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Haus mit Historie: Am Sonntag startet der ZDF-Dreiteiler über die Adlon-Familiengeschichte.
© dapd

Adlon-Hotel: Im Prunk der großen Namen

Wie wird ein Hotel zum Mythos? Durch seine Gäste: Kaiser, Präsidenten, Sänger und deren Babys. Und durch Morde. Das Adlon macht’s vor.

Manchmal ist der Mythos schneller als die Wirklichkeit. Das Adlon war noch nicht mal eröffnet, da hatte es schon seine Geschichte. Oder jedenfalls die Anfangsseiten des ersten Kapitels. Die Hauptfiguren: Ein preußischer Kronprinz, der bald Kaiser werden sollte, mit offenkundigem Hang zu pompösen Auftritten, weswegen ihm auch das Fehlen eines repräsentativen, seiner Hauptstadt würdigen Hotels außerordentlich misshagte; und ein zielstrebiger, aus Mainz zugewanderter Hotelier mit wahrscheinlich französischen Wurzeln, der dem Prinzen solch ein Hotel zu bauen versprach und sich dann, als das Projekt schon vor dem Start in Schieflage zu geraten drohte, dank der hochherrschaftlichen Protektion doch durchsetzte.

Lorenz Adlon und Wilhelm II. – mit ihnen begann die Legende des berühmten Hotels. Selbstverständlich hat Seine Majestät auch in dem am Sonntagabend startenden ZDF-Dreiteiler ihren Auftritt – wie schon im ersten, 1955 von Josef von Báky fürs Kino gedrehten Film über das Adlon. Schließlich war der Kaiser der erste Gast, als das Hotel am 23. Oktober 1907 eröffnet wurde. Er hatte sich dies eigens ausbedungen und äußerte sich denn auch äußerst wohlwollend über das Haus, das angesichts seines verschwenderischen Luxus nun ganz ohne Zweifel das erste am Platz war.

Imponierende Üppigkeit in der Ausstattung, zuvorkommender Service, dazu eine Küche, die jeden Feinschmecker beglücken muss – all das sind gute Voraussetzungen für ein Hotel, um zum Mythos zu werden, garantiert ist er dadurch noch nicht. Diesen Status erringt solch ein Haus nicht durch Seidentapeten und vergoldete Kandelaber, nicht durch Trüffel, Kaviar und edelsten Champagner, sondern erst durch seine Gäste – durch den Ruf, der ihnen vorauseilt und von dem sie stets ein kleines Stück zurücklassen. Die schönen oder auch schrecklichen Geschichten, die mit ihnen verbunden sind, ihre Geheimnisse, die ungelüfteten besonders. Und von alldem hat das Adlon jede Menge zu bieten, das neue Haus schon altersbedingt in noch geringerem Maße, besonders aber das originale, das dafür ja reichlich Zeit hatte.

Es war eben das „Berliner Hotel, in dem die große Welt zu Gast war“, wie Hedda Adlon, zweite Ehefrau von Lorenz’ Sohn und Erben Louis, ihre Erinnerungen an das 1945 untergegangene Luxushaus überschrieben hatte. Und das waren zudem anfangs oft gekrönte Häupter, heute eine Rarität. Beispielsweise Zar Nikolaus II., der 1913 zwar nur eine gute halbe Stunde im Adlon weilte, aber unfreiwillig einen erheblichen Beitrag zur dunklen Seite des Mythos beitrug. Denn ausgerechnet die Nobelherberge hatten sich russische Anarchisten für einen Mordanschlag ausgesucht und sogar den stellvertretenden Direktor gewonnen, eine Bombe zu platzieren. Einen russischen Geheimagenten, der ihm auf die Schliche gekommen war, hatte der hoch verschuldete Mann noch umgebracht, vor dem Zünden der Nikolaus zugedachten Bombe aber versagten seine Nerven. Nach seiner Entdeckung richtete er sich selbst.

Ein weiterer Mord geschah während des Spartakusaufstands am 2. Januar 1919. Ein Gast des Hauses, der sich Baron Winterfeld nannte, hatte sich durch einen Geldbriefträger zum Schein eine Nachnahmesendung zustellen lassen, ihn im Hotelzimmer erdrosselt und ausgeraubt. Erst Wochen später wurde er bei einer ähnlichen Tat in Dresden gefasst.

Aber dergleichen blieb Ausnahme, vermochte das glänzende Erscheinungsbild nur punktuell zu trüben. Hedda Adlons Buch ist vielmehr ein einziges Schwelgen im Prunk der großen Namen. Ihr verdankt die Nachwelt beispielsweise ein pikantes Detail des triumphalen Berlin-Besuchs von Charlie Chaplin 1931 anlässlich des Kinostarts von „Lichter der Großstadt“. Natürlich stieg er im Adlon ab, schaffte es nach der Ankunft auch halbwegs unbeschadet ins Foyer, wo sein Schritt jäh stoppte: „Entgeistert blieb Chaplin stehen und blickte in komischer Verzweiflung um sich: Seine Hose rutschte! Stürmische Verehrer hatten sämtliche Knöpfe an Jacke und Hose abgeschnitten (...) Mit beiden Händen seine Hose festhaltend, floh er in den Fahrstuhl.“

Das hat der kleine Tramp Berlin nicht weiter krummgenommen, und schon gar nicht dem Adlon, das ihm für den Sonderpreis von 245 Mark pro Tag das Fürstenappartement mit Blick aufs Brandenburger Tor reserviert hatte. Dort empfing er an diesem denkwürdigen 9. März kurz darauf für zehn Minuten die Berliner Presse. Der Reporter des „12-Uhr-Blatts“ hatte eigens die mal wieder in ihrer Heimatstadt weilende Marlene Dietrich mitgebracht, die dabei gern erzählte, dass sie Chaplin schon bei den Dreharbeiten zu „Lichter der Großstadt“ besucht habe, und ohnehin recht kokett aufgelegt war. „Soll ich ihn im Bad besuchen?“, fragte sie in die Runde, als es hieß, Chaplin müsse sich erst frisch machen. Die Reporter notierten es begeistert.

Die Adlons. Die Darsteller von "Das Adlon: Ein Hotel. Zwei Familien. Drei Schicksale": Ken Duken (von links), Josefine Preuss, Christiane Paul, Heino Ferch, Jürgen Vogel, Burghart Klaussner undNora von Waldstätten.
Die Adlons. Die Darsteller von "Das Adlon: Ein Hotel. Zwei Familien. Drei Schicksale": Ken Duken (von links), Josefine Preuss, Christiane Paul, Heino Ferch, Jürgen Vogel, Burghart Klaussner undNora von Waldstätten.
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Das alte Adlon bot Stoff für unzählige solcher Anekdoten: Enrico Caruso und Richard Tauber stiegen dort ab, 1929 Thomas Mann mit seiner Katja auf der Durchreise nach Stockholm, wo ihm der Nobel-Preis verliehen wurde. Auch umschwärmte Tänzerinnen von nicht ganz einwandfreiem Ruf waren Gast im Adlon, 1914 die damals europaweit berühmte La Belle Otéro. Sie erregte auch das starke Interesse des Kaisers, für den der verständnisvolle Lorenz Adlon eine wie zufällig erscheinende Begegnung zu arrangieren wusste. Und auch Anita Berber, in den wilden Zwanzigern skandalumwitterte Tänzerin und Schauspielerin, beehrte die Bar des Hotels einst mit einem Besuch, bekleidet nur mit einem Pelz, den sie bald achtlos zu Boden gleiten ließ.

Bei Kriegsende 1945 brannte das Adlon weitgehend aus, der Rest wurde als Hotel und Restaurant, zuletzt als Lehrlingswohnheim genutzt und 1984 abgerissen. Der Mythos schien an sein Ende gekommen zu sein. Ein Irrtum: Am 23. August 1997 wurde das Hotel wiedereröffnet, diesmal übernahm der damalige Bundespräsident Roman Herzog die Rolle des Kaisers. Durch Architektur, Ausstattung, Service und dekorative Hinweise auf die Vergangenheit versucht man an den Mythos anzuknüpfen. Kürzlich heirateten sogar Lorenz Adlons Ur- Ur-Enkel Felix und die Opernsängerin Nina Berten im Kleinen Wintergarten des Hotels. Auch kann das Haus wieder auf eine ansehnliche Reihe prominenter Gäste zurückblicken, auf den US-Präsidentschaftskandidaten Barack Obama beispielsweise, der sich im Sommer 2008 nach seiner umjubelten Rede an der Siegessäule im Adlon beim Lunch stärkte. Attentatsversuche gab es, soweit bekannt, in der neueren Geschichte nicht, dafür die Dreharbeiten mit Liam Neeson zu „Unknown Identity“ 2010, in dem das Adlon anders als seinerzeit beim Zaren tatsächlich in die Luft fliegt. Und sucht man nach Skandalen, so wäre hier Michael Jacksons seltsames Verhalten 2002 zu nennen, als er seinen jüngsten Sohn Prince Michael II den Fans zeigen wollte und ihn zu aller Schrecken über die Balkongeländer hielt. Als das „Baby-Baumeln von Berlin“ ist der Auftritt in die Geschichte eingegangen.

Die Rezension des ZDF-Dreiteilers lesen Sie am Sonntag auf der Medienseite.

Andreas Conrad

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