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Stätte der Angst. Vor einer Woche wurde Karim H. in das umstrittene Heim in Hellersdorf gebracht und floh aus Angst wieder.
© dpa

Asylbewerber aus Palästina: „Ich gehe nicht nach Hellersdorf zurück“

Vor einer Woche wurde Karim H. in das umstrittene Heim in Hellersdorf gebracht und floh aus Angst wieder. Hier erzählt der Asylbewerber aus Palästina, wie er die Proteste erlebt hat – und was er nun plant.

Als ich vor einer Woche erfuhr, dass ich in die Unterkunft in Hellersdorf umziehen soll, hatte ich ein schlechtes Gefühl. Vielleicht hat die Frau, die mir die Nachricht übermittelt hat, dabei komisch geguckt? Vielleicht habe ich schon zu viel erlebt? Jedenfalls bin ich vor dem offiziellen Umzug zur neuen Unterkunft gefahren, um mir die Gegend und das Haus anzusehen. Das war am vergangenen Sonntagvormittag. Am Nachmittag sollte das Rote Kreuz uns nach Hellersdorf bringen. Vor dem Flüchtlingsheim in Hellersdorf war sehr viel Polizei. Ich fragte eine Polizistin, was los sei. Sie kam ganz nah an mich ran und flüsterte: „Das sind Faschisten.“ Da erst sah ich die Menschen, die hinter der Polizei standen. Viele hatten Glatzen. Sie waren ruhig, schauten mich aber eindringlich an. Bedrohlich.

Ich war erschüttert. In der Schule hatte ich gelernt, dass die Faschisten in Europa gescheitert waren. Jetzt hatte ich den Eindruck, dass noch viele Deutsche faschistische Gedanken haben. Und dass besonders viele von ihnen in Hellersdorf lebten. Ich beschloss, auf keinen Fall in die neue Unterkunft zu ziehen. Zurück in Spandau, sprach ich sofort mit der Heimleiterin. Doch sie hatte kein Verständnis und sagte, ich müsse nach Hellersdorf. Und dann bat sie mich noch, den anderen Flüchtlingen nicht zu erzählen, was ich gesehen habe. Aber ich erzählte den anderen natürlich davon. Man hätte uns allen erklären müssen, was vor der neuen Unterkunft los ist, bevor man uns hinbringt. So, wie es gelaufen ist, habe ich das Gefühl, dass die Behörden uns wie Tiere behandeln, die zum Schlachter gebracht werden.

"Diese Menschen wollen uns genauso wenig hier haben wie die Faschisten in Hellersdorf"

Als am vergangenen Sonntag die Kleinbusse vom Roten Kreuz kamen, um mich und etwa 40 andere abzuholen, stieg ich ein. Ich wollte die anderen Flüchtlinge nicht alleine lassen. Keiner von ihnen kann so gut Englisch wie ich. Außerdem wussten sie ja nicht wirklich, was auf sie zukam. Meine Sachen aber ließ ich bei einem Freund, denn ich wollte wieder zurück. Die Fahrt war furchtbar. Die Menschen auf den Straßen, an denen wir vorbeifuhren, starrten uns an – heute glaube ich, dass das wahrscheinlich daran lag, dass wir in sieben gleichen Bussen unterwegs waren, die alle hintereinander fuhren, wie ein Konvoi. Aber in jenem Moment dachte ich: Diese Menschen wollen uns genauso wenig hier haben wie die Faschisten in Hellersdorf. Viele im Bus empfanden das wohl ähnlich, fast alle duckten sich während der ganzen Fahrt.

Karim H. ist 29 Jahre jung und lebt seit fünf Monaten als Asylbewerber in Deutschland. Geboren wurde er im palästinensischen Ramallah.
Karim H. ist 29 Jahre jung und lebt seit fünf Monaten als Asylbewerber in Deutschland. Geboren wurde er im palästinensischen Ramallah.
© Björn Kietzmann

Vor der Unterkunft in Hellersdorf waren noch viel mehr Polizisten und noch viel mehr Demonstranten als am Vormittag. Es war sehr laut, alle schrien durcheinander. Die Fahrer vom Roten Kreuz fuhren zum Hintereingang und brachten uns schnell ins Gebäude, wo uns der Heimleiter erwartete. Ich erklärte ihm sofort, dass wir zurück in die alte Unterkunft wollen. Er sagte, das gehe nicht. Die Fahrer vom Roten Kreuz liefen hinaus. Später erzählte mir ein Journalist, er habe einen Fahrer beim Hinauslaufen rufen gehört, „schnell weg, die wollen wieder zurück“.

Später erfuhr ich, dass uns viele Demonstranten eigentlich vor den Faschisten beschützen wollten. Am Sonntag aber nahm ich das nicht wahr. Ich dachte, alle seien gegen uns. Sogar die Polizei. Ich fühlte mich erbärmlich, fing an zu zittern. „Lass uns abhauen“, rief ich auf Arabisch und lief los, ich kannte ja den Weg. Sechs Männer folgten mir. Der Sicherheitsmann wollte uns erst nicht rauslassen, aber schließlich machte er das Tor auf. Polizisten lief uns hinterher, auch Demonstranten. Fünf Meter neben mir zerbrach eine Flasche. Ich schrie die Demonstranten an, wir rannten weiter. Zwei meiner Freunde verloren in der Hektik ihr Gepäck. Ich habe mich selten in meinem Leben so elend gefühlt wie an diesem Sonntag.

Männer und Frauen versuchten uns zur beruhigen

An der Busstation sprachen uns zwei Frauen und zwei Männer an. Sie waren nett, sie versuchten uns zu beruhigen und erklärten, dass die meisten Demonstranten in Hellersdorf linke Aktivisten waren. Ein Mann gab mir seine Telefonnummer und sagte, ich könne ihn jederzeit anrufen. Das tat ich später auch. Er lud mich zu der Demonstration am Dienstag ein; ich ging dann hin. Ich wollte mich nicht als Opfer fühlen. Tatsächlich fühlte ich mich zwischen den Aktivsten beschützt. In der Unterkunft in Spandau wurden wir von den Betreuern nicht so nett empfangen. Es hieß, wir dürften hier nicht bleiben. Wir würden unsere Ansprüche in Deutschland verlieren, kein Taschengeld mehr bekommen. Schließlich durften wir erstmal in unsere Zimmer zurück.

"Nach Hellersdorf gehe ich auf keinen Fall zurück, lieber schlafe ich auf der Straße"

An den folgenden Tagen holten wieder Busse vom Roten Kreuz Flüchtlinge ab. Und es kehrten etwa 20 Leute aus der Unterkunft in Hellersdorf zurück, weil die Demos vor der Haustür ihnen Angst machten – die meisten stammen aus Afghanistan, Irak und Syrien. Die Menschen aus Tschetschenien und vom Balkan fürchten sich offenbar weniger, sie sind geblieben. Die Heimleiterin hat mir und den anderen, die aus Hellersdorf geflohen sind, gesagt, dass wir wieder dorthin gebracht werden. Aber nach Hellersdorf gehe ich auf keinen Fall zurück, lieber schlafe ich auf der Straße. Mittlerweile habe ich zwar verstanden, dass nicht alle Menschen dort böse sind. Doch ich bin überzeugt, dass die Anwohner in Hellersdorf diesen furchtbaren Konflikt nicht vergessen werden. Sie werden uns Flüchtlinge dafür verantwortlich machen und uns immer mit Argwohn betrachten.

Mit dem Mann, der mir an der Bushaltestelle seine Nummer gegeben hat, habe ich schon gesprochen. Ich kann bei ihm unterkommen. Jetzt habe ich nur noch Angst um die anderen.

Aufgezeichnet von Veronica Frentzel.

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