Wegzug aus der Stadt: "Ich bin kein Berliner"
Viele wollen in diese Stadt. Auch Nantke Garrelts. Sieben Monate war die 24-Jährige Mitarbeiterin beim Tagesspiegel. Jetzt verlässt sie Berlin wieder und sagt, warum es mit ihr und der Stadt nicht hingehauen hat.
Es war warm genug, um in die Krumme Lanke zu springen, und über den Reggaekonzerten lag der ungewohnte Duft nach Cannabis. Ich aß meinen ersten Döner, trank Wodka-O vor dem Brandenburger Tor. Da war mir klar: Berlin ist es. Hier kann man was erleben. Hier sind die coolen Leute. Das war vor zehn Jahren, und ich war zum ersten Mal hier – als vierzehnjährige Konfirmandin beim Kirchentag. Am Ku’damm standen vier H&M’s nebeneinander, und in der Waldbühne erzählte der Dalai Lama, dass der Ringfinger relativ gesehen kürzer ist als der Mittelfinger. Ich entschied, dass Berlin relativ gesehen zu Ostfriesland aufregender ist und war der Stadt fortan verfallen.
Acht Jahre und ebenso viele Besuche später hatte ich schon gelernt, dass der Osten hipper ist als der Westen und dass es hier nicht nur große Shoppingtempel, sondern auch großartige Museen und die besten Theaterinszenierungen gibt. Ich hatte gehört, dass der Mai und der Juni am schönsten seien und da der Termin zufällig mit dem Theatertreffen zusammenfiel, leierte ich ein Praktikum an, suchte mir eine Zwischenmiete und kaufte mir ein Diamant-Rad. Ich freute mich auf zwei Monate Kultur pur und alternative Szene. Und mein Wunsch wurde wahr: An Ausstellungen und Theaterinszenierungen mangelte es nicht. Nur, dass ich meistens alleine blieb. Ein paar Mal begleiteten mich Bekannte aus Erasmus-Zeiten oder ich ging mit meinem Cousin auf eine Lehrerparty, in der Unterrichtskonzepte das einzige Thema waren. Mein Mitbewohner vereinigte alle Eigenschaften des Durchschnitts-Klischeekünstlers auf sich: Tunnel in den Ohren, dichter Bart, Neukölln-Fan. Aus seinem Zimmer dröhnten abwechselnd Technomusik oder wechselseitige Lustäußerungen, wenn er mal wieder Herrenbesuch hatte. Was fast jeden Abend der Fall war. Ansonsten redeten wir nicht viel. Ich setzte mir Musik auf die Ohren oder skypte mit meinem Freund in Spanien. Draußen war Sommer, drinnen saß ich, denn die lächelnd plaudernden Menschen auf den Bürgersteigen und in den Parks ertrug ich nicht.
Trotzdem wollte ich wiederkommen. Mein erster Gedanke nach dem Bachelor: Nach Berlin, egal was. Nur nicht zurück zu Mutti. Also WG gesucht, alles nett, aber mehr auch nicht. Was erwartet man auch bei einem Monat Zwischenmiete. In der zweiten Wohnung dann ein junges Paar mit Kind, das zwar locker war, nur leider einen um vier Stunden verschobenen Tagesrhytmus hatte. Und ins Berghain wollte meine Mitbewohnerin auch nicht unbedingt zurück. Überhaupt konnte sie sich nicht richtig erinnern, wann sie das letzte Mal feiern gewesen war. Also schloss ich mich einer fidelen Gruppe von Party-Spaniern an, die sich gegenseitig darin überboten, zu erzählen, wie lange sie zuletzt im Kater Holzig durchgehalten hatten. Bis drei Uhr nachts wurde vorgeglüht, dann noch schnell eine Line Speed gezogen und ab dafür. Die Gespräche kreisten um Drogen, hippe Orte in Berlin und Dinge, die irgendwie im lauten Gelächter und Whisky-Cola untergegangen sein müssen. Montags kann man ja blaumachen. Denn wir sind die jungen Partypeople. Wir scheißen auf Tag oder Nacht, gehen um elf Uhr vormittags in den Club und kommen nachts wieder raus. Ich konnte das nicht so ganz unterschreiben, ich wollte einfach mal raus, ins Grüne oder irgendwo einen Kaffee trinken. Doch die wenigen kontaktfreudigen Menschen, denen ich begegnete, lernte ich entweder an einer Bar kennen und verabschiedete mich dort von ihnen, wenn die Frage kam, ob ich noch mit nach Hause kommen wolle. Oder es blieb bei einem „Ja, gib mal Deine Nummer, wir können mal was machen.“ Die Generation der Wahlberliner zwischen zwanzig und vierzig besteht aus Teflon-Menschen, die nichts an sich haften lassen. Ich finde keine Anknüpfungspunkte hier, denn ich verstehe die Sprache meiner Nachbarn nicht, scheue die Wege durch dichten Verkehr und Betonblocks und bin überfordert von dem unübersichtlichem Angebot an einfach allem.
Netzwerken muss man können, das hatte mir schon die „Neon“ mit ihren betont lässigen Ratgeberartikeln beigebracht, die ich wegen ihrer hedonistischen Oberflächlichkeit nicht mehr lesen wollte. Doch die ganze Stadt scheint voll mit Menschen zu sein, die diese Doktrin aufgesogen haben und sie voll ausleben. Unverbindlich, nur für den Moment lebt, spricht und denkt man hier. Die Leute schätzen den kurzen Spaß, die Kneipenbekanntschaft, aber das Gespräch beim Kaffee, das offene Ohr in der Lebenskrise passt nicht zu ihrem Lebensstil. Das wäre ja zu anstrengend in dieser ohnehin so stressigen Stadt.
Stattdessen hat jeder überall Freunde, die ebenso spontan und lässig sind wie man selbst. Interessane Bekanntschaften werden wie Prestigeobjekte zur Schau gestellt, sie kaufen Aufmerksamkeit auf dem Markt der Coolness. Ständig muss man sich selbst präsentieren, perfekt und gleichzeitig unbeschwert sein. Die oberste Regel in diesem Spiel lautet: Zeige nicht, dass du auf andere angewiesen bist. Nach einem dunklen Winter und vielen unbeantworteten SMS und Facebook-Nachrichten, nach endlosen Feier- und Sonntagen, an denen ich den summenden Geräuschteppich des Büros dem gelangweilten Knarren meiner Zimmerdielen vorgezogen hätte, breche ich meine Zelte hier ab und ziehe weiter.
Versteht mich nicht falsch, liebe Berliner: Es ist nicht so, dass Ihr unfreundlich wärt. Mit einer echten Berliner Schnauze, dem vielgescholtenen herben Charme der Urberliner würde ich besser klarkommen als mit dieser lauwarmen Art, die die wenig verspricht und nichts hält, weil sie nicht für die Zukunft, sondern nur für den Moment gedacht ist. Ich jedenfalls habe für meine Zukunft das kleine Grüne anstelle des großen Grauen gewählt. Berlin passt mir einfach nicht. Aber vielleicht werde ich irgendwann hineingewachsen sein und dann können wir endlich zusammen glücklich werden.
Nantke Garrelts