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Finger weg! Geht es nach denen, die Handys schon immer doof fanden, sollen Fußgänger bald nicht mehr daddeln dürfen.
© dpa

Digital vs. Print: Ich les' Handy, Buchspießer!

Smartphonegeglotze im öffentlichen Raum? Pfui, böse! Buchseitengeraschel in der stillen Kammer? Ja, bravo! Das Bildungsbürgertum vergisst über Eitelkeit und Dünkel die Neugierde. Zeit für eine Publikumsbeschimpfung.

Dann machen wir das so“, sagte der Redaktionszyniker und stieß den Rauch durch die Zähne. Es war Freitagfrüh, 14.30 Uhr. Nach einer 15-minütigen Marathonkonferenz hatte die Mehr-Berlin-Redaktion sich endlich auf ein Konzept für die morgige Ausgabe geeinigt. Vier Zeitungsseiten sollten es sein, vorne Kunst, in der Mitte irgendein Thema, hinten etwas Quatsch. Einzige noch offene Baustelle: der polemische Vierspalter oben auf der letzten Seite. Aber auch da schien endlich ein Durchbruch nahe. Man wollte, so hatte es der Redaktionszyniker gesagt und sofort Beifall geerntet, „die Gelegenheit nutzen, um mal den Lehrern und Buchhändlerinnen nach dem Mund zu reden“.

Allein der Bedenkenträger war noch nicht überzeugt von dem Plan, sich mit donnerndem „Richtig so!“ dem „Fachverband Fußverkehr“ (FUSS) anzuschließen. Der hatte mal gefordert, die „Benutzung mobiler Endgeräte im verkehrsrelevanten öffentlichen Raum“ ganz und damit auch für Fußgänger unter Strafe zu stellen. Zwar fand auch der Bedenkenträger, dass es für 100 Meinungszeilen „Die sollen lieber ein gutes Buch lesen, als daddelnd im Weg rumzustehen“ viel Zuspruch geben würde. „Aber ist es denn“, warf er ein, „nicht wohlfeil, sich mit einer auf Papier gedruckten Polemik gegen die Nutzung mobiler Endgeräte den Applaus der medienkonservativen Bildungsbürger abzuholen? Jener also, die aus einem Dünkel heraus rituell hyperventilieren, wenn irgendwas ,technisch‘ ist? Ich würde ja lieber mal schreiben, warum es gar nicht schlimm ist, dass alle immer auf ihre Handys glotzen. Und überhaupt: Ich bin schon mit acht Jahren Asterix lesend vor einen Baum gelaufen. Wollen die jetzt auch Asterix verbieten?“ Die anderen schauten ihn lange zweifelnd an.

Schließlich sagte der Redaktionszyniker: „Na gut, einmal noch. Aber dann verärgere sie wenigstens richtig!“

Sie haben doch nur Angst, dass niemand mehr Ihre Bücher bewundert!

Nun, nichts leichter als das. Ich muss Sie ja nur frontal beteiligen! Zum Beispiel Sie da, die Sie so gern die zweifelhafte These von der digitalen Demenz wiederkäuen! Und Sie da, die Sie grad von der Buchmesse kommen, wo sie mit den anderen Seidenschaltrullas und Taschenuhrtypen irgendwelchen Bullshit über die „total wichtige haptische Komponente von Büchern“ schwadroniert haben. Schließlich noch Sie alle da, denen es bei Ihrer glucksenden Zustimmung für die Handyverbotsforderung gar nicht um Verkehrssicherheit oder darum geht, dass da mal eine apathische Nase whatsappend im Weg rumsteht (und ja, als wache Zeitgenossen sollten Sie wissen, was Whatsapp ist). Sondern nur darum, etwas, dem Sie nicht mehr folgen können oder wollen, zum quasikriminellen Leichtsinnsakt umzudeuten.

Und ich muss Verlustängste unterstellen! Verlustängste, die sich daraus ergeben, dass im Smartphonezeitalter keiner außer dem Sitznachbarn im ICE mehr sieht, wer sich da gerade den Dostojewski reinpfeift und wer die „Bild“. Und auch daraus, dass sich weniger leicht soziale Kontrolle über die Mitmenschen ausüben lässt. Geben wir es doch mal zu: Wir Bücherkinder, und da schließe ich mich zur kleinen Zwischenversöhnung mal mit ein, haben gelernt, uns wohlig behaust zu fühlen, wenn’s im Sessel nebenan papieren vor sich hin schmökert. Aber es macht uns rasend, wenn da wer in digitale Weiten starrt. Da hilft auch die Versicherung der Starrenden, sie durchschmökerten gerade „Nesthäkchen“ als Gratis-E-Book, nicht weiter.

Allein, und damit dann zur finalen Provokation – es nützt ja alles nichts! Und auch wenn Sie nun sehr wohl beweisen können, dass digitale Kommunikation einsam und dement macht – sie ist, verdammt noch mal, Realität! Daher gilt: Wenn Sie Bekannte haben, die jede lustige Runde mit Gedaddel zerstören, waren die schon vorher Idioten. Und wenn Sie selbst ständig von der Kindle-App zu „bild.de“ rüberklicken, lesen Sie offensichtlich ein doofes E-Book. Wenn Sie nicht wollen, dass Ihre Kinder ständig über Displays hängen, müssen Sie das eben durchsetzen – oder zur Vernunft kommen! Und wer meint, seinen Dostojewski im Gehen lesen zu müssen, gehört in einer modernen Großstadt nicht angezeigt, sondern angerempelt.

Dieser Text erschien, wie eventuell zu merken war, in etwas anderer Form zunächst gedruckt als Rant in unserer Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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