Spanier in Berlin: Hier steppt der Stier
Man sieht und hört sie überall: Spanier in Berlin. Allein im letzten Jahr kamen 3000, meist junge Leute. Was sie sich hier erhoffen – sechs Stimmen.
Schon lange haben es die Berliner geahnt, jetzt ist es offiziell: Die Stadt wird zur spanischen Exklave. 2011 zogen mehr als 3000 neue Spanier nach Berlin. Zwar zogen auch knapp 1000 wieder weg, macht aber immer noch einen Anstieg von 2000 Neuspaniern, womit nun insgesamt gut 8500 hier gemeldet sind. Damit sind sie im Vergleich zu den türkisch- oder polnischstämmigen Berlinern natürlich noch immer eine eher kleine Gruppe – aber sie holen in einem beeindruckenden Tempo auf.
Die Spanier kommen aus einem Land, in dem mehr als 22 Prozent ohne Job sind. Von den Unter-25-Jährigen findet sogar fast die Hälfte keine Stelle. Wer sind sie? Wieso kommen sie? Was wollen sie hier?
SERGI VILARNAU, 28, Friseur aus Girona, lebt in Kreuzberg:
Die Wirtschaftskrise spielte keine Rolle bei meinem Entschluss, nach Berlin zu gehen – als Friseur findet man in Spanien auch jetzt noch Arbeit. Es war vielmehr eine ganz persönliche Entscheidung: Etabliere ich mich in Spanien? Oder gehe ich ins Ausland und erlebe noch mal etwas ganz anderes? Mir war schnell klar, dass ich weg wollte – und dass mein Ziel Berlin war. Ein paar Freunde lebten schon hier, und sie schwärmten, wie billig und spannend das Leben in der Stadt sei. Ein Jahr bereitete ich mich vor, lernte Deutsch, sparte ein bisschen. Im Januar 2011 machte ich mich dann auf den Weg.
Etwas ganz anderes erlebe ich hier aber gar nicht. Mein Leben in Berlin unterscheidet sich nur in drei Dingen von dem in Spanien: Ich habe mehr finanzielle Sicherheit, es ist kälter, und die Leute auf der Straße sprechen Deutsch. Aber sonst? Ich arbeite in einem kleinen Salon als Friseur, ich habe fast nur spanische Kunden. Am Wochenende gehe ich weg, alle meine Freunde sind Spanier und Südamerikaner – oder Deutsche, die länger in Spanien gelebt haben.
Dank des Integrationsprojekts „Arbeit Sofort“ fand ich den Friseursalon in der Wrangelstraße, in dem ich immer noch arbeite. Das Projekt funktioniert so: Man jobbt zehn Stunden in der Woche umsonst in einer Firma, die finanziert im Gegenzug einen Deutschkurs. Nach ein paar Monaten fragte mich meine Chefin, ob ich nicht halbtags bei ihr anfangen wollte. Sie war begeistert, denn ich hatte innerhalb weniger Wochen viele Stammkunden. Wieso? Ganz einfach: Ich schien der erste spanische Friseur in Kreuzberg zu sein, alle Spanier aus dem Viertel kamen zu mir.
Zwei Jahre will ich mindestens noch in Berlin bleiben, so lange, bis ich richtig Deutsch spreche.
PHILIPPE FERNANDEZ, 23, Grafikdesigner aus Ibiza, lebt in Kreuzberg:
Anfang Juli, zwei Tage nach meiner Abschlussprüfung an der Uni, stieg ich ins Flugzeug nach Berlin. Auf keinen Fall wollte ich in Spanien bleiben – die Stimmung war und ist total trostlos. Ich habe mich hier sofort zu Hause gefühlt. Es sind Kleinigkeiten, die mir dieses Gefühl vermitteln. Die Leute sprechen so leise wie ich, und sie gehen so schnell wie ich.
Als ich ankam, hatte ich schon ein Zimmer bei Freunden aus Barcelona. Ich kannte auch ein paar Firmen, bei denen ich gern arbeiten wollte. Doch ich musste mich gar nicht bewerben, es hat sich alles zufällig ergeben: Als ich gerade mal eine Woche in Berlin war, lernte ich in einem Club eine Frau kennen, die in einer Designagentur arbeitete. Ich schickte ihr mein Portfolio, sie zeigte es ihrer Chefin, die beiden fanden mich gut und boten mir ein Praktikum an. Mittlerweile habe ich einen Honorarvertrag. Auch viele andere Dinge haben sich zufällig ergeben: Dank eines Freunds gebe ich ab und zu Workshops in Videojockeying, lehre also, wie man Videos produziert, die man in Clubs zu elektronischer Musik zeigen kann. Und vor kurzem fragte mich ein Fotograf, ob ich für das Kreuzberger Label Irie Daily als Model arbeiten wolle. Ich bin sogar auf der Fashion Week gelaufen.
Berlin ist genau meine Stadt: Jede Woche lerne ich spannende Leute kennen, ständig ergeben sich neue Projekte. Das Einzige, was mich manchmal stört, ist das Wetter. Ich bin auf Ibiza groß geworden, meine Eltern hatten ein Restaurant direkt am Strand. Langfristig brauche ich einen Ort, wo es wärmer ist und die Sonne öfter scheint. Aber wer weiß: Vielleicht bleibe ich hier.
FEDERICO POMODORO, 28, Klempner, Uruguayer mit spanischem Pass, lebt in Köpenick:
Im Juli war klar: Ich muss nach Deutschland. Sieben Monate war ich arbeitslos, nur noch einen Monat bekam ich Unterstützung, kein Job war in Sicht. Meine Frau ist aus Berlin, seit Beginn der Krise in Spanien im Herbst 2008 sagte sie: „Wir könnten nach Deutschland gehen, da wirst du als Klempner schnell was finden.“ Ich schob die Entscheidung immer wieder auf, vor allem aus Angst vor der Sprache. Aber im Juli wusste ich: In Spanien geht es nicht weiter.
Das Gefühl, in einem Land keine Perspektive zu haben, kannte ich schon aus meiner Heimat Uruguay: 2001, als die Finanzkrise aus Argentinien zu uns kam, wanderte ich deshalb nach Spanien aus. Dort lief es am Anfang toll. Jeden Tag hätte ich 24 Stunden arbeiten können – und das, obwohl ich illegal im Land lebte. Sobald ich die Aufenthaltsgenehmigung bekommen hatte, bekam ich einen Arbeitsvertrag. Ende 2008 begannen dann die Probleme. Ich verlor das erste Mal meine Stelle. Danach konnte ich zwar noch als Selbstständiger weiterarbeiten, aber irgendwann zahlten die Auftraggeber nicht mehr. Ich stand kurz davor, meine Sachen zu packen. Da bot man mir noch mal einen Job an. Lange ging es nicht gut. Im November 2010 sagte mein Chef: „Ich kann dich nicht mehr bezahlen.“
Die Entscheidung, nach Berlin zu gehen, habe ich nicht bereut. Nur eine Woche nachdem ich mich beim Arbeitsamt gemeldet hatte, kam das erste Stellenangebot. Mittlerweile habe ich zehn. Bisher musste ich leider alle ablehnen, weil ich bis April den Integrationskurs mache. Aber sobald ich mit dem Kurs fertig bin, arbeite ich.
LUCIA ABELA, 25, Tourismuskauffrau aus Málaga, lebt in Friedrichshain:
Meine Zeit in Berlin ist vorbei. Hier sind inzwischen einfach zu viele Spanier: Auf der Tanzfläche in der Panoramabar hört man fast nur noch Spanisch, in Kreuzberg kann man kein Bier trinken, ohne Spaniern zu begegnen. Und es werden immer mehr: Ständig fragen mich Freunde, ob ich ihnen ein Zimmer besorgen kann und wo sie Arbeit finden. Ich habe jetzt manchmal das Gefühl, in Málaga zu sein, wenn ich unterwegs bin. Dort wollte ich vor zwei Jahren unbedingt weg.
In den Clubs in Málaga trifft man immer dieselben Leute, es läuft nur Latino-Pop, und spätestens um sechs Uhr ist Schluss. Schrecklich! Ich bin jung, ich will feiern! Seit ich das erste Mal in den Berliner Clubs unterwegs war, wusste ich: In der Stadt muss ich mal leben. Vor knapp zwei Jahren war es so weit. Zwei Freunde aus Málaga waren schon da. Bis ich ein Zimmer fand, wohnte ich bei ihnen. Auch danach waren wir fast immer zusammen. Mein Plan: erst mal ein Praktikum machen. Nach einer Woche hatte ich einen Platz im Hotel Melía für sechs Monate. Zusätzlich zum Praktikantengehalt bekam ich ein Stipendium, konnte ganz gut leben. Unter der Woche habe ich gearbeitet, am Wochenende gefeiert.
Nach dem Praktikum habe ich Hartz IV beantragt. Als die Zusage kam, habe ich vor Glück geschrien. Ich habe Geld bekommen, konnte gratis Deutsch lernen – und weiterfeiern. Nach sechs Monaten wurde mir Hartz IV gestrichen, seitdem arbeite ich drei Tage in der Woche in einem Club hinter der Bar, von elf Uhr abends bis sieben Uhr morgens. Bis jetzt war Berlin toll, aber die Spanier nerven. Ich glaube, ich gehe nach Buenos Aires.
CARLOS ÁLVAREZ, 28, DJ aus Málaga, lebt in Kreuzberg:
Als ich vor fünf Jahren zum ersten Mal in Berlin aufgelegt habe, wusste ich: Hier will und muss ich mal leben, wenn ich als DJ etwas erreichen will. Das Gleiche hatte ich gedacht, als ich in London und Barcelona war. In den beiden Städten habe ich die letzten drei Jahre verbracht. Jetzt ist Berlin an der Reihe. Seit Anfang Dezember bin ich da, und bisher lief alles gut. Ich kenne viele Leute, aus Málaga, Barcelona und London. Bei einer Deutschen, die ich in Barcelona kennengelernt habe, wohne ich. Freunde aus London haben mir schon ein paar Auftritte verschafft.
Bis Mai will ich mich vor allem aufs Auflegen und aufs Deutschlernen konzentrieren, mein Erspartes sollte bis dahin reichen. Dann muss ich wieder Geld verdienen, mein Verdienst als DJ reicht leider noch nicht zum Leben. Ich habe in Málaga Werbung studiert, aber nie in dem Bereich gearbeitet – in Spanien gibt es keine Arbeit, erst recht nicht für Kreative. Stattdessen habe ich Haarshampoos an Friseursalons verkauft, und in London und Barcelona habe ich eine Zeitlang in einem Kosmetikladen gearbeitet. So etwas kann ich mir im Prinzip auch hier vorstellen. Aber vielleicht habe ich auch Glück und finde endlich einen Job in einer Werbeagentur.
Mein großer Traum ist es, hauptberuflich als DJ zu arbeiten. In Berlin habe ich bisher vor allem in kleineren Clubs aufgelegt, zum Beispiel im Farbfernseher. Vor ein paar Wochen hatte ich dann einen Auftritt im Tresor – ein erster Schritt. Mein Ziel für die Zeit in Berlin: als DJ weiterkommen. Falls das nicht klappt, habe ich einen Notfallplan: In ein paar Jahren, wenn in Spanien das Schlimmste vorüber ist, gehe ich zurück und mache mich selbstständig. Als was? Das werde ich dann sehen.
PABLO DE LA ROSA, 28, Lehrer aus Madrid, lebt in Neukölln:
Fünf Jahre lang war ich in Spanien arbeitslos – seit ich mit der Uni fertig war. Die letzten zwei Jahre habe ich mich gar nicht mehr bemüht, einen Job zu finden. Ich habe Grundschullehramt studiert. Um in Spanien als Lehrer zu arbeiten, muss man sich in einem komplizierten Verfahren um eine Stelle bewerben, es findet nur alle zwei Jahre statt. Ein Jahr lang habe ich mich nach meinem Abschluss auf die Prüfung vorbereitet, doch ich hatte kaum eine Chance, nur jeder Zehnte wurde genommen.
Im Sommer 2007 vermittelte mir ein Freund einen Job als Kellner in einem Strandrestaurant in Barcelona, aber schon nach drei Monaten, am Ende der Saison, machte das Restaurant zu. Danach fand ich nichts mehr – ich bewarb mich als Kellner und als Verkäufer, vier Jahre lang. Auch bei der nächsten staatlichen Lehrerprüfung bekam ich keine Stelle. Ein bisschen Glück hatte ich trotzdem: In Barcelona konnte ich wieder in dem Strandrestaurant jobben, allerdings immer nur im Sommer. Wenigstens für diese Zeit konnte ich von zu Hause ausziehen und alleine leben.
Bei der Arbeit lernte ich ein paar Deutsche kennen, die ich sehr sympathisch fand. Und spanische Freunde, die in Berlin gewesen waren, schwärmten von der Stadt. An diese beiden Dinge dachte ich, als ich vor einem Jahr genug hatte von der Situation in Spanien. Ich kaufte ein Ticket nach Berlin. Über Freunde fand ich ein Zimmer in einer WG in Neukölln, wo schon andere Spanier lebten.
Am Anfang sprach ich kein Wort Deutsch. Einer meiner Mitbewohner erzählte mir von der Möglichkeit, Hartz IV zu beantragen und einen Deutschkurs zu besuchen. Seit Mai bekomme ich die Unterstützung, seit Oktober mache ich den Kurs. Eine einmalige Chance. Jetzt reicht es aber, ich suche nach einer Arbeit als Erzieher. Das Jobcenter ist fast wie meine Mutter – es ist an der Zeit, mich abzunabeln. Ich bin sicher: Es wird klappen. Seitdem ich in Berlin bin, sehe ich endlich wieder eine Perspektive. In jedem Fall will ich in Deutschland bleiben.