Schule für Schwerhörige: „Hier ist es wie im Paradies“
In der Margarethe-von- Witzleben-Schule lernen Schwerhörige. Heute wird Jubiläum gefeiert.
Das Rascheln von Papier, wie laut das sein kann. Und Stühlerücken! Unerträglich, wenn noch dazu Schüler im Klassenzimmer herumschreien! Manchmal dachte er, sein Kopf platzt. Dann konnte er nur noch das Hörgerät ausschalten. Aber das ist lange her, sagt der 15-Jährige, seit der siebten Klasse geht er auf die Margarethe-von-Witzleben-Schule in Friedrichshain. Hier sei alles anders. „Hier ist es wie im Paradies.“
Das neue, weitläufige Schulhaus ist mit schallgedämpftem PVC ausgelegt. Noch wichtiger ist, dass alle aufeinander Rücksicht nehmen, denn alle der 220 Kinder und Jugendliche wissen, wie es ist, wenn man vor lauter Nebengeräuschen das Eigentliche nicht versteht. Denn das Hörgerät filtert nicht heraus, was wichtig ist. Woher sollte ein Gerät das auch wissen. Es verstärkt alles, den Satz aus dem Mund des Lehrers genauso wie das Murmeln der Mitschüler oder das Geräusch beim Umblättern einer Seite.
Die Margarethe-von-Witzleben-Schule ist eine der wenigen Schulen für Hörgeschädigte in Deutschland, an denen Jugendliche Abitur machen können. Deshalb schicken Familien von überall ihre Kinder hierher. Vor hundert Jahren war sie die erste Schwerhörigenschule überhaupt im deutschsprachigen Raum. Und deshalb singt, tanzt und musiziert es an vielen Ecken. Heute findet die große Jubiläumsfeier statt, zu der sogar Umweltminister Sigmar Gabriel anreist.
Ja, nervös seien sie schon, sagen die Abiturienten. Gleich erfahren sie ihre Ergebnisse. Die meisten wollen studieren, Physiker, Wirtschaftsingenieur, Biologin werden. Dass manche einen Akzent haben, einige die Hände zur Verständigung mit den Freunden zur Hilfe nehmen, wenn’s schnell gehen soll und statt eines I-Pod einen anderen Knopf im Ohr haben, schmälert den Ehrgeiz nicht.
„Die Jugendlichen stark machen, ist unser Hauptziel“, sagt Sabrina Fuchs, Fachleiterin für Deutsch. Die Jugendlichen schwärmen, dass sie in Klassen von maximal 14 Schülern wie eine Familie zusammenleben und Lehrer und Schüler fast befreundet sind. Die Energie, die sie anderswo alleine dafür brauchten, sich inmitten von Lärm und Respektlosigkeit zu konzentrieren, können sie hier aufs Lernen verwenden. Sabrina Fuchs hat 16 Jahre auf einem „normalen“ Gymnasium unterrichtet. Die Jugendlichen hier seien wissbegieriger, sagt sie, denn sie wüssten, dass sie besser sein müssen als die anderen, wenn sie draußen eine Chance haben wollen.
In der Witzleben-Schule sind von Grund-, über Haupt- und Realschule bis zum Gymnasium alle Formen vertreten. Aber anders als „da draußen“ trenne der unterschiedliche Lehrplan die Schüler nicht so sehr. Gemeinsam gehe man auf Klassenfahrt, im dazugehörigen Internat wohnen alle, die von auswärts kommen.
Im Erdgeschoss stehen Holztische mit Vertiefungen fürs Tintenfass: das Museum. Auf einem Foto stehen Schüler im Halbkreis um die Lehrerin. Sie spricht in einen Trichter, die Schüler hören über Schläuche und Hörrohr, was sie sagt. Das war vor hundert Jahren.
Die Technik hat sich verbessert, natürlich. Die Pädagogik auch. Margarethe von Witzleben hat damals selbst erfahren, wie schlimm es ist, als schwachsinnig und lebensuntauglich abgestempelt zu werden, nur weil man nicht gleich alles versteht. Auch heute noch werde Schwerhörigen oft nicht viel zugetraut. „Obwohl alle so tun, als seien sie aufgeschlossen, gibt es viele Vorurteile“, sagt Fuchs. Ja, ein bisschen mulmig ist den Abiturienten schon, jetzt, da sie raus müssen, ins wahre Leben. Claudia Keller
Morgen lädt die Schule von 9 bis 16 Uhr zum Tag der offenen Tür; Palisadenstr. 76, Infos unter www.witzleben-schule.de
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