Berlin: Im Reich der Schrauber
125 Jahre Kurfürstendamm, 125 Jahre Automobil: Der Boulevard gehört für zwei Tage den Oldtimern
Der arme Mann! Wieder und wieder packt Bernd Lemke das Schwungrad, versucht den Einzylinder anzuwerfen. Nichts rührt sich. Er reguliert am Ventil, neigt ein Ohr lauschend dem Vergaser entgegen, aber der Benz-Patentwagen von 1886, ein der hiesigen Mercedes-Benz-Niederlassung gehörender Nachbau, bleibt stumm. Was der Werkstattmeister des Lack- und Karosseriezentrums auch versucht, der Benz, der am Vortag so schön lief, verweigert sich. Verfluchter Vorführeffekt. Es hat dann doch geklappt, dank Lemkes Fingerspitzengefühl, gepaart mit der Muskelkraft eines Security-Manns. „Töff, töff, töff“ – wie eine Nähmaschine auf Rädern tuckerte Benz Nr. 1 los, der Corso auf dem Kurfürstendamm konnte beginnen.
Zwei Tage steht der Boulevard ganz im Zeichen des alten Blechs, zur Feier seiner eigenen 125 Jahre und der gleichen Zeitspanne, die es das Automobil gibt. Rund 1250 Fahrzeuge, so die offizielle Zählung, sind dort zwischen Breidscheidplatz und Leibnizstraße versammelt, darunter auch manches fabrikneue Modell, das sein Anrecht auf ein H-Kennzeichen erst in 30 Jahren erwirbt. Solch eine Veranstaltung muss sich ja irgendwie rechnen.
Aber dominierend sind doch die nach Fabrikaten und Herkunftsländern halbwegs sortierten Oldies, Modelle, die manch einen Familienvater in Erinnerungen an aufregende Runden Auto-Quartett schwelgen lassen und mehr oder weniger fundierte Fachsimpeleien entlocken. Über den Citroen Ami6 mit seinem Anfang der Sechziger futuristisch anmutenden Heck etwa, über den legendären 2002er von BMW, den Triumph Spitfire, der einst die „Silberne Zitrone“ des ADAC errang, oder den Jaguar E-Type, der schon mal zum „James-Bond-Auto“ erhoben wird, obwohl doch nicht 007, sondern Jerry Cotton damit herumbrauste.
Unter den wahren Freunden des historischen Automobils, den Schraubern, Tüftlern, Bastlern geht es natürlich kenntnisreicher zu. Bei der Dekra, die ebenfalls am Sonnabend in ihrer Tempelhofer Niederlassung zum Oldtimer-Treffen lud, oder bei der auf US-Schlitten konzentrierten „Street Mag Show“ am Olympiastadion, die wie die Veranstaltung auf dem Kurfürstendamm auch am Sonntag noch besucht werden kann.
Für manch einen war die Fahrt in die City-West eine Herausforderung, etwa für Werner Nozon, der mit seiner Frau in einem restaurierten P 70 Coupé aus Königs Wusterhausen angefahren kam. Der Stau beim Einreihen in die Oldtimer-Kette behagte dem 1958 gebauten Gefährt gar nicht: Der Motor wurde heiß, Qualm stieg auf. Verglichen mit einem Bekannten hatte Nozon aber Glück. Der war bei der Anreise liegen geblieben.
Andreas Conrad
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