Flucht aus der DDR: Im U-Bahn-Tunnel nach West-Berlin
Eigentlich galt er als unüberwindbar. Doch 1980 gelang einem Mitarbeiter der Ost-Berliner Verkehrs-Betriebe die Flucht durch einen U-Bahn-Tunnel in den Westen.
Hier also. Das Stahltor, das bei einer Havarie das Wasser aus der Spree vom Tunnel der U-Bahn fernhalten soll, hängt eingeklappt an der Decke. Ganz unauffällig. Zu Mauerzeiten war dies völlig anders. Das Tor war stets geschlossen. Die letzte Barriere vor dem Zugang nach Westen. Eigentlich unüberwindbar. Ein Mitarbeiter der Ost-Berliner Verkehrs-Betriebe (BVB) hat es aber trotzdem geschafft, wie der U-Bahn-Historiker Joachim Gorell von der BVG am Mittwoch berichtete – im Tunnel mit dem nun geöffneten Tor.
Durch den Tunnel fahren keine Linienzüge; er verbindet für Betriebsfahrten die Linien U 5 und U 8. Entstanden war er bereits vor dem Ersten Weltkrieg unter Regie der AEG, die eine Nord-Süd-U-Bahn-Linie bauen wollte. Der Krieg verhinderte den Weiterbau, und für die spätere U 8 wählten die Planer eine andere Trasse. Sogar ein Bahnhof Voltairestraße war im Rohbau entstanden. Er wurde später zum Bunker umgebaut.
Beim Bau der heutigen U 5 vom Alexanderplatz bis Friedrichsfelde 1930 wurde der ungenutzte AEG-Tunnel bis zum Alexanderplatz verlängert; Waisentunnel genannt, weil in der Nähe die Waisenstraße liegt. Damit waren die U 5 und die U 8 verbunden. Und zu DDR-Zeiten eine Fluchtmöglichkeit vorhanden, an die die Grenzwächter nicht gedacht hatten.
BVB-Mann flüchtet mit Familie durch U-Bahn-Tunnel
Über dem geschlossenen Tor befindet sich ein Technikraum. Und in diesen brachte der BVB-Mann seine Familie sowie die Angehörigen eines Cousins – nachts am 8. März 1980. Den Weg legten sie über einen weiteren Betriebstunnel zurück, den die DDR – als ersten Neubau nach dem Krieg – 1952 errichten ließ. Er zweigt am U-Bahnhof Klosterstraße ab und mündet dann in den Waisentunnel. So war es den Ost-Berliner Verkehrs-Betrieben möglich, die von ihnen betriebenen Züge der damaligen Linie A (heute U 2) in der eigenen Werkstatt in Friedrichsfelde an der U 5 warten zu lassen. Nach dem Mauerbau und der Netztrennung 1961 war der Klostertunnel besonders wichtig. Zu erreichen war er vom Bahnsteig der Station Klosterstraße aus.
Der BVB-Mann galt politisch als zuverlässig und durfte als Signaltechniker auch die Tunnel der U 6 und U 8 betreten, durch die die Transitzüge der BVG fuhren – ohne Halt an den Stationen unter Ost-Berlin. Eine Ausnahme war nur die Station Friedrichstraße mit dem Stopp der U-6-Züge. So konnte der BVBler am Bahnhof Jannowitzbrücke ungehindert die Gleise betreten und von der anderen Seite zum geschlossenen Tor laufen, wo er die Schlösser zum Technikraum aufbrach. Das Tor war so überwunden, die Familien konnten nun zur U 8 laufen und einen Zug der BVG stoppen. Versteckt im Fahrerhaus erreichten sie dann West-Berlin.
Fahrten durch den Waisentunnel sind mit der Cabrio-U-Bahn möglich. Allerdings sind sie 2014 bereits ausgebucht.