Afghanische Bundeswehr-Helfer in Todesangst: „Ich schäme mich, dass unser Staat das zulässt“
Im Tagesspiegel berichteten wir von einem afghanischen Bundeswehr-Mitarbeiter, der auf der Todesliste der Taliban steht. Jetzt will ein Leser helfen.
Am Dienstag berichtete der Tagesspiegel über das Schicksal des afghanischen Familienvaters Aref Saboor. Der 32-Jährige fürchtet in Kabul um sein Leben und das von Frau und Tochter, weil er als ehemaliger Helfer der Bundeswehr auf einer Todesliste der Taliban steht. „Ich hätte nie gedacht, dass man uns zurücklassen würde“, hatte Saboor unserem Mitarbeiter Thore Schröder vergangene Woche gesagt.
Auf den Artikel hin hat sich der Berliner Tagesspiegel-Leser Clemens Beck an die Redaktion gewandt. Er bietet an, über die von ihm geführte Beck'sche Stiftung nicht nur die Flugkosten für Aref Saboor und seine Familie zu übernehmen, sondern die Familie die ersten drei Jahre lang in einer eigenen Berliner Wohnung miet- und nebenkostenfrei wohnen zu lassen. Zudem möchte er den dreien 15.000 Euro Starthilfe unter anderem für Sprach- und Integrationskurse schenken.
„Ich will nicht, dass diese Familie die gefährliche Flucht über den Iran wagen muss“, begründet Beck sein Angebot. Für ihn ist klar: Wenn die Saboors in Afghanistan bleiben müssen, werden die Taliban sie irgendwann finden, ihnen Leid antun. Der Familie eines Mannes, der eng mit der Bundeswehr zusammengearbeitet habe, seine Zukunft auf sein Vertrauen in Deutschland gebaut habe, wie Beck betont. „Als deutscher Bürger schäme ich mich, dass unser Staat so etwas zulässt.“
Doch die Hilfsbereitschaft von Menschen wie Beck allein rettet die Familie nicht. Obwohl in Deutschland aus privater Hand für vieles gesorgt wäre, dürfen Aref Saboor und seine Familie Stand jetzt nicht einreisen. Weil er nicht direkt als sogenannte „Ortskraft“ registriert ist und als Helfer der deutschen Streitkräfte anerkannt wird – sondern bei einer afghanischen Partnerfirma angestellt war.
In der Absage auf einen von Saboor gestellten Antrag auf Ausreise wegen besonderer Gefährdung infolge eines Arbeitsverhältnisses mit den Deutschen, die dem Tagesspiegel vorliegt, schreibt das Auswärtige Amt: Es wurde festgestellt, dass er kein Angestellter der Bundesrepublik Deutschland war.
Sein Job machte ihn für die Taliban zum Todfeind
„Denkt die deutsche Regierung tatsächlich, dass sich die Taliban für die Art unserer Beschäftigungsverhältnisse interessieren?“, sagt Saboor. Am Ende des Ablehnungsbescheids heißt es noch: Er solle es bitte kein zweites Mal versuchen.
Für rund 900 Dollar im Monat produzierte Aref Saboor Texte und Videos, die die afghanischen Regierungstruppen in ein gutes und die Taliban in ein schlechtes Licht rücken sollten. Sein Auftraggeber: Das Bayan Media Center, eine von der Bundeswehr im nordafghanischen Masar-i-Scharif gegründete Nachrichtenagentur. Ein Job, der ihn für die Taliban zum Todfeind gemacht hat.
Nach dem Abzug der internationalen Truppen sind die Taliban wieder auf dem Vormarsch, nehmen immer schneller immer größere Gebiete ein. Die Sicherheitslage vor Ort ist so angespannt, dass das Bundesinnenministerium am Mittwoch entschied, Abschiebungen nach Afghanistan vorerst auszusetzen.
Länder wie Großbritannien oder die USA haben entschieden, auch solche Helfer in Sicherheit zu bringen, die nur über Subunternehmen mit ihnen verbunden waren. Sie können Anträge stellen, die auch bewilligt werden.
[Mehr zum Thema: Bundeswehr-Abzug aus Afghanistan: Mahmoud half den Deutschen, die Taliban wollen ihn ermorden (T+)]
Das Auswärtige Amt verweist auf Tagesspiegel-Anfrage an das Bundesinnenministerium. Das lässt den Tagesspiegel wissen, dass man zu solchen Einzelfällen nichts sagen könne – und auch nicht zuständig sei, man solle das Verteidigungsministerium kontaktieren. Das Verteidigungsministerium betont auf Nachfrage, dass man schon seit Monaten viel für die Ortskräfte tue, rund 1800 seien bereits in Deutschland, weitere würden folgen.
„Da fehlt der politische Wille", sagt ein Bundeswehr-Soldat
Das hilft allerdings nur den Menschen, die wie in Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes festgehalten in einem Vertragsverhältnis mit der Bundesrepublik gestanden haben. Nur dann gilt die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, was auch bedeutet, dass der Arbeitnehmende in Sicherheit gebracht werden muss, wenn er in Gefahr ist. Helfer, die diesen Status nicht haben, müssten regulär Asyl beantragen.
Die meisten aus anderen Gründen hierher gelangenden Geflüchteten aus Afghanistan haben in Berlin nur eine Duldung.
„Da fehlt der politische Wille", sagt Marcus Grotian, ein Bundeswehr-Soldat, der selbst in Afghanistan gedient hat und seit 2015 das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte leitet. Die Situation der Helfer vor Ort sieht Grotian als dramatisch an. Visa werden nur extrem langsam ausgestellt, die Menschen seiner Ansicht nach alleingelassen.
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3000 bis 4000 Menschen hingegen hätten laut Grotian keine Chance auf einen bewilligten Antrag, obwohl sie mit den Deutschen zusammengearbeitet hätten. Hunderte von ihnen drängten in zwei von Grotians Hilfsnetzwerk betriebene Safe Houses in Kabul, erzählt er am Telefon, er sei gerade dabei, ein drittes zu eröffnen. Wie lange er für die Sicherheit der Menschen sorgen könne, wisse er nicht.
Noch gibt er die Hoffnung nicht auf
Angesichts solcher Entwicklungen kann Clemens Beck, der Berliner, der den Saboors helfen möchte, die Unterscheidungen der Bundesregierung nicht nachvollziehen: „Es geht um Schutz für diejenigen, die konkret bedroht werden, weil sie für uns gearbeitet haben“, sagt er. „Ob nun direkt für deutsche Behörden oder für ein letztlich den Deutschen unterstelltes Unternehmen, ist doch vollkommen unerheblich. Entscheidend ist die Gefährdung.“
Der Berliner Bundestagsabgeordnete und Verteidigungspolitiker Fritz Felgentreu von der SPD sagte dem Tagesspiegel: „Eine bewundernswerte Initiative. Für dieses großzügige Engagement kann ich nur danken. Ich erwarte, dass die Familie auf dieser Grundlage jetzt ganz schnell ein Visum erhält. Schlimm genug, dass für viele die Zusage schneller und unbürokratischer Hilfe offenbar nicht gilt.“
Aref Saboor zeigte sich am Dienstag gerührt von der Anteilnahme aus Deutschland, von der Resonanz nach dem Tagesspiegel-Artikel. „Ich bin unglaublich dankbar für das Mitgefühl dieser Deutschen, die mich ja nicht mal persönlich kennen, vor allem für dieses großzügige Angebot“, sagte er in Kabul. „Das zeigt mir, dass wir nicht allein sind. Noch gibt es Hoffnung für unsere Familie.“
Dennis Pohl, Thore Schröder