Interview mit dem Modedesigner Wolfgang Joop: „Ich habe Angst vor der Leere danach“
Modedesigner Wolfgang Joop über den Wandel seiner Heimatstadt und den Grund, warum er mit dem Wunderkind-Laden nicht nach Berlin wollte.
Sie sind vor zwei Jahrzehnten in Ihre Geburtsstadt zurückgekehrt. Wie erleben Sie Potsdam heute?
Manchmal so, als ob die Zeit einfach durchgefallen wäre. Es ist schon seltsam, wenn ich jungen Leuten erklären muss, wie es in Potsdam vor zwanzig Jahren aussah. Den Mangel, die Tristesse, Verfall und die Vernachlässigung, in der aber trotzdem der Charme von Potsdam geblieben war, für mich, der hier geboren ist. Seitdem hat sich Potsdam unglaublich entwickelt.
Man sieht Sie öfter, mal auf dem Markt, mal auf dem Fahrrad. Wie gehen die Leute mit Ihnen im Alltag um?
Nur ein Beispiel, als ich mich vor einem Jahr im Fitnessstudio befand, hab ich in der Umkleidekabine einen sehr aufmunternden Spruch gehört. Da sprach mich plötzlich ein nicht mehr ganz junger Potsdamer an: Biste Joop? Ich antwortete: Ja, bin ich. Er: Find ick jut. Das ist der Potsdamer, wie er leibt und lebt. Ich begegne hier Leuten aus verschiedenen Schichten. Potsdam ist ja keine homogene Gesellschaft wie am Starnberger See. Hier ist noch eine sehr kontroverse, widersprüchliche Gesellschaft. Und das drückt sich ja auch in meinen Kollektionen aus. Da mischen sich Bodenständigkeit und Romantik, mein gesamtes Erinnerungsspektrum.
Nach Sylt und München haben Sie am Samstag gegenüber dem Rathaus in der Remise der Villa Bier einen Laden Ihres Modelabels Wunderkind in Potsdam eröffnet. Ihr großer Traum?
Nicht unbedingt, wir hatten ja schon einmal einen Joop-Laden in Potsdam, mancher erinnert sich vielleicht noch …
… damals ging es schief. Was ist diesmal anders?
Alles. Damals war es zu früh, auch Potsdam war noch nicht so weit. Außerdem führen wir den Laden heute anders als damals in Eigenregie, Wunderkind ist in Potsdam sowieso zu Hause, hier haben wir die kürzesten Wege. Und die Stadt hat einen faszinierenden Sprung gemacht. In Potsdam hat sich mittlerweile ein ganz anderes Publikum entwickelt, wirklich High-Class. Wenn ich mich selber als Kunden beschreiben würde, sähe das so aus: Als Ästhet ist mir Berlin zu eng, zu wuselig und was dort angeboten wird, ist zu wenig „pre-selected“ …
… also vorausgewählt …
…. damit ich mich nicht durch etliche Labels wühlen muss, um an das zu kommen, was ich möchte. Wir leben heute in einer überfluteten Produktwelt, da wird die Vorauswahl immer wichtiger. Hier setzt auch Wunderkind Archiv in Potsdam an. Es ist auch eine Galerie. Es hat wenig mit normalen Boutiquen zu tun, nichts mit Gemischtwarenläden. Das sieht man auch schon an der unglaublichen Location, die wir hier gefunden haben: Die Remise eines Persius-Hauses mitsamt Innenhof und vielleicht bald auch einem Bistro. Es ist eine in sich abgeschlossene Welt, keine Shopping-Mall mit tausend verschiedenen Produkten, von denen man gar nicht weiß, woher sie kommen, wie sie gemeint sind und welchen Nutzen sie haben.
"Kleidung, selbst wenn sie Kunst ist, braucht immer einen Träger"
Wie viel Wolfgang Joop ist im Potsdamer Wunderkind Archiv?
Es ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Wer vorbeischaut, der bekommt eben auch einen Eindruck vom Werk eines Potsdamer Künstlers, der zurückgekommen ist. Zur Villa Rumpff ist der Zutritt ja strengstens verboten, weil dort die neuen Ideen entwickelt werden.
Gibt es Vorbilder, hat Sie jemand inspiriert?
Es gibt eben einige wenige Coutierers, die Ähnliches machen. Azzedine Alaia zum Beispiel hat im Pariser Viertel Marais einen wunderbaren Showroom in einem ähnlichen kleinen Innenhof wie wir hier in Potsdam. Da pilgert der Fashion-Tourist gezielt hin. Bei Alaia sieht man in Marais auch seine komplette Arbeit aus mehreren Epochen. Es geht nicht nur um den modischen Moment, sondern um eine künstlerische Arbeit, die zeitübergreifend ist.
Das ist auch Ihre Philosophie für das Wunderkind Archiv?
Ja, ich glaube wirklich: Man kann das Gesamtwerk Wunderkind nur verstehen, wenn man in eine Art Tempel gehen kann, in dem der Geist von Wunderkind existiert und ungestört ist. Und das geht nur in Potsdam. Wir greifen auf spezielle Kleider zurück, die wir eigentlich für eine Retrospektive aufbewahrt haben. Wir zeigen dort zum Beispiel auch Entwürfe, die gar nicht in Produktion gegangen sind, sondern nur für eine Show angefertigt wurden, damit Einzelstücke sind. Kalkuliert könnte sich die niemand leisten. Wir bieten sie als einmalige Gelegenheit, die ich auch nur meiner Heimatstadt gönne. Denn es fällt mir manchmal durchaus schwer, solche Einzelstücke in eine fremde Stadt zu geben, außerhalb unserer emotionalen Reichweite, außerhalb des Entstehungsortes. Das ist hier doch ganz nah, es ist im Grunde das zweite Atelier.
Warum kein Museum?
Kleidung, selbst wenn sie Kunst ist, braucht immer einen Träger. Wenn Mode in Textilmuseen ausgestellt wird, dann riecht es doch immer etwas nach Madam Tussauds.
Wie oft wird man Sie im Wunderkind Archiv antreffen?
Ich habe mir schon einen kleinen Schreibtisch dort hingestellt, werde dort auch arbeiten. Die Atmosphäre in der Rumpff-Villa ist ja manchmal schon sehr unruhig. In der Remise der Villa Bier ist das ganz anders, schon durch den Kontrast der beiden so unterschiedlichen Räume: der eine, die ehemalige Werkstatt, mit hohen Backsteinwänden, Eisenhaken, die von der Decke hängen. Der andere Raum ist schneeweiß, wie eine kleine Dorfkirche mit einem hohen Oberlicht, puristisch, eher wie in einem Laboratorium. Dort sieht man auch, wie präzise, speziell und genau die Kleider gearbeitet sind.
Die preußische Inspiration?
Man schaue sich bitte das Marmorpalais an, Schloss Sanssouci und Schloss Charlottenhof! Die sind präzise im internationalen Geschmack ihrer Zeit erarbeitet, damals Weltniveau, und doch einzigartig. Diese außerordentliche Ästhetik hat in Potsdam also Tradition. Doch wo sind heute Galerien, Boutiquen oder Restaurants, über die man sagt: Das findet man nur in Potsdam. In Paris oder in Mailand ist das selbstverständlich.
"Das bin ich meiner Heimat Potsdam einfach schuldig gewesen"
Sie wollen Potsdam mit dem Projekt auch ein Stück nach vorn bringen?
Ganz nach oben! (lacht) Jede Inszenierung ist immer auch ein bisschen pädagogisch.
Drunter geht's bei Ihnen nicht?
Jeder, der diesen Ort betritt, wird ihn nicht vergessen. Für mich selbst ist es wie eine Inkarnation all dessen, was ich in New York, London oder Paris stets gesucht habe und manchmal auch fand. Wunderkind und Wolfgang Joop haben internationale Erfahrung, internationalen Ruf. Unsere Arbeit, die am Heiligen See entsteht, auch in Potsdam zu präsentieren, gemeinsam Schönheit zu inszenieren, das hier zu wagen, in der Kleinstadt, im Vorort von Berlin, das bin ich meiner Heimat Potsdam einfach schuldig gewesen.
Warum nehmen Sie nicht Berlin?
Wir haben uns mit Wunderkind ja immer etwas von Berlin ferngehalten, um dort nicht in diesen Bread & Butter- oder Mercedes Benz Fashion Week-Trubel mit den B-Promis und dem warmen Chablis eingeordnet zu werden. Es ist eine Tatsache, dass nach mir und Jil Sander nicht viel nachgerückt ist in der deutschen Szene.
Sie wollen mit einem kleinen Label wie Wunderkind international mithalten. Geht das überhaupt?
Es ist eine ganz harte Arbeit, sich diesem Anspruch zu stellen und diesem Anspruch zu genügen. Ich sage, er liegt über dem von Kunst. Es ist mit derselben Inbrunst gemacht, mit derselben Perfektion entwickelt. Aber wir haben natürlich als Maßstab den lebenden Menschen, die normale Frau, für die das auch funktionieren muss. Es ist der ewige Kampf zwischen Kunst und Handwerk. Wir haben den Anspruch, auch Kunst zu machen. Im Ausland wird das oft klarer gesehen als in Deutschland. Hier gibt es immer noch nur für wenige einen Grund, sich mit einem Label auseinanderzusetzen, das teuer sein muss und darf, weil es eben in der Nähe der Kunst liegt. Kunst entzieht sich dem Preisvergleich. Im Ausland haben wir mehr Kunden, die die Produkte, die wir am Heiligen See entwickeln, verstehen und zutiefst bewundern. In Deutschland bewundert man dagegen den Status, Immobilien, die feste Geldanlage. Im Ausland bewundert man den Zeitgeist, der genau getroffen ist.
Ihre Firma Wunderkind, einst ein Gemeinschaftsprojekt mit einem Finanzier, war wirtschaftlich in Nöten. Ist die Krise überwunden?
Jede Firma braucht eine einheitliche Zielsetzung. Die haben wir jetzt wieder, mit dem alten Team, Edwin Lemberg und ich. Wir haben, in Windeseile, drei Kollektionen an den Start gebracht, die bejubelt worden sind. Vor drei Monaten standen wir noch im eiskalten Paris, haben dort die Winterkollektion 2013 gezeigt. Eben habe ich die Kollektion für den Sommer 2014 nach Mailand verpackt. Und trotzdem ist jede Kollektion ein Risiko. Da steckt so viel Innovation drin, in Formen, in Farben, in Stoffen, dass es unter dem immensen Zeitdruck auch immer schiefgehen kann. Wunderkind geht es genauso gut wie es uns persönlich geht. Viele meiner Kollegen werden ja nach ein paar Saisons aus der Kurve getragen, weil sie diesen nervlichen Druck gar nicht ertragen können. Auch wir werden wohl noch eine Menge Überraschungen erleben.
Warum tun Sie sich das mit 68 Jahren überhaupt noch an?
Was wäre denn die Alternative? Ich bin ja kein Sportler, dessen Zeit abgelaufen ist, weil er einfach krumme Beine bekommen hat oder fürs Eislaufen zu schwer geworden ist. Kati Witt wollte ja vielleicht auch nicht vom Eis und Franziska von Almsick auch nicht aus dem Wasser. Ich bin ja immer noch hoch trainiert wie ein Rennpferd. Das will raus aus der Box. Wenn man aufhört, müsste man sich diesen Leistungsdruck erst heruntertrainieren. Dazu bin ich gar nicht bereit, nicht in der Stimmung. Ja, mich treibt auch der Horror vacui an, ich habe Angst vor der Leere danach. Ich mache ja nicht nur Wunderkind. Ich male, ich schreibe, ich berate. Und vor allen Dingen bin ich dabei, Familienfrieden zu finden, irgendwann. Das ist für mich das Allerwichtigste hier in Potsdam.