Nervige Kondomwerbung: Ich mach’s – nicht mehr mit!
Mit Herzklopfen, mit Erfahrung, mit Latex: Die Figuren in der Kondomwerbung machen es ganz unterschiedlich. Sollen sie doch. Aber bitte nicht vor meiner Nase, jeden Tag. Ein Ruf nach etwas Diskretion.
Die Öffentlichkeit ist nun mal der Raum, in dem man belästigt wird. Normale Produktwerbung kann man noch am ehesten ausblenden: Geld wird ausgegeben, um Menschen zum Geldausgeben zu bringen, andere Menschen verdienen Geld damit. Sei’s drum.
Schwerer fällt das Ausblenden bei Belästigung im größeren gesellschaftlichen Interesse. Also bei Kampagnen, die unser Verhalten ändern wollen. Der Unterschied zur Produktwerbung liegt darin, dass man, jedenfalls wenn man Steuern zahlt, auf eigene Kosten belästigt wird. Manchmal bringt einen diese Art Werbung noch zu einem müden Grinsen. Die BSR-Kampagne, die zum Benutzen von Mülleimern animieren soll, hat Potenzial. Oder die Sachsen-Anhalt-Werbung vor ein paar Jahren: „Wir stehen früher auf“ – weil die Leute dort, statistisch gesehen, ein paar Minuten früher das Bett verlassen als woanders.
Manchmal erzeugt diese Art Werbung auch ein Schaudern: „Einer rast, zwei sterben“, liest man rechts an der Autobahn auf einem Plakat mit einem Paar im Cabrio. Manchmal bleibt auch nur Kopfschütteln: „Bitte mit Rücksicht“, strahlt eine Fahrradfahrerin an Berliner Bushaltestellen und hält dem Betrachter eine Alu-Dose (?) mit der Aufschrift „Rücksicht“ (??) hin – als wäre die Verbindung aus Rücksicht und Berlin nicht schon ein Widerspruch in sich. So wie das leckere, mit Mohn verzierte Vollkornbrot von Kaiser’s. Es heißt „Hertha-Powerbrot“.
So richtig schlimm ist aber eine andere Kampagne, die vermutlich auch das Verhalten ändern soll – schließlich kommt sie von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Sie ist zugleich eine Kampagne gegen das Busfahren, denn wer Busse benutzen will, kann ihr kaum entgehen. Es handelt sich um die „Mach’s mit“-Kampagne, mit der die oben erwähnte Zentrale für die Benutzung von Kondomen wirbt.
Wer heute nichts von sicherem Sex weiß, ist auch noch zu klein zum Plakatelesen
Während man auf den Bus wartet und der Blick auf die Werbefläche am Wartehäuschen fällt, befallen einen tiefe Zweifel an der eigenen Lebensführung. Man ist in Gedanken brav bei der Arbeit, sieht plötzlich das Foto von diesem Stoppelschädel mit Kapuzenjacke und wird informiert, die Kapuze mache es „mit Herzklopfen“. An der nächsten Bushaltestelle macht es ein Dreitagebart „mit allem Drum und Dran“. Die Omi mit dem halblangen Weißhaar macht’s an einer anderen Haltestelle „mit Erfahrung“. Blondi macht’s „bestimmt“. Und Gelfrisur macht’s „direkt“.
Man wird ganz manisch, wenn man sich vorstellen muss, wie unterschiedlich es die unterschiedlichen Leute denn so tun – und wird natürlich außerdem darauf hingewiesen, dass man stets zum Gummi greifen solle, bevor man es macht. Wegen Aids und wegen sexuell übertragbarer Krankheiten. Echt jetzt? Seit Aids vor Jahrzehnten zum Thema wurde, ist „ungeschützter Sex“ ein Begriff. Medien waren und sind voller Hinweisen darauf, wie man Ansteckungen vermeidet.
Nur bei der Gesundheitszentrale tun sie so, als sei das Betrachten sexuell aktiver Mitbürgerdarsteller die einzige Erkenntnisquelle für geschlechtsreife Busbenutzer oder Plakatbetrachter (schließlich werden auch Großflächen beklebt). So geht das seit Jahren – bei der Zentrale sind sie so stolz auf ihre Kampagne, dass sie die Motive sogar im Netz vorhalten. 2013 hatten sie statt des „Mach“- den „Will“-Spruch. Ein Burkhard-Driest-Verschnitt in Lederjoppe verkündete: „Ich will’s ehrlich“, eine reife Dame erklärte, sie wolle es „lustvoll“. Und ein übercool posierender Nachwuchsmacho wollte es „endlich“. Haha.
Wie lange soll das noch so gehen? Kinder von zwölf Jahren sind heutzutage aufgeklärt über biologische Abläufe, die das Denken in der Gesundheitszentrale bis zum hormonellen Overkill beherrschen. Wer heute nicht weiß, wie man sicheren Sex hat, der ist noch zu klein zum Busfahren und Großflächenplakate-Interpretieren. Es ist, als wollten die Gesundheitszentralisten die Menschen zwingen, in der Öffentlichkeit an Sex zu denken. Bevor sie weiternerven, sollten sie ihre 1,25 Millionen Euro – das kostet die Kampagne 2015 – als Preis ausloben: für den, der glaubhaft machen kann, dass er Kondome für eine Kaugummisorte hält.
Dieser Text erschien zunächst gedruckt als Rant in unserer Samstagsbeilage Mehr Berlin.