Berlins Mitte: Historische Spuren Cöllns sollen neuem Geschäftshaus weichen
Hier lebten die ersten Berliner, bis zum Zweiten Weltkrieg lag hier das Zentrum Berlins: Am Petriplatz soll ein neues Geschäftshaus entstehen - und die Spuren der historischen Stadt unter gewaltigen Betonmengen begraben.
Die ersten Berliner haben am Petriplatz gelebt – und waren „Flamen, Rheinländer und Westfalen“. Echte Berliner aus dem 21. Jahrhundert werden sicher aufmerken und widersprechen. Stand nicht in den Schulbüchern, „die Slawen“ seien die Urberliner? Als Erste besiedelten sie die Spreeinsel nicht, wo das Cöllnische Rathaus stand, dessen Name sogar aus der rheinischen Domstadt entlehnt sein könnte. Auch die Petrikirche mit Berlins höchstem Kirchturm stand hier. All das verschwand nach dem Krieg. Nun sollen neue Häuser die Lücken füllen.
Einen gedrungenen Neubau mit Rasterfassade und nach hinten zurückgesetzten Staffelgeschossen schlagen die Architekten Ortner & Ortner dort vor, wo einmal das Cöllnische Rathaus stand. Mit diesen Plänen haben sie den architektonischen Wettbewerb für den Bau eines Geschäftshauses am Petriplatz durch die Firma Hochtief Solutions gewonnen. Dieser wird an der Ecke Breite Straße entstehen, bis an die Gertraudenstraße heranreichen und die letzte Lücke ausfüllen an der Wiege Berlins – jedenfalls archäologischen Funden nach zu urteilen.
„Bis zur Zerstörung im Krieg lag hier das Geschäftszentrum Berlins“, sagt Felix Escher, ehemaliger Professor für Landesgeschichte an der Technischen Universität. Fast über einen ganzen Block der Breiten Straße erstreckte sich das „Warenhaus Hertzog“ und reichte mit einer Fußgängerbrücke sogar über die Scharrenstraße hinaus bis zum Petriplatz. Es war übrigens das einzige Kaufhaus, das keine jüdische Berliner Familie führte. Im 18. Jahrhundert wurde das Viertel auch durch die Soireen des Verlegers und Aufklärers Christoph Friedrich Nicolai bekannt. Einen „großen Verlust“ nennt Historiker Escher den Wandel des Quartiers zu einem heute „toten Gebiet“.
Und mit den neuen Plänen vergebe Berlin hier die Chance, die Stadt „auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren“. Stadthistoriker Benedikt Goebel sekundiert: „Der Senat ist nicht bereit, die autogerechte Stadt im historischen Zentrum infrage zu stellen.“ Mehr noch: Indem die Stadtplaner große Blöcke formen, wo früher mehrere Parzellen mit individuellen Bürgerhäusern waren, entstünden auf der Spreeinsel monotone Großbauten wie in den Neunzigerjahren an der Friedrichstraße.
Daran seien nicht die Architekten schuld, die den gewaltigen Block an die Gertraudenstraße setzen. Denn sie reagierten damit nur auf die Verkehrsachse, sagt Goebel. Das sieht auch der Jury-Vorsitzende des Wettbewerbs ähnlich: „Ein Bollwerk gegen den Verkehr“ nennt Christoph Langhof den geplanten Block und meint das wohlwollend: Der Neubau schirme die nördliche Spreeinsel, wo Wohnungen entstehen sollen, vom Lärm ab. Ist dazu aber ein nachgerade klopsartiges Bauwerk nötig? Dies sei dem Bebauungsplan zu schulden, sagt Langhof, der viel Nutzfläche auf dem Grundstück zulasse. Hinzu komme, dass die am Petriplatz ausgegrabenen historischen Gemäuer erhalten blieben, was die vermietbare Fläche im Erdgeschoss verringere.
Diese historischen Spuren könnten für die Besucher des Petriplatzes Ausgangspunkt einer Reise durch die mittelalterliche Stadt werden: zum Archäologischen Zentrum, das zwei Häuser weiter entsteht, Fundamente der früheren Lateinschule sichtbar macht und erklärt. Vollendet wird der Petriplatz durch den Bau eines unterirdischen Gebeinhauses, wo einst der Kirchenfriedhof lag, und eines interkonfessionellen Bethauses.
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