Berlin-Charlottenburg: Herthas Stadion-Debatte: Die Preistreiberei hat begonnen
Hertha will ein Stadion bauen. Andere denken plötzlich gar nicht an Abriss. Doch hinter der Kulissen wird längst diskutiert.
Der Termin steht. Am Montag trifft sich die Arbeitsgruppe, in der Hertha BSC und die Sportverwaltung des Senats etwa alle vier Wochen über die Pläne des Vereins für ein neues Fußballstadion am Rand des Olympiaparks verhandeln. Wenig von dem, das dort besprochen wird, dringt nach außen. Was dazu führt, dass auch die Sportpolitiker und Haushälter des Parlaments, die bei diesem Großprojekt das letzte Wort haben, sich von beiden Seiten schlecht informiert fühlen und viele Gerüchte in der Welt sind, die einer sachlichen Grundlage entbehren.
Eines stimmt allerdings: Es gibt noch viele hohe Hürden auf dem Weg zur neuen Arena zu überwinden – und der Zeitplan, den Hertha aufgestellt hat, könnte ins Rutschen geraten. Ab Frühjahr 2022 will der Erstligist bauen, zwei Jahre später soll der Rohbau stehen. Das setzt voraus, dass spätestens Anfang 2020 mit der Aufstellung eines Bebauungsplans begonnen wird. In Berlin dauern solche Planfeststellungen in der Regel zwei Jahre – jedenfalls dann, wenn der zuständige Bezirk das Verfahren betreut.
Eine Beschleunigung wäre möglich, sagen Bauexperten der Koalition, wenn der Senat das Vorhaben an sich zieht. Das setze voraus, hört man in Parlamentskreisen, dass das neue Stadion als ein Projekt von gesamtstädtischer Bedeutung politisch gewollt sei. In diesem Fall wäre es vielleicht sogar möglich, keinen Bebauungsplan aufzustellen, sondern einen städtebaulichen Vertrag abzuschließen. Das ginge deutlich schneller. Aber derzeit ist unklar, was Rot-Rot-Grün will.
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller und dessen sozialdemokratische Parteifreunde, Innen- und Sportsenator Andreas Geisel und der Bezirksbürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf, Reinhard Naumann, sind grundsätzlich wohlwollend. In den Regierungsfraktionen SPD, Linke und Grüne überwiegt die Skepsis. Der Sportausschuss ist bisher das einzige Gremium des Landesparlaments, dass sich mit dem Thema ausführlich befasste. Die Sportpolitiker sind trotzdem unzufrieden, Hertha BSC beantworte ihre drängenden Fragen nicht.
Die Vereinsspitze wiederum beteuert, dass man für alle diskutierten Probleme realistische Lösungsvorschläge habe, die der Senat auch kenne. Offenbar gibt es zwischen Landesregierung, Parlament und Profiverein massive Kommunikationsprobleme. Die Haushaltsexperten des Abgeordnetenhauses – schließlich geht es um viel Geld – werden sich am Mittwoch erstmals mit dem Thema in vertraulicher Sitzung befassen. Dann berät der Vermögensausschuss über „Pläne für einen Stadionneubau, etwaige wirtschaftliche Konsequenzen für das Land Berlin und die Grundstückssituation im Olympiapark“.
Wobei die finanzpolitische Grundlage für eine Entscheidung auf sich warten lässt. Frühestens im Dezember wird ein unabhängiger Sachverständiger, den die Sportverwaltung beauftragt hat, ein Gutachten über den Verkehrswert des 53 600 Quadratmeter großen Areals am östlichen Rand des Olympiaparks vorlegen. Ausgewiesen als „sonstige Fläche“, deren amtlicher Bodenrichtwert aktuell 20 bis 50 Euro je Quadratmeter beträgt. In umliegenden Wohngebieten liegen die Richtwerte zwar bei 500 bis 2000 Euro, doch Hertha verweist hartnäckig auf die äußerst preisgünstigen Pachtverträge, die der Senat mit dem 1. FC Union in Köpenick abgeschlossen hat.
Ob sich der Gutachter dieser Position anschließt, wird man sehen. In jedem Fall hofft Hertha, im Frühjahr 2019 einen Erbpachtvertrag mit dem Land Berlin abschließen zu können. Dem Vertrag muss das Abgeordnetenhaus zustimmen. Dem Verein kommt zugute, dass der Senat kürzlich die Erbbauzinsen in Berlin für 20 Jahre ab Vertragsabschluss halbiert hat. Für sportlich genutzte Flächen liegt er nur noch bei 1,5 Prozent. Auch bei einem hohen Verkehrswert für das Stadiongrundstück würde die Pacht nur einen Bruchteil der Jahresmiete von 5,25 Millionen Euro betragen, die Hertha noch bis Juli 2025 zahlen muss.
Ein anderes Problem ist die Wohnsiedlung der „Bau- und Wohngenossenschaft 1892“ mit 24 Wohnungen an der Sportforumstraße. Die Bewohner müssten weichen, weil ihre Häuser auf oder direkt neben dem Baugrundstück liegen. Anstatt Häuser abzureißen, würde die Genossenschaft die kleine Siedlung gern erweitern, das weiß auch Hertha. Allerdings ist das Areal planerisch nicht als Wohngebiet ausgewiesen, es wurde bisher auch kein Bauantrag gestellt. Im Sommer 2017 hieß es sogar noch vom Vorstand der Genossenschaft: „Einem Stadionneubau möchten wir nicht im Wege stehen.“ Auf eine aktuelle Anfrage des Tagesspiegel reagierte die Genossenschaft nicht.
Vielleicht auch deshalb, weil dem Senat, dem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf und der Genossenschaft seit vier Wochen ein Vorschlag Herthas vorliegt. Der Verein würde den Genossen das 15 000 Quadratmeter große Grundstück, auf dem die Kleinsiedlung liegt, abkaufen. Mit den Einnahmen könnte die Genossenschaft auf der idyllisch gelegenen Baumannschen Wiese nahe der U-Bahnstation Ruhleben, die öffentliches Eigentum ist, ein vergleichbares Grundstück kaufen oder pachten, um dort neue Wohnungen zu bauen. Der Nutzung für den Wohnungsbau steht jedoch ein Bürgerbegehren für den dauerhaften Schutz von Grünflächen im Bezirk entgegen, das im Sommer 2016 von der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf übernommen wurde. Rechtlich bindend ist das nicht, aber der Bezirk müsste sich über den Bürgerwillen hinwegsetzen. Eine Entscheidung lässt auf sich warten.
Dagegen kommen die Gespräche mit der Landessportjugend, deren Bildungsstätte der neuen Fußballarena ebenfalls weichen muss, angeblich gut voran. Es gebe eine gute Lösung für einen Neubau, verlautet aus Vereinskreisen. Als kleines Lockangebot bietet Hertha zusätzlich an, auf dem Gelände des Olympischen Tennisstadions einen Blinden-Fußballplatz anzulegen. Energisch dementiert wird von Hertha, dass dem Stadion bis zu 1000 wertvolle alte Bäume weichen müssten. Laut dem Artenschutzgutachten, das der Verein in Auftrag gegeben hat, wurde nur eine sehr alte Stieleiche gefunden, die voraussichtlich stehen bleiben kann. Gefällt werden müssten hauptsächlich Nadelbäume, ökologisch wertvolles Totholz ginge verloren. Der Verein bietet Ausgleichsmaßnahmen auf dem Stadiongrundstück oder in der Nähe an.
Die notwendige Verschwenkung der Hanns-Braun-Straße westlich der Rominter Allee will der Verein dem Vernehmen nach nicht bezahlen. Hertha verweist darauf, dass man aus Gründen des Denkmalschutzes auf Wunsch des Senats den Standort des Stadions noch einmal verändert hat, nur deshalb müsse ein Teilstück der Straße erneuert werden. Man habe wegen der Verschiebung des Baugrundstücks nach Osten ohnehin höhere Kosten wegen des größeren Erdaushubs in hügeligem Gelände. Darüber müsse man jedenfalls reden, heißt es.
Und wenn alles nicht klappt? Auch in der Koalition spekulieren manche Politiker damit, dass Hertha BSC doch über 2025 im Olympiastadion bleiben könnte. Der Verein will das auf keinen Fall, auch der Senat richtet sich darauf ein, den wichtigsten Mieter im Olympiastadion zu verlieren. Die Olympiastadion GmbH soll noch 2019 beauftragt werden, einen „alternativen Businessplan“ zu erarbeiten. Ein anderer Standort in der Stadt wird, obwohl dies von Sportpolitikern der SPD und Linken in die Diskussion gebracht wurde, nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Entweder der Olympiapark – oder in höchster Not doch der Umzug nach Ludwigsfelde in Brandenburg?