verstehen. Genauer gesagt: Bahnhöfe. Ganz genau: U-Bahnhöfe.

In die Höhe bauen, auf ebenem Grund, das kann jeder. Am Rosenthaler Platz wenigstens, an der Kreuzung, die schon frühmorgens ungehemmt lärmt, ragen die Gebäude stolz in den Himmel. Unten aber herrschen strenge Gesetze: Längen- und Höhenvorgaben wollen eingehalten, Funktionalitäts- und Sicherheitskriterien erfüllt sein.

Mit nichts als Säulen, Wand und Wölbung glänzen, dem dunklen Schacht architektonische Leuchtkraft zu schenken: eine Herausforderung. Wer sich ihr stellt, prägt einen Teil des Stadtbilds, der selten den Weg auf Ansichtskarten findet, häufig aber in den Alltag der Bewohner. Wäre es nach der Stadtverwaltung gegangen, wäre auch das nie passiert: „Der Bau von Untergrundbahnen ist bei den geologischen Voraussetzungen in Berlin nicht durchführbar“ – diese Begründung schmetterte 1891 den ersten Vorstoß ab.

Elf Jahre später (und nachdem sich London, Budapest und Paris eine Untergrundbahn geleistet hatten, ohne zu versinken) war es doch so weit: Mit der Eröffnung der ersten Stationen (Görlitzer Bahnhof, Schlesisches Tor, Hallesches Tor, Prinzenstraße, Osthafen/ursprünglich Stralauer Tor) begann im Februar 1902 die Geschichte der Berliner U-Bahn – wenn auch paradoxerweise erst einmal oberirdisch, sogar auf Stelzen. Bis heute wird sie fortgeschrieben, immerhin wurden erst 2009 mit der Inbetriebnahme der U 55 die jüngsten Bahnhöfe eröffnet. Die nächsten werden es voraussichtlich 2019, mit der Vereinigung von U 55 und U 5. Zeit für eine Erkundung, von den Anfängen bis in die Gegenwart.

Der Obdachlose, der die Gegend durchstreift und dabei immer denselben Liedanfang singt, steht an der Treppe und verlangt Aufmerksamkeit. Keine Zeit, hinab, hinunter. Die Stadt will von ihren befahrbaren Wurzeln her verstanden werden. 139 unterirdische Stationen, zehn Linien, ein Netz von 146 Kilometern Länge. Also los: Einstieg in den Untergrund: kein Tageslicht, keine Frischluft, dafür Neonröhren, Feinstaub. Bewusst nicht enzyklopädisch oder geografisch vorgehen – einfach den Dekaden und der Nase nach!

Mattgold. Die Tafeln im Bahnhof Nollendorfplatz erinnern - sehr diskret - an seine Eröffnung im Jahr 1902, dem Geburtsjahr der Berliner U-Bahn.
Mattgold. Die Tafeln im Bahnhof Nollendorfplatz erinnern - sehr diskret - an seine Eröffnung im Jahr 1902, dem Geburtsjahr der Berliner U-Bahn.
© Thilo Rückeis

Hit the Road
9:00 Uhr, Nollendorfplatz, Baujahr 1902
  Matt, verkratzt und mit Grünstich: Die Goldfläche fällt kaum auf. Das Quadrat auf der Wand adelt alle Bahnhöfe, die im Geburtsjahr der U-Bahn eröffneten. Strenggenommen eröffnete hier 1902 nur das Hochbahngleis, auf dem heute die U2 verkehrt: Damals mit einer imposanten Kuppel überdacht, wurde der Fahrtbetrieb später in zweckmäßiger Nachkriegsarchitektur fortgesetzt. Jetzt: grauer Stein, von schwarzem Stahl überdacht. Vor der Fensterfront ist Schöneberg auch noch nicht wach, durch den oberirdischen Schacht von einem Bahnsteig fegt ein eisiger Wind. Wer einen hat, schlägt den Mantelkragen nach oben und eilt ins Zwischengeschoss.

Das wirkt vertraut: Alfred Grenander heißt der schwedische Architekt, der bis 1931 seine Vorliebe für genietete Stützen und farbig gebrannte Wandfliesen an rund 70 Berliner Bahnhöfen ausließ. Mit ihren individuellen „Kennfarben“ sollten sich die Stationen leicht voneinander unterscheiden lassen. In diesem Fall haben die Fliesen Charme und Koloration einer vertrocknenden Moorlandschaft. Dabei ist der Nollendorfplatz nicht nur einer der ältesten, sondern auch der einzige Bahnhof im Netz, auf dem sich vier Linien treffen. Die Tunnel für U1, U3, U4 tragen Kacheln in Zitronengelb und Blautönen, was hauptsächlich bemerkenswert ist, weil es sich mit der moorigen Innengestaltung des Eingangsbereichs beißt. Unter der quadratischen Goldfläche lungern inzwischen drei Jungs, etwa sechzehn, und ärgern die Passanten, die über ihre ausgestreckten Beine steigen müssen. Zu dritt pfeifen sie „Hit the Road Jack“, Percy Mayfields Evergreen, den jeder Nahverkehrsnutzer in Saxofonversion mit abschließender Bitte nach ein paar Cents kennt. Was sie hier machen? „Pfeifen.“ Und sonst? „Alter, was soll man hier sonst machen?“

Schöne alte Welt

Geschichtslinie. Der Bahnhof Märkisches Museum (Baujahr 1913) ist denkmalgerecht saniert worden - inklusive der eleganten, cremefarbenen Decke. Und natürlich der Pillenlampen.
Geschichtslinie. Der Bahnhof Märkisches Museum (Baujahr 1913) ist denkmalgerecht saniert worden - inklusive der eleganten, cremefarbenen Decke. Und natürlich der Pillenlampen.
© Thilo Rückeis

9:32 Uhr, Märkisches Museum, Baujahr 1913
Zuerst ist das Licht. Besser gesagt, die verantwortlichen Lampen. „Die sehen aus wie Pillen“, sagt eine ältere Dame, die mit ihrem Mann offenbar in touristischer Mission ausgestiegen ist. Als Sehenswürdigkeit taugt der Bahnsteig allemal: Im warmen Schein der Pillenlampen – je zwei ragen an einem sich unten in zwei Richtungen teilenden Doppelstahlträger von der Decke – wölbt sich elegant eine fünf Meter hohe, cremefarbene Decke. Die grünen Umrandungen des Stationsnamens und der Wandcollagen leuchten fast von alleine, die Collagen selbst sind ohnehin Blickfänger: abstrakte Stuckreliefs von Karl-Heinz Schäfer und Ulrich Jörke, stilisierte Stadtpläne von Jo Doese. Alle nehmen sie Bezug auf das namensgebende Museum, alle wurden sie im Zuge der Erneuerung des Bahnsteigs aufgefrischt. Von „denkmalgerechter Sanierung“ spricht die Senatskulturverwaltung: Originalgetreu nachgebrannte Fliesen, erneuerter Bodenbelag und eben eine neue Beleuchtungsanlage, die das restaurierte Ergebnis in Szene setzt. Laut BVG sollen nach einem „Geschichtslinienkonzept“ alle Bahnhöfe zwischen Alexanderplatz und Stadtmitte wieder in ihrem ursprünglichen Look erstrahlen. Kaum jemand sitzt. Selbst das Kind, dem seine Mutter eigentlich den Anorak richten will, wandert lieber staunend durch ein edel herausgeputztes Stück 1913.

Bahnsteig-Bahnmuseum. An der Station Klosterstraße ragt Wagen 12, ein Relikt der „Schöneberger Untergrundbahn“, aus der Wand.
Bahnsteig-Bahnmuseum. An der Station Klosterstraße ragt Wagen 12, ein Relikt der „Schöneberger Untergrundbahn“, aus der Wand.
© Thilo Rückeis

Allein, allein

9:44 Uhr, Klosterstraße, Baujahr 1913
Das geschieht nie. Und dann geschieht es doch mal: alleine aus der Bahn aussteigen, alleine auf einem Bahnsteig stehen. Sobald der Tunnel die Zuglichter einsaugt, ist nur ein Sirren unklarer Herkunft (nächster Zug in 5 Minuten) zu hören. Zu viele Untergrundschocker gesehen, schlimme Filme mit John Travolta oder Franka Potente. Am Gleis zwischen schwarzen Tunneln: die letzte Gruselkulisse der Großstadt. Einsame Schritte hallen doppelt laut (noch 4 Minuten). Wenig hilfreich die Emailletafeln, die Evolutionsstufen der öffentlichen Fortbewegung erzählen. Wenig hilfreich auch der echte Waggon, der zwischen Treppenaufgängen aus der Nordwand ragt (noch 3 Minuten): Wagen 12, ein Relikt der „Schöneberger Untergrundbahn“ und Highlight dieses noch zu DDR-Zeiten entstandenen Bahnsteig-Bahnmuseums. In die Scheinwerferlöcher sind frische Glühbirnen geschraubt. Die Kette an der Tür zur Fahrerkabine sieht alt aus, das Schloss daran neu (noch 2 Minuten). Am Nordende, über die Bahnsteigkante gebeugt, lässt sich der Klostertunnel erspähen. Eine düstere Abzweigung, die in den Fünfzigern nötig war, damit die „Kleinprofillinie A“, heute: U2, die einzig nahe gelegene Werkstatt in Friedrichsfelde erreichen konnte (noch 1 Minute). 1980 floh ein Angestellter des VEB Kombinats Berliner Verkehrsbetriebe samt Familie von hier in den Westen. Durch den Klostertunnel gelangten sie bis zu einer Stelle, an der West-Berliner Züge den Osten ohne Halt durchfuhren (nächster Zug: sofort). Der Angestellte gab mit einer Handlampe Signal und ein Zugführer der West-U-Bahn nahm die Flüchtlinge an Bord. Kopf einziehen: Es rauscht, es rattert. Die Bahn kommt (zum Glück).

Adelsgruft. Wilhelm Leitgebel entwarf nicht nur den Bahnhof Heidelberger Platz (1913), sondern alle Wilmersdorfer Stationen.
Adelsgruft. Wilhelm Leitgebel entwarf nicht nur den Bahnhof Heidelberger Platz (1913), sondern alle Wilmersdorfer Stationen. Für den Säulenschmuck zog man zudem den Bildhauer Martin Meyer-Pyritz heran, der war auf Tierplastiken spezialisiert. Erkennen Sie das Eichhörnchen am rechten Bildrand?
© Thilo Rückeis

U-Porn

10:45 Uhr, Heidelberger Platz, Baujahr 1913
Es gibt auf Youtube eine Unzahl Videos von Berliner U-Bahnhöfen. Meist schwenkt die Kamera mit einem vorbeifahrenden Zug, gleitet ehrfürchtig durch die Halle, Schnitt, ein anderer Zug fährt ein, dann ist schon Schluss. Trotzdem haben manche der Filmchen erstaunliche Zugriffszahlen: Knapp 300.000 Nutzer wollten bislang die Aufnahmen vom Spittelmarkt sehen. Der Heidelberger Platz nimmt mit etwa 2500 Klicks keinen vorderen Rang ein. Warum, das zählt zu den mannigfaltigen Mysterien des Netzes – an der spektakulären Doppelreihe von Kreuzgratgewölben kann es nicht liegen. Die mächtigen Leuchtkörper hängen hier an Ketten wie Laternen in einer Adelsgruft. Der Grad an kompositorischer Vollendung lässt sich allein daran messen, dass die Farbfotos idyllischer Heidelberger Landschaften völlig deplatziert wirken.

Wilhelm Leitgebel entwarf nicht nur diesen, sondern alle Wilmersdorfer Bahnhöfe – für die Ausschmückung der Säulen zog man jedoch außerdem den Bildhauer Martin Meyer-Pyritz heran. Der war auf Tierplastiken spezialisiert, entsprechend kauern auf den Stützpfeilerecken streng dreinblickende Eulen, Hasen, Fische. Vielleicht liegt es am Blick der Tiere, dass alle Wartenden flüstern. Wahrscheinlicher daran, dass der sakrale Charakter des Baus jedes Wort verstärkt. Ein Pärchen späht durch die Ritzen eines grauen Stahlkastens, der, telefonzellengroß, in der Bahnsteigmitte steht. Sie tuschelt ihm etwas zu, er schüttelt den Kopf und rückt die Hornbrille gerade. Die beiden gehen weiter, und die Überwachungskamera, die auf dem Kasten montiert ist, sieht ihnen nach und wundert sich in Youtubes Namen.

Nach Maß

Hier begann die Zukunft. Zur Eröffnung 1927 hatte der von Alfred Grenander und Alfred Fehse gebaute Bahnhof Hermannplatz als erster in Berlin Rolltreppen.
Hier begann die Zukunft. Zur Eröffnung 1927 hatte der von Alfred Grenander und Alfred Fehse gebaute Bahnhof Hermannplatz als erster in Berlin Rolltreppen. Auch besonders: die Verbindung zum Karstadt-Warenhaus darüber.
© Thilo Rückeis

11:32 Uhr, Hermannplatz, Baujahr 1926/27
Ein Labrador beschnüffelt die Scherben einer Glasflasche. Auch an dem dazugehörigen Fleck ist der Hund interessiert, er kann von seiner Besitzerin nur mühsam ferngehalten werden. Die Sitzbank beanspruchen Hipster, ihre Gesichter von schweren Bärten gedehnt. Aus der Bahn steigt eine junge Frau, ein alter Mann schließt sie stumm und fest in die Arme. Die Bahn fährt ab – und damit das Senfgelb aus dem Gelb-Festival am Gleis der U7.

Es bleiben: das Sonnenblumengelb der meisten Wandkacheln, das Zitronengelb der obersten Kachelreihe, das Schmutziggelb des Treppenblocks Richtung Karstadt. „Das gigantische Werk ist vollendet!“, meldete das Warenhaus, als es, wenige Jahre nach der Eröffnung, die bis dahin einmalige Verbindung mit dem Bahnhof einging. Auch heute ist der Direktzugang vom Gleis in die Schlemmeretage praktisch. Inzwischen durchzieht allerdings ein Riss das Deckenmauerwerk über dem Aufgang. Dem ist ein symbolischer Wert nicht abzusprechen.

Überhaupt: Glaubt man Experten, hat der Hermannplatz schon bessere Tage gesehen. In ihrem Architekturführer „Licht und Farbe im Berliner Untergrund – U-Bahnhöfe der Klassischen Moderne“ halten Christoph Brachmann und Markus Hörsch die Sanierung für missglückt: „Freilich ist der ursprüngliche Eindruck weitgehend zerstört, denn bei einer Renovierung der Jahre 1991–1993 wurden fast alle originalen Kacheln heruntergeschlagen. Der ursprüngliche Glanz, die bewegte, aber nicht zu kleinteilige Oberfläche und die nicht vereinheitlichte, durchscheinende Glasur der Keramik sind damit verloren. Der Ersatz ist nivellierte Einheitsware, nicht einmal der alte Farbton wurde getroffen.“ Was wenig daran ändert, dass allein die 135 Meter Bahnsteiglänge sowie die gut sieben Meter Höhe durch schiere Maße beeindrucken. Der Labrador markiert indes ungerührt das altehrwürdige Kiosk-Häuschen, Frauchen liest Schlagzeilen, kauft Kaugummi.

Grenanders Standard. Kein Schnickschnack auf dem Bahnhof Schillingstraße (Baujahr 1930) – nur ein bisschen Kunst.
Grenanders Standard. Kein Schnickschnack auf dem Bahnhof Schillingstraße (Baujahr 1930), was typisch für den prägenden Architekten der ersten Hälfte der Berliner U-Bahn-Geschichte ist. Nur ein bisschen Kunst steht herum.
© Thilo Rückeis

Standard 1: Wo ist die Zeit?
12:07 Uhr, Schillingstraße, Baujahr 1930
„Ein Standardbahnhof in reinster Form“, schreibt die Pufferküsser-Homepage berliner-untergrundbahn.de. Und meint den Standard, den Alfred Grenander für die ehemalige Linie E einführte. Die heutige U5 verläuft zwar weiter als bis Friedrichsfelde, die ersten Bahnhöfe ab Alexanderplatz entsprechen aber wieder dem Schema des architektonischen U-Großvaters. 2003 wurde im Hinblick auf die Originalgestaltung saniert. Stützen aus Stahl, kein Schnickschnack: Abgesehen von ein paar Metern Bahnsteig mehr oder weniger liegt dasselbe Gewölbe unter dem Strausberger Platz und der Weberstraße – nur unterscheidbar durch die Kennfarbe. In diesem Fall Altrosa. Kein Standard dagegen: die Holzskulpturen, die aus dem Granit ragen, so hoch, dass sie auf anderen Bahnsteigen tragende Säulen wären. Drei „Reisende aus einer anderen Zeit“ stehen in hell erleuchteter Leere und scheinen sich über das weitere Vorgehen zu beraten. Das Kunstwerk wurde von Jugendlichen der Jugendvollzugsanstalt Oranienburg unter Betreuung des Künstlers Ralf Schade gefertigt. Die Torsi der Gestalten sind längst mit Kritzeleien übersät, auch das Blechschild, das über ihre Entstehungsgeschichte informiert, ist kaum mehr lesbar. Kein Stift, keine Sprühdose aber hat bislang die sorgenvoll langen Gesichter erreicht. Dafür steht ihre Laterne in unsinnig großer Entfernung, ist der Hocker für keinen der Stangenkörper nützlich, und überhaupt dürften sie sich fragen, weshalb sie auf einem Bahnhof gelandet sind, der von 1959 bis 1960 sogar ersatzlos geschlossen werden konnte. Mit ihnen warten nur zwei Freundinnen am Gleis. Als die Bahn einfährt, fangen sie an, sich zu umarmen, trennen sich einmal, zweimal, dreimal: „Wir telefonieren!“, „Ja, wir müssen telefonieren!“, „Ich ruf dich an!“. Die eine steigt ein, die andere winkt. Aus der abfahrenden Bahn werden sie noch etwas länger, die Holzmienen der Zeitreisenden.

Grimmeks Standard. Fliesen und Blocklettern – die Afrikanische Straße (Baujahr 1956) ist schlichter Prototyp für 14 U-Bahnhöfe.
Grimmeks Standard. Fliesen und Blocklettern – die Afrikanische Straße (Baujahr 1956) ist schlichter Prototyp für 14 U-Bahnhöfe.
© Thilo Rückeis

Standard 2: Wo ist Erhan?
13:03 Uhr, Afrikanische Straße, Baujahr 1956
Kein Zeitsprung: Obwohl 26 Jahre später eingeweiht, entspricht auch dieser Bahnhof einem Schema. Und obwohl es keines von Alfred Grenander ist, könnte es von ihm sein. Wenigstens orientierte sich der Entwurf von Senatsbaudirektor Bruno Grimmek an Grenanders nüchterner Gestaltung. Mit Erfolg: Gleich 14 Bahnhöfe wurden bis 1961 nach seinem Vorbild umgesetzt. Vor Fliesen in Babyblau vier Jungs mit Babyface: „Junge, Undercuts sind schlecht.“ „Was laberst du?“ Die Afrikanische Straße ist Grimmeks Prototyp: vom Namen in Blocklettern über die mosaikummantelten Säulen bis zur gewinkelten Decke. Schmetterlingsdecke heißt die Variante mit dem Knick in der Längsachse. Eine Leistung der bescheidenen Nachkriegsarchitektur, dass dieses ungewöhnliche Detail kaum ins Auge fällt. Dabei sind sogar die Neonröhren ungewöhnlich: Auf der Strecke unter der Müllerstraße ersetzten sie erstmals die bis dahin üblichen Glühbirnen als Beleuchtungsanlage. „Wo ist Erhan?“ „Laber nicht, ruf an.“ „Erhan? Wo bist du? ... Ist doch egal, wo ich bin!“ Auf den ersten Blick sind am ehesten die Mittelstützen bemerkenswert, ihrer länglichen Sechseck-Form wegen. Der Steinchenbesatz bemüht sich um Zurückhaltung und schimmert in Graufacetten. „Erhan ist schon los.“ „Laber nicht.“ „Junge. Lass hinfahren.“

Leben, Sprache, Mensch

Engagiert. Die Fliesenwände des Bahnhofs Westhafen (erbaut 1961) sind mit Sätzen aus der UN-Menschenrechtscharta beschrieben.
Engagiert. Die Fliesenwände des Bahnhofs Westhafen (erbaut 1961) sind mit Sätzen aus der UN-Menschenrechtscharta beschrieben.
© Thilo Rückeis

13:28 Uhr, Westhafen, Baujahr 1961
Punkte, Doppelpunkte, Kommata, Semikola sprenkeln die Säulen: Hier geht es um Text, um Schrift, um Die-Feder-ist-mächtiger-als-das-Schwert. Auf den Treppenabgängen vom S-Bahnhof laufen Heinrich-Heine-Zitate mit hinunter. Die unterirdischen Wände sind mit Auszügen eines Dokuments bedruckt, das mindestens so konkret für Würde und Recht eintritt wie der Düsseldorfer Dichter: Es sind Sätze aus der UN-Menschenrechtscharta. „JEDER MENSCH HAT DAS RECHT AUF LEBEN FREIHEIT UND SICHERHEIT DER PERSON“ – wer Satzzeichen braucht, soll sie sich von den Säulen pflücken. Es lohnt, die Kälte zu ignorieren, es lohnt, ein paar Bahnen zu verpassen und sich die Länge des Bahnsteigs hinauf- und hinunterzulesen. „ALLE MENSCHEN SIND FREI UND GLEICH“ – außerdem lohnt zu wissen, dass der Bahnhof nicht zufällig ausgewählt wurde. Die Hinrichtungsstätte Plötzensee, wo die Nationalsozialisten etwa 3000 Menschen ermordeten, ist einen Kachelwurf weit entfernt, von der darüberliegenden Putlitzbrücke aus wurden die ersten jüdischen Bürger Berlins deportiert. „JEDER MENSCH HAT ANSPRUCH AUF DIE IN DIESER ERKLÄRUNG VERKÜNDETEN RECHTE UND FREIHEITEN OHNE IRGENDEINE UNTERSCHEIDUNG WIE ETWA NACH RASSE FARBE GESCHLECHT SPRACHE RELIGION POLITISCHER ODER SONSTIGER ÜBERZEUGUNG“ – die 20 abgedruckten Artikel sind Teil einer Initiative der belgischen Künstlerin Françoise Schein und der österreichischen Philosophin Barbara Reiter. Bahnhöfe mit ähnlicher Innenausstattung finden sich in Brüssel, Lissabon, Stockholm, Paris. Jede Kachel trägt einen Buchstaben, einzelne Worte heben sich in Rot von der schwarzen Schrift ab: „LEBEN“, „SPRACHE“, „MENSCH“. Die eigentliche Architektur ist gelungen, weil schlicht. Sogar auf die Schmetterlingsdecke verzichtete Grimmek hier, obwohl er nicht wissen konnte, dass 1999 die Kunst-Initiative dem kargen Entwurf einen Sinn geben sollte. Zuvor waren die Wände elfenbeinfarben verfliest, die Stützen hellgrün – und die Grundsätze des Zusammenlebens unbekannter. Wenigstens ein bedauerliches bisschen.

Graue Maus
14:48 Uhr, Wutzkyallee, Baujahr 1970
Gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen. Höchstens die Touristin, die durch die frisch entkachelte Vorhölle irrt und in ihr Handy nuschelt: „I slept at two, I woke up at three, I went to bed again at four, then I realized: I have to have a life now.“ Die junge Frau mit dem prallen Trekking-Rucksack hat offenbar andere Sorgen, als sich um Schutt und Geröll zu kümmern. Ohnehin ist es nicht fair, einen Bahnhof im Umbau zu erwischen: Welches Mauerwerk sieht schon gut aus, wenn die oberste Schicht abgetragen ist, welcher Schriftzug vermag zu glänzen, wenn die Hälfte der Buchstaben übereifrigen Hammerschlägen anheimgefallen sind. „WUT A  E“ steht noch an der Wand, das ist auch schon alles. Dazu ein dunkler, nur mit lappenden Absperrbändern ausgeschmückter Schacht. Die Touristin ist längst fort, auf der Suche nach einem Leben.

Rot sehen. Sowohl für die Fahrgäste der U7 als auch die der U9 ist das beherrschende Element der Station Berliner Straße (1971) eine rote Wand.
Rot sehen. Sowohl für die Fahrgäste der U7 als auch die der U9 ist das beherrschende Element der Station Berliner Straße (1971) eine rote Wand. Wo die U7 mit regelmäßigen Metallplatten aufwartet, gibt’s an der U9 ungleichmäßig große Blechelemente.
© Thilo Rückeis

Doppel 1: Gleiches mit Gleichem
15:22 Uhr, Berliner Straße, Baujahr 1971
Zwei Bahnsteige, eine Farbe: Sowohl für die Fahrgäste der U7 als auch die der U9 ist das beherrschende Element der Station eine rote Wand. Wo die U7 mit regelmäßigen Metallplatten aufwartet, gibt’s an der U9 ungleichmäßig große Blechelemente, die von weitem wie eine Barcode-Variante wirken. Aber das ist in diesem Bahnhof, der seinem Erbauer Rainer G. Rümmler erstaunlich schlicht geraten ist, auch schon alles an Effekt. Dabei treffen hier zwei Jubiläen aufeinander: Die U7 verkehrt 2014 seit 30 Jahren in ihrer heutigen Form, die U9 feiert sogar schon vierzigstes Jubiläum. Auf ihrem niedrigen Bahnsteig mit den weit auseinanderliegenden Lamellen an der Decke, durch die oberhalb verlaufende Kabel zu sehen sind, mag aber keine Festtagsstimmung aufkommen. Stattdessen öffnet sich die geheimnisvolle Tür des Betriebsdienst-Häuschens, das auf jedem Bahnsteig steht. Zwei Männer in gelben Warnwesten treten heraus und erlauben einen kurzen Blick ins Innere: ein beängstigend leerer Raum. Ein Mann mit Rollkoffer reckt den Hals, doch hier gibt es nichts zu entdecken. Die Tür schließt sich wieder.

Zeitebenen. Am Fehrbelliner Platz in Wilmersdorf groovt der Bahnsteig der U7 im Pop-Art-Rhythmus der Siebziger. Eine Etage höher dagegen ...
Zeitebenen. Am Fehrbelliner Platz in Wilmersdorf groovt der Bahnsteig der U7 im Pop-Art-Rhythmus der Siebziger. Eine Etage höher dagegen ...
© Thilo Rückeis

Doppel 2: Groove und Gravität
15:40 Uhr, Fehbelliner Platz, Baujahr 1971
Abermals Rümmler, aber hier ganz anders! Der Architekt verpasst schon den Tunnelausgängen eine elegant geschwungene Öffnung. Und Schwung bleibt Programm: In der tiefer gelegenen Halle der U 7 finden sich kaum Kanten, selbst die Umrandungen der Bahnhofsschilder sind abgerundet, übermütige Punkte um das Wort „Platz“ gruppiert. Eine Pop-Art-Station, in den frühen Siebzigern seiner Entstehung der letzte Schrei: orangefarbener Grundton mit gelben Streifen und violetten Textfeldern. Groovy.

Höchste Zeit für diese These: Wenn Alfred Grenander die erste Hälfte der Berliner Bahnhofsgeschichte prägte, dann gehört Rainer G. Rümmler die zweite. Konnte sich der 2004 verstorbene Architekt austoben, nahm seine Gestaltung größtmöglichen Abstand vom pragmatischen Ansatz seines Vorgängers. Dieser Kontrast ist stilbildend für die Berliner U-Bahn, schade, dass es keinen Turmbahnhof gibt, der Entwürfe von beiden vereint.

... glänzt der 1913 von Wilhelm Leitgebel gestaltete U3-Bahnsteig mit prächtig restaurierten Jugendstil-Ornamenten.
... glänzt der 1913 von Wilhelm Leitgebel gestaltete U3-Bahnsteig mit prächtig restaurierten Jugendstil-Ornamenten.
© Thilo Rückeis

Immerhin aber einen, der ihre Epochen gegenüberstellt: Zwar findet sich eine Etage höher keine stocknüchterne Grenander-Entgegnung, aber ein Werk seiner Zeit: Wilhelm Leitgebel ist verantwortlich, wann immer es blumig zugeht im U-Wald. Der U3-Bahnsteig von 1913 gehört zu seinen schönsten (und zum Glück weitestgehend erhaltenen) Arbeiten: Der Namenszug ist in Mosaiksteinen gebildet, ornamental umrahmt und von je zwei strengen Marabus bewacht. Außerdem zieren Reliefs von Bahnwaggons die zitronengelben Kacheln. Die Säulen, denen mehr Raum zu wünschen wäre als der niedrige Schacht, könnten aus einer römischen Therme geklaut sein. Dafür sprechen die grünen Verwitterungsspuren im kräftigen Orangebraun. Sie wirken wie ein geplanter Übergang zum Geländer, das den Mittelabgang einleitet, eine türkisgrüne Jugendstilübung aus stilisierten Eichenblättern. Herauf kommen zwei Mädchen, nebeneinander im Gleichschritt. Auf ihren Nasenflügeln blitzen Brillis, sie schieben eine Wolke süßen Parfums vor sich her. Erst auf den letzten Stufen wird ersichtlich, dass beide Kopfhörer tragen und Electro- Tracks auf enormem Lautstärkelevel hören. Sie sehen sich an und nicken, jede in ihrem Takt.

Der Trip

Massiv. Der Bahnhof Rathaus Spandau (1984) ist der prunkvollste im Berliner Netz. Kommt auf dem Foto schlecht rüber, muss man gesehen haben.
Massiv. Der Bahnhof Rathaus Spandau (1984) ist der prunkvollste im Berliner Netz. Kommt auf dem Foto schlecht rüber, muss man gesehen haben.
© Thilo Rückeis

16:56 Uhr, Rathaus Spandau, Baujahr 1984
Und das ist er dann: der größte, prunkvollste, vielleicht auch absonderlichste Bahnhof auf der Berliner Netzspinne. Absonderlich, weil die glamouröse Innenausstattung (auch von Rümmler) genau so gut als Kulisse für einen trashigen Neunziger-Jahre-Science-Fiction-Streifen taugte – allein die goldenen Knickstreben, die die Anzeigetafel mit der Decke verbinden, 64 Lampen in Position halten. Die unterirdische Halle sogar größer als die am Hermannplatz, das einzig schlichte Element die hellgrauen Wandfliesen. Die vier Gleise spannen einen gewaltigen Raum auf, noch dazu sind sie so großzügig verteilt, dass zwischen den mittleren ein weiterer Bahnsteig Platz hätte. Stattdessen stehen dort und auf den Steigen mächtige Säulen, verkleidet mit Labradorgranit, die mit breiten Kegeln in die Decke übergehen. Rätselhaft sind die Symbole darauf, rätselhaft auch, was das Smaragdgrün als Sekundärfarbe zwischen den Goldverzierungen zu suchen hat. Sei’s drum: Ein einprägsamerer Bahnsteig ist kaum zu haben.

... und die Paulsternstraße. Die ihren Namen übrigens keinem prominenten Herrn Stern, sondern einem ehemaliger Berliner Postgasthof verdankt. Man beachte: alles! Die Bäume! Die Sterne!
... und die Paulsternstraße. Die ihren Namen übrigens keinem prominenten Herrn Stern, sondern einem ehemaliger Berliner Postgasthof verdankt. Man beachte: alles! Die Bäume! Die Sterne!
© Thilo Rückeis

Dafür sorgt allein die Fahrt dorthin, die Daniel Erler schlicht „einen Trip“ nennt. Positiv meint er das nicht. Erler betreibt mit citytransit.de eine der umfangreichsten Sammelstellen für Fotos unterirdischer Bahnhöfe. Doch haben es ihm eher die noblen, stillen, in ihrer Funktionalität eleganten Bahnhöfe angetan: „Mierendorffplatz, Jungfernheide, Rohrdamm, das wird immer bunter und ausgeflippter.“ Und Paulsternstraße, Zitadelle, Altstadt Spandau erst: Architekt Rümmler bleibt einerseits seinem Prinzip treu, Elemente der Umgebung in die Bahnhöfe einzuarbeiten, geht andererseits mit der Zeit und den Moden – was zur Folge hat, dass die zwischen 1965 und 1984 designten Werke sukzessive an Farbe gewinnen.

Die ganze Wucht des Trips erlebt nur, wer am Fuß der U7 in Rudow einsteigt und auch die pragmatischen Bahnhöfe unter der Gropiusstadt auf sich wirken lässt. Dann erst entfaltet das Finale seine komplette Wirkung, ohnehin hat der Querschnitt durch Berlin mit 56 Minuten Fahrtzeit auf der längsten und bahnhofreichsten Linie epische Dimensionen. Das nunmehr 30-jährige Geburtstagskind war einst der längste Tunnel der Welt.

Auch die Lindauer Allee wurde (1994) vom Psychedelic-Architekten Rainer G. Rümmler gestaltet - etwas zurückhaltender als seine anderen. Hübsch: die roten Lindenblätter.
Auch die Lindauer Allee wurde (1994) vom offenkundig psychedelisch inspirierten Architekten Rainer G. Rümmler gestaltet - etwas zurückhaltender als seine anderen. Hübsch: die roten Lindenblätter.
© Thilo Rückeis

Es war einmal
17:48 Uhr, Lindauer Allee, Baujahr 1994
Apropos Trip: Auch in den Neunzigern, auch auf der U8 ließ Rainer G. Rümmler seinem Kolorationsdrang freien Lauf. Ob Franz-Neumann-Platz oder Residenzstraße, Paracelsusbad oder Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik – im Vergleich mit den einfarbigen Bauten ein knappes Jahrhundert zuvor wirken diese Stationen wie eine Malkastenexplosion. Auch die Lindauer Allee ist nicht gerade ein Vorbild an Zurückhaltung, mit ihrem Türkiston dennoch ein Ruhepol.

Entsprechend schleift der etwa zwölfjährige Junge seinen Turnbeutel wie einen zu schwer gewordenen Seesack hinter sich her, läuft immer langsamere Kreise auf der Empore. Ein Mann, nehmen wir an: sein Vater, kommt die Rolltreppe hinuntergefahren, schnippt die Zigarette fort, ruft: „No, no, no.“ „No, no, no“, macht der Junge, und der Vater sagt: „Nein!“ Die Empore ist ein Alleinstellungsmerkmal, wie auch die barrierefrei zugänglichen Seitenbahnsteige auf dieser Linie ihresgleichen suchen. Das wäre ein Grund, die Wände mit Herzen zu verzieren – bei den pinkfarbenen Auswüchsen der stilisierten Bäume handelt es sich allerdings um Lindenblätter, die auf den Lindauer Wappenbaum hinweisen. Vor einem haben Vater und Sohn Platz genommen, der Vater stiert ins Leere, der Sohn auf sein Handy. Auch die Löwen, die sich skizziert auf der Deckenerhöhung finden, stehen in Bezug zur namengebenden Stadt, in der eine Löwenstatue den Hafen bewacht. Im Zusammenspiel allerdings mit dem verspielt-verträumten Zeichenstil und dem einschläfernden Türkis könnte der Bahnhof ebenso gut einem Märchenbuch entnommen sein.

Die Bahn kommt. Der Vater nimmt dem Sohn das Handy weg. Der Sohn lässt den Turnbeutel liegen.

Schlicht Beton. Den Bahnhof Bundestag (Baujahr 2009) entwarf Axel Schultes, der Architekt des Bundeskanzleramts.
Schlicht Beton. Den Bahnhof Bundestag (Baujahr 2009) entwarf Axel Schultes, der Architekt des Bundeskanzleramts.
© Thilo Rückeis

Cut
18:39 Uhr, Bundestag, Baujahr 2009
Willkommen im neuen Jahrtausend. Auf dem Bahnsteig ein Filmteam: Kamera-, Tonmann und Regisseur im Streit. Es herrscht Uneinigkeit darüber, was wann und wie zu filmen sei – seltsam, weil es nicht viel zu filmen gibt. 3000 Quadratmeter Sichtbeton, um diese Zeit wie ausgestorben. Vielleicht sind sie zu spät, immerhin war der Bahnhof in seiner seit 1994 währenden Entstehungsphase Schauplatz dreier Hollywood-Produktionen, bot Platz für Opern und Partys, eine wissenschaftliche Ausstellung und ein Kart-Rennen. Als Projektionsfläche taugt die graue Leere allemal, die, abgesehen von den Bundestags-Fotos an den Wänden, nur von den asymmetrisch angeordneten, acht Meter hohen Säulen aufgelockert wird. Tags fällt durch die tortenstückförmigen Öffnungen an ihrem Scheitel Tageslicht ein, jetzt ist es das von Scheinwerfern. Trotzdem noch eine imposante Konstruktion, aber in ihrer Größe auch eine trostlose. Das Filmteam jedenfalls hat genug gestritten, es packt zusammen. Schluss für heute.

Durch die tortenstückförmigen Öffnungen am Scheitel der Säulen fällt Tageslicht in den Bahnhof Bundestag - Zeit, wieder nach oben zu kommen!
Durch die tortenstückförmigen Öffnungen am Scheitel der Säulen fällt Tageslicht in den Bahnhof Bundestag - Zeit, wieder nach oben zu kommen!
© Thilo Rückeis

Hinauf
Auftauchen. Zurück am Rosenthaler Platz: Der Obdachlose, der immer denselben Liedanfang singt, steht noch am selben Platz, inzwischen verlangt er Geld. Der Lärm der Kreuzung allerdings nimmt sich für Ohren, die von unzähligen Bahnen bedonnert wurden, wattig aus. Eisige Luft, klarer Abendhimmel – nur fehlen den Bauten plötzlich Kacheln, Farbe und Struktur. Vielleicht ist ein Schacht besonders dankbar für den Gestalter, zündet Kreativität besser auf engstem Raum. Noch einmal im Schnelldurchlauf durch die Tunnel fahren, Station um Station vorbeirauschen lassen – und feststellen: längst nicht häufig genug ausgestiegen, längst nicht oft genug nachgefragt. Der Untergrund bietet mehr. In zwei Minuten ist eine Epoche überbrückt, in zwei Etagen belauern sich gegensätzliche Konzepte, in zwei Tagen, auf zwei zusätzlichen Zeitungsseiten gäbe es ein ganz anderes Berlin zu entdecken. Noch eines, und noch eines. Der Reiz liegt im Ruck, mit dem es von Halt zu Halt geht, in der Spannung des finsteren Schachts. Die Oberfläche? Fast langweilig.

Dieser Text ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen.

Zur Startseite