Wie funktioniert die Stadt? (6): Ideen für die Tonne
Wer sagt eigentlich, dass Mülltonnen niemals behindertengerecht werden und Straßenbesen für alle Zeiten gerade sein müssen? Eben. Ein Kreativteam bei der BSR kümmert sich darum, dass einfache Dinge, die den Alltag erleichtern könnten, nicht übersehen werden.
Wie funktioniert die Stadt? Folge 6: Die Berliner Stadtreinigung
Die Berliner Stadtreinigung ist die Truppe der fröhlichen Feger und Sammler in Orange. Nach innen ist sie ein Hightech-Unternehmen, das dreistellige Millionenbeträge investiert und letztes Jahr 1,3 Millionen Tonnen Abfall entsorgt hat. Weggeworfenes wird verwertet: zu Strom und Wärme etwa. Aus Grünabfällen wird Treibstoff, aus Schrott Metall. Ein Blick hinter die Kulissen ist beeindruckend – vor allem, wenn es um die neue Generation von Fahrzeugen geht. Der Mülllaster vom beiliegenden Poster ist das beste Beispiel: Er wird mit Biogas aus der BSR-eigenen Anlage betrieben.
Müll muss voraussichtlich auch noch im 22. Jahrhundert entsorgt werden. Und wo viele Menschen leben, wird es auch in Zukunft dreckig. Insofern gehört die Berliner Stadtreinigung wohl zu den krisensichersten Unternehmen überhaupt, zumal kommunaler Betrieb mit gesetzlich fixierten Aufgaben. Diese komfortable Position könnte zu Trägheit verleiten: Warum um Innovationen bemühen, wenn das Geschäft so sicher ist? Um dieser Verlockung zu entgehen, gibt es bei der BSR seit langem ein klassisches betriebliches Vorschlagswesen – in Gestalt einer Software mit standardisierten Kriterien: Es muss ein reales Problem oder Defizit vorliegen, das ein Mitarbeiter löst, obwohl er dafür nicht zuständig ist. So werden immer mal wieder handfeste Dinge verbessert, beispielsweise Details an einer Straßenkehrmaschine. Andere Fortschritte sind durch politische Vorgaben forciert oder im eigenen Interesse der BSR: Mit Biogas betriebene Müllwagen helfen dem Land Berlin, seine eigenen Klimaschutzziele sowie EU-Vorgaben zur Luftreinhaltung zu erfüllen. Ein automatisierter Rechnungsaustausch mit den Kunden erspart immense Papier- und Verwaltungskosten und trägt dazu bei, dass die Berliner Müllgebühren weiter zu den bundesweit geringsten gehören. Biotonnen mit Pedal sollen auch jene zum Separieren von Küchenabfällen animieren, die sich vor der Obstfliegen-Wolke aus der Braunen Tonne fürchten. Wobei – und diese Erkenntnis ist ebenfalls neu – die Biotonne den Menschen sympathischer wird, wenn sie statt des braunen Deckels einen lindgrünen trägt. Das haben Praxistests ergeben.
Ideenschmiede BSR
Aber der Vorstand unter seiner bisherigen Vorsitzenden Vera Gäde-Butzlaff wollte neben der Pflicht auch die Kür voranbringen. Im Jahr 2010 legte er Mitarbeitern aus allen Abteilungen nahe, sich als „Ideenlabor“ zusammenzufinden – nicht als eigene Abteilung, sondern als loser Verbund von Mitarbeitern mit ganz unterschiedlichen Aufgaben. Bereichs- und Abteilungsleiter waren ebenso dabei wie eine Sachbearbeiterin. „Einzige Bedingung war, dass die Beteiligten sich Zeit nehmen und Spaß daran haben“, erzählt Ideenlaborant Jan Holthusen, der im Vorstandsbüro für Umwelt, Energie und Innovationen zuständig ist. Das Team startete zunächst einen Wettbewerb zu den zwei Großthemen Entwicklung von Abfallströmen und demografischer Wandel. Dazu tingelten die Beteiligten über die Betriebshöfe, um auch jene Kollegen zu erreichen, die sich nach ihrer Tour mit dem Besen oder Müllwagen niemals an den PC vors Innovationsformular setzen würden. 170 Anregungen sammelten die Ideenlaboranten auf diese Weise ein – die meisten davon zum Komplex „Entsorgung und Demografie“, sagt Holthusen. „Dabei ging es nicht nur um die älter werdende Gesamtbevölkerung, sondern auch um die Müllwerker.“
Studenten für die BSR
Auf der Suche nach Ideen wandten sich die BSR-Innovateure auch an Hochschulen, wo 20 Semesterarbeiten zu Abfallentsorgung und Straßenreinigung der Zukunft entstanden. Es waren sehr gewagte Ideen wie die Müllentsorgung über ein Kanalsystem dabei. Aber eben auch handfeste Entwürfe, wie der der angehenden Produktdesignerin Evelyn Malinowska von der Kunsthochschule Weißensee. Sie entwickelte in ihrem Diplompraktikum bei der BSR die barrierefreie Mülltonne, die nun patentiert werden soll. „Zuerst haben wir uns direkt die Tonne vorgenommen“, sagt Holthusen. Die neue Konstruktion sollte sich nach unten verjüngen oder schräg stehen, um auch für kleinwüchsige Menschen und solche mit Rollatoren und Rollstühlen zugänglich zu sein. Doch die Prototypen erwiesen sich als kippanfällig und schlecht zu leeren. So kamen die Tüftler von der Tonne aufs Gestell, das sie stabilisiert und das Öffnen erleichtert. Derzeit wird sie erprobt. Und Evelyn Malinowska hat einen Arbeitsvertrag bei der BSR. „Die Zusammenarbeit mit den Hochschulen verspricht am meisten Erfolg, wenn man die Fragestellung relativ offen lässt“, sagt Holthusen. Zwecks Inspiration haben die Studenten jeweils eine Schicht bei der BSR absolviert. Im Ergebnis dieses Feldversuchs entstand unter anderem ein Besen mit abgewinkeltem Stiel, der sich gut greifen lässt. Warum sollen alle Straßenreiniger den gleichen geraden Besen benutzen müssen, wenn sie doch auch maßgeschneiderte Schuhe bekommen? Gute Frage. Allerdings ist die Lösung in diesem Fall noch offen: Besen sind billige Massenprodukte und die Hersteller entsprechend wenig offen für Experimente. Im Gegensatz zur BSR.
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