Flughafen Berlin-Tegel: Hunderttausende von Tegel-Lärm betroffen
Nach aktuellen Angaben der Umweltverwaltung sind fast 300.000 Anwohner vom Lärm betroffen, der vom Flughafen Tegel ausgeht.
Die Senatsumweltverwaltung hat nachgerechnet: Nach den aktuellen Zahlen leiden knapp 300.000 Berliner unter dem Krach des Flughafens Tegel. 133.900 müssen demnach tagsüber mit mehr als rechnerisch durchschnittlich 60 Dezibel den meisten Lärm ertragen; 141.900 liegen im Bereich zwischen 55 Dezibel und 60 Dezibel.
Der reale Lärmpegel bei den Starts und Landungen ist jeweils zum Teil beträchtlich höher. Der ausgewiesene „Lärmteppich“ in West-Ost-Richtung erstreckt sich fast über das gesamte Stadtgebiet – von Spandau über Wedding, Reinickendorf, Pankow bis Lichtenberg/Hohenschönhausen. Grundlage ist das Jahr 2016.
Weniger als die Hälfte hat Anspruch auf Schallschutz
Die Zahl der Betroffenen, die einen Anspruch auf Lärmschutz haben, ist allerdings wesentlich geringer. Grundlage für die Senatsberechnungen war die EU-Umgebungslärmrichtlinie. Schallschutz wird jedoch nach dem Fluglärmschutzgesetz ermittelt. Nach ersten Kostenschätzungen der Flughafengesellschaft haben demnach, wie berichtet, nur rund 137.000 Anwohner einen Anspruch auf baulichen Schallschutz.
Grundlage der Berechnungen seien allerdings veraltete Bevölkerungsprognosen, die die wachsende Stadt noch nicht voll berücksichtigen, erklärte die Umweltverwaltung. Die groben Kostenschätzungen für den daraus abgeleiteten Lärmschutz liegen derzeit bei knapp 400 Millionen Euro.
Der Anspruch bestehe nicht nur, wenn die Lärmwerte nachts durchschnittlich über 55 Dezibel liegen, sondern auch dann, wenn mehr als sechs Flüge nachts 57 Dezibel erreichen, teilte die Verwaltung am Donnerstag weiter mit. Neben dem Durchschnittspegel, in den auch Zeiten mit geringem oder keinem Lärm einfließen, wird für die Nacht auch der Maximalpegel berücksichtigt. Dies führt dazu, dass wesentlich mehr Anwohner schutzberechtigt sind als beim durchschnittlichen Wert von 55 Dezibel.
Bei einem Weiterbetrieb von Tegel müsste der Schallschutz neu geregelt werden. 2007 wurden die Vorschriften verschärft, Tegel erhielt – zum Nachteil der Anwohner – aber eine Schonfrist, die 2019 ausläuft, weil damals unumstritten war, dass der Flugbetrieb ein Ende findet.
Enorm belastende Lärmquelle
Im aktuellen Lärmschutzbereich des Flughafens sind nach Angaben der Stadtentwicklungsverwaltung von 1975 bis 1983 rund 14.000 Wohnungen für etwa 69 Millionen Euro geschützt worden. Erstattet worden seien die Kosten für schalldämmende Fenster, Balkontüren und auch andere Bauelemente, um in Aufenthalts- und Schlafräumen entsprechenden Schutz zu gewährleisten.
Die aktuellen Zahlen zeigten, dass der Flughafen Tegel eine enorm belastende Lärmquelle für sehr viele Berliner sei, erklärte Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne). Anwohner vertrauten seit Jahren darauf, dass der Flughafen geschlossen werde, wenn der BR fertig sei. Dieses Vertrauen dürfe nicht enttäuscht werden, sagte Günther mit Blick auf den Volksentscheid vom 24. September, bei dem Berliner abstimmen können, ob der Flugbetrieb in Tegel fortgesetzt werden soll. Rechtlich bindend ist das Ergebnis aber nicht, da nicht über ein Gesetz abgestimmt wird.
Lärmschutzauflagen könnten weiter verschärft werden
Die Auflagen zum Lärmschutz könnten sich weiter verschärfen, wenn sich das Umweltbundesamt mit seinen Empfehlungen durchsetzen sollte. Im neuen Fluglärmbericht schlägt das Umweltbundesamt neben dem Absenken der Grenzwerte auf tagsüber 50 Dezibel und nachts 40 Dezibel auch vor, den Fluglärm zwischen 6 Uhr und 22 Uhr zu kontingentieren. Flughäfen müssten dann entscheiden, ob sie weniger laute oder mehr lärmärmere Flugzeuge starten und landen lassen.
An stadtnahen Flughäfen sollte aus Gründen des vorsorglichen Gesundheitsschutzes zwischen 22 Uhr und 6 Uhr gar kein regulärer Flugbetrieb stattfinden. Davon würden auch Anwohner rings um Schönefeld profitieren. Am BER ist bisher ein Nachtflugverbot zwischen 0 Uhr und 5 Uhr festgelegt.
Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft sieht dagegen keinen weiteren Handlungsbedarf. Lärmwirkungsstudien hätten gezeigt, dass es keine Rechtfertigung für verschärfte Grenzwerte gebe, erklärte der Verband.
Eine radikale Lösung hatte der ehemalige Lufthansachef Heinz Ruhnau 2002 im Tagesspiegel vorgeschlagen: Er wollte damals auf den BER verzichten und stattdessen Tegel ausbauen. Im engeren Flugbereich sollte die Flughafengesellschaft Wohnhäuser kaufen, um sie abreißen zu können. Mieter sollten großzügig durch Eigentumswohnungen an anderen Orten entschädigt werden. Ernst genommen hat man die Idee nicht.