Erkältungswelle in Schulen und Kitas: Husten, wir haben ein Problem
Triefende Nasen gehören momentan zum Alltag in Schulen und Kitas. Doch ab wann müssen Kinder zuhause bleiben? Darüber sind sich Erzieher und Eltern nicht immer einig.
Die Nase läuft nun schon seit Tagen. Der zweieinhalbjährige Max wirkt trotzdem ganz vergnügt. Mit der gewohnten Begeisterung lässt er seine Autos über die Spielstraße brummen. Und stört sich nicht daran, dass sie immer wieder eine Ladung Rotz abbekommen. Nur nachts, im Liegen, quält ihn – und akustisch auch die anderen Familienmitglieder – in Abständen sein blöder Husten. Morgens aber, gleich nach der heißen Milch mit Honig, schleppt er schon seinen kleinen Rucksack in die Küche. „Kita gehn!“
Darf er? „Ein normaler Infekt dieser Art ist kein Grund, ein Kind nicht in die Kita oder in die Schule gehen zu lassen“, sagt der Kinderarzt Jakob Maske, Berliner Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Zwar sind die Schnupfen-Viren ansteckend. Aber sie kursieren in der Kita höchstwahrscheinlich auch ohne die Hilfe von Max.
Bei schwereren Infekten sieht die Sache selbstverständlich anders aus: Vor einer schweren Grippe mit Schüttelfrost und Fieber müssen die anderen Kinder nach Möglichkeit bewahrt werden. Neben dem Schutz der Spielkameraden und Mitschüler gibt es dann allerdings noch einen unmittelbar einleuchtenden Grund, das Kind lieber zuhause in seinem Bett oder auf der Couch im Wohnzimmer liegen zu lassen: Es geht ihm schlecht. Und hat daher nichts in der Schule oder in der Kita zu suchen, weil es beim besten Willen nicht spielen oder lernen kann.
Die Attestpflicht nimmt in allen Bereichen zu
Mehrere gesetzliche Regelungen ermöglichen es in einem solchen Fall Vater oder Mutter, für ein paar Tage mit dem kranken Kind zuhause zu bleiben: Nach Paragraph 616 BGB dürfen Arbeitnehmer fehlen, wenn sie selbst heiraten, wenn ein naher Verwandter bestattet wird – oder wenn ein Kind krank ist. Auch unbezahlt können sie bis zu zehn Tage pro Jahr und Kind aus diesem Grund „Urlaub“ machen. Wenn sie in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind und wenn niemand anderes die Wache am Krankenbett eines unter 12-Jährigen übernehmen kann, haben sie in dieser Zeit auch das Recht, Kinderkrankengeld beziehen. Falls sie eine ärztliche Bescheinigung vorlegen.
Das Attest! In Maskes Schöneberger Wartezimmer sitzen derzeit besonders viele Mutter-Kind- oder Vater-Kind-Paare, die sich so ein Schreiben abholen wollen. Der Kinderarzt findet es nicht gut, dass ohne Ausnahme alle, die für ein, zwei Tage mit ihrem etwas angeschlagenen Sprössling zuhause bleiben wollen, zu diesem Zweck erst einmal aus dem Haus gehen und zu ihm in die Praxis kommen müssen. Nicht nur wegen der Arbeitsbelastung, sondern vor allem, weil die schniefenden und hustenden Mäuse dort andere Patienten anstecken könnten – womöglich solche, deren Immunsystem schon aus anderen Gründen geschwächt ist. „Wir hätten es gerne, wenn wir den Eltern vertrauen und für einen bestimmten Zeitraum ein Attest auch ohne persönlichen Besuch ausstellen dürften“, sagt der Pädiater.
Kitas bestehen auf Gesundschreibungen, das nervt Eltern und Ärzte
Etwas anderes ist es natürlich, wenn die Familien seinen Rat und womöglich sogar eine Behandlung brauchen. „Mit Säuglingen, die schläfrig wirken und hohes Fieber haben, oder mit Kindern, bei denen das Fieber mehr als fünf Tage andauert, sollte man aber selbstverständlich zum Arzt gehen. Denn hier müssen die Ursachen geklärt werden.“
Stattdessen weite sich die Attestpflicht inzwischen weiter aus: „Einigen Schulen genügt inzwischen die Information durch die Eltern nicht mehr. Sie fordern schon ein Attest, wenn ein Schüler erst einen Tag gefehlt hat.“ Maske wehrt sich dagegen, dass Kinderärzte eingeschaltet werden, um Kommunikationsproblemen zwischen Familie und Schule beizukommen oder dem Verdacht nachzugehen, dass ein Heranwachsender die Schule schwänzt. „Das ist eher eine Aufgabe für den schulmedizinischen Dienst.“
Was ihn auch ärgert, ist der Wunsch nach „Gesundschreibungen“, auf denen Kitas zunehmend bestehen, die aber in keinem Gesetz verankert sind. Außer bei einigen schweren Infektionskrankheiten ist das eigentlich keine Leistung, die im Katalog der gesetzlichen Krankenkassen vorgesehen wäre. „Streng genommen müssten wir Kinderärzte den Eltern Geld dafür abnehmen.“ Besser wäre es, wenn sich Erzieher und Erzieherinnen – die das Kind den ganzen Tag erleben und einen professionell geschulten Blick haben – mit den Eltern, die ihr Kind gut kennen, ohne solche Formalitäten ein gemeinsames Bild machen könnten. Und sich so auf ein vernünftiges Vorgehen einigen.
Eltern wissen am besten, wie krank ihr Kind wirklich ist
Im Prinzip können Eltern nämlich sehr gut beurteilen, ob ihr Kind zu krank oder gesund genug ist, um in die Kita oder in die Schule zu gehen. Das zeigt eine Befragung von fast 1500 Eltern sechs- bis 18-jähriger Schüler, die Mitarbeiter der Kinderklinik der Universität Michigan vorgenommen haben und deren Ergebnisse gerade veröffentlicht wurden. Die Eltern richten sich dabei zunächst nach den Symptomen: Vier von fünf Vätern und Müttern sagen, ein Kind mit Durchfall würden sie zuhause lassen, für 58 Prozent ist einmaliges Erbrechen ein Grund dafür. Fast die Hälfte der Eltern haben aber auch Bedenken, ein Kind mit leichtem Fieber zur Schule zu schicken. Vor allem die Eltern jüngerer Kinder sagen, dass sie lieber vorsichtig sind, damit sich die Symptome nicht verschlimmern. Sie haben aber auch die größten Probleme damit, bei der Arbeit zu fehlen oder jemanden zu finden, der das Kind zuhause betreut.
32 Prozent der Befragten sehen aber kein Problem darin, ältere kranke Kinder allein zuhause zu lassen. Bei den Jugendlichen fürchten sie eher, dass sie wichtigen Stoff oder entscheidende Tests versäumen, wenn sie in der Schule zu lange fehlen sollten.
Die amerikanischen Kinderärzte geben den Eltern dieselben Ratschläge wie ihre deutschen Kollegen: Ein Kind mit Triefnase, das gern spielt und mit Appetit isst, sollte ruhig in die Schule gehen – „mit einer Extra-Ration Papiertaschentüchern“. Leichte Temperatur muss ebenfalls kein Hinderungsgrund sein – wenn das Kind guten Mutes ist und das Fieber nicht mehrere Tage anhält. Durchfall und Erbrechen aufgrund eines akuten Virus-Infekts sprechen gegen einen Besuch von Kita und Schule: Es geht dem Kind dann meist schlecht, es ist hoch ansteckend, und es hat Mühe, mit den Toilettengängen klar zu kommen. In einer solchen Situation ist auch ein Erwachsener besser zuhause aufgehoben.
Bei den Eltern hätten allerdings die Unsicherheit und die Angst zugenommen, den Gesundheitszustand des Kindes selbst nicht richtig einschätzen zu können, sagt Kinderarzt Maske. Er beobachtet auch, dass der berufliche Druck, der auf den Eltern lastet, zugenommen hat. Wenn Mütter und Väter Abgabetermine für Projekte und Aufträge einzuhalten haben, nützen ihnen die gesetzlichen Regelungen wenig, die ihnen ein (bezahltes oder unbezahltes) Zuhausebleiben mit dem kranken Kind ermöglichen. Was bei den Erziehern nicht unbedingt gut ankommt. In Internet-Foren klagen derweil einige von Ihnen, dass selbst die ganz Kleinen immer wieder gesundheitlich angeschlagen in ihre Einrichtungen kämen und äußern dabei ihr Unverständnis gegenüber zu nachlässigen Eltern.
Die Mama von Max steht derzeit nicht unter beruflichem Druck. Sie ist wegen Baby Maria ohnehin in der Elternzeit. So kann sie ihren verschnupften Sohn heute etwas früher aus der Kita holen. Und bekommt dort von der Erzieherin zu hören, dass er dort recht vergnügt gespielt hat.