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Die wollen nur fahren. Demonstrierende Biker nahe dem Brandenburger Tor.
© dpa

Korso in Berlin: Hunderte Biker demonstrieren gegen Gewalt

Motorradfahrer sind Rüpel, Raser, Rocker! Stimmt – aber nur manchmal. Die meisten Biker sind rechtschaffene Menschen. Jetzt zeigten sie es allen.

Hier muss es sein, denn hier fahren alle hin: Autobahnabfahrt Alboinstraße, zum TÜV-Gelände in Tempelhof ganz in der Nähe. Aber wo genau? Kein Problem am Samstagvormittag. Bikerschwärme sind dorthin unterwegs, nur immer dem Bullern, Tuckern und Blubbern nach. Bis zum großen Parkplatz des Technischen Überwachungsvereines, Alboinstraße 56, wo sich gerade bis zu 3000 Kradfahrer zur 5. Anti-Gewalt Motorrad-Demo versammeln. Aus ganz Deutschland rollen sie an. Rockmusik dröhnt, Grillschwaden wehen über den Platz. Reißt mal der Himmel auf, glänzen die polierten, schweren Maschinen, eng aufgereiht, in der Sonne. Dazwischen die Crews. Helm ab, runter vom Bike, Fachsimpeln. Ein Bild wie auf der Motorrad-Messe. Und um 13 Uhr geht’s los: Der Korso startet Richtung Innenstadt.

Ab durch die Mitte. Viele Schaulustige säumten den Weg der Biker am Alexanderplatz.
Ab durch die Mitte. Viele Schaulustige säumten den Weg der Biker am Alexanderplatz.
© dpa

Es geht von Tempelhof durch Kreuzberg zum Alexanderplatz, weiter durch Prenzlauer Berg, dann zum Brandenburger Tor und schließlich über den Ku’damm. Ein Dröhnen eilt der Demo voraus. Und ein besonderer Geist gehört dazu. Er erfüllt viele, die nun Gas geben. Es ist ein Gefühl, das Alex Kind vom Organisationskomitee zuvor auf der Bühne so beschrieben hat: „Zusammen fahren, zusammen helfen, das heißt: Zusammenhalten“. Kind ist Programmdirektor des Berliner Rocksenders „star fm“. Dessen Gründer David Dornier hatte vor fünf Jahren die Idee zur Berliner Biker-Demo, weil er selbst leidenschaftlich Krad fährt und nicht nur seine Maschinen, sondern auch das Image seines Hobbies polieren wollte. Deshalb sind Kutten, wie man sie von Rockerklubs kennt, am Sonnabend unerwünscht. Stattdessen streifen alle T-Shirts über ihre Biker-Klamotten. Aufschrift: „Gewalt fährt nicht mit.

"Wenn wir mit unserer BMW vorm Supermarkt vorfahren, gucken die Leute erstmal skeptisch": Claudia und Thomas Volkmann aus Westend
"Wenn wir mit unserer BMW vorm Supermarkt vorfahren, gucken die Leute erstmal skeptisch": Claudia und Thomas Volkmann aus Westend
© Christoph Stollowsky

Ist das Ansehen der Motorradfans tatsächlich im Keller? Etliche, die man fragt, nicken. Zum Beispiel Thomas Volkmann (57) aus Westend, beruflich für die FDP- nahe Friedrich-Naumann-Stiftung tätig. Wenn er mit seiner 800-Kubik-BMW vor dem Supermarkt parkt, sieht er oft skeptische Mienen. „Was’n das für’n Typ“, scheinen viele zu denken. „Vielleicht so’n Rocker, der jetzt reinmarschiert und was klaut“, erzählt Volkmann. Aber wenn er dann seinen Helm abnimmt, hellen sich die Gesichter rasch auf.

Solche Szenen kennt auch Lutz Rosin. Der 57-jährige Rettungssanitäter aus Lankwitz, dunkle Brille, grauer Stoppelbart, streicht übers Blech seiner BMW RT1150, 98 PS, 200 km/h Spitze, und sagt: „Wir sind doch zu mehr als 90 Prozent friedlich, tolerant und demokratisch drauf. “ Wegen einer aggressiven Minderheit, „die hochtourig durch Berlin lärmt und sich daneben benimmt“, wollen sie nicht schief angeguckt werden. Am Samstag scheppern deshalb auch die Spendendosen. Gesammelt wird für Berlins Schülerlotsen, die wie berichtet von rücksichtslosen Autofahrern drangsaliert werden.

"Wir Biker sind doch zu weit mehr als 90 Prozent friedlich, tolerant und demokratisch": Lutz Rosin (links) aus Lankwitz und Percy Baarts aus Lichterfelde auf ihren BMW-Maschinen.
"Wir Biker sind doch zu weit mehr als 90 Prozent friedlich, tolerant und demokratisch": Lutz Rosin (links) aus Lankwitz und Percy Baarts aus Lichterfelde auf ihren BMW-Maschinen.
© Christoph Stollowsky

Doch Gewalt im Straßenverkehr trifft ja auch Kradfahrer. Allein im März und April gab es in der Stadt drei besonders schwere Unfälle. Zwei Biker starben, einer wurde schwer verletzt. Percy Baarts aus Lichterfelde, am Samstag gleichfalls dabei, hatte dagegen in den vergangenen 15 Jahren Glück im Unglück: Er überstand vier Crashs, jedes Mal übersahen ihn Autofahrer beim Abbiegen. Dennoch will er den Schwarzen Peter nicht nur den Pkw-Lenkern zuschieben. „Wenn du bei so ’ner 98-PS-Maschine voll Gas gibst, rast die los. Das verführt, da überschätzt sich mancher.“ Der 56-Jährige arbeitet als Fahrdienstleiter bei der S-Bahn.

Ein paar Rennbikes sind dabei - wie gezähmt

Gehören denn die meisten Motorrad-Fans zur Generation 50 plus? Ein Blick auf die Demo scheint das zu bestätigen. Baarts streicht sich über den Schnauzer, stimmt zu. Vielleicht liege es ja am Preis? „10 bis 15 000 Euro muss man für eine neue Maschine schon rechnen, für ’ne Harley einiges mehr. Wer ist schon so flüssig in jungen Jahren?“ Baarts greift zum Helm, Biker-Lächeln im Visier, Daumen hoch, weiter geht’s.

Tourenmaschinen sind hier offenbar die Modelle der Saison, aber auch Rennbikes zuckeln in der Reihe, wie gezähmt. Auch ein paar Klassiker tuckern mit, zum Beispiel eine Honda Dream D von 1949. Und klassisch geht’s auch im Sattel zu. Klare Rollenverteilung. Männer vorne, Frauen auf dem Sozius. Umgekehrt? Gibt’s fast gar nicht. Und sitzt eine Fahrerin am Lenker, dann zumeist allein.

"Immer mehr Frauen steigen vom Sozius nach vorne um. Motorradfahren ist einfach ein schönes Gefühl": Ramona Bergemann aus Mitte.
"Immer mehr Frauen steigen vom Sozius nach vorne um. Motorradfahren ist einfach ein schönes Gefühl": Ramona Bergemann aus Mitte.
© Christoph Stollowsky

„Wir werden aber immer mehr“, sagt Ramona Bergemann, 58, aus Mitte. „Frauen steigen vom Sozius nach vorne um.“ Seit sieben Jahren ist sie Motorrad- Fan. Kam auf den Geschmack, als sie 2012 mal ein Bekannter mitnahm. Seither ist ihre BMW 650, 51 PS, für sie „ein Stück Erholung pur“.

Ramona Bergemann arbeitet für ein Logistikunternehmen. Aber nach einer Woche Job, da will sie den Kopf frei bekommen. Dann will sie aufs Bike, raus in die Natur, auf die Landstraßen, über die Alleen der Mark. „Wenn dann die Luft durch die Kombi weht“, sagt sie, „das ist einfach ein schönes Gefühl.“

Am Sonnabend ist sie allerdings missionarisch unterwegs. Hells Angels oder Bandidos sind den Korso-Fahrern fern. „Wir sind die Mehrheit“, sagt Bergemann. „Das wollen wir zeigen.“

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