Kabarettist Horst Evers: Herr der Ratten
Der Kabarettist Horst Evers hat seinen ersten Roman geschrieben: Ein Krimi über Ratten
„Die Leiche lag mitten im Sandkasten.“ Nach diesem ersten Satz ist für 381 Seiten nichts mehr, wie es war. „Kriminalroman“ steht auf dem Buchcover, zwischen der gemalten U-Bahn im Berliner Gelb und dem Titel „Der König von Berlin“. Horst Evers, Kleinkünstler, Geschichtenschreiber, Vorleser, hat sich an ein neues Genre gewagt.
An einem sonnigen Vormittag sitzt der Kabarettist in einem Kreuzberger Biergarten – unweit jener Leichenfundstelle in der Tempelherrenstraße, in der sein erster Roman beginnt. Evers wohnt nicht weit von hier. „Ich habe alles ein bisschen verfremdet“, sagt er, fügt grinsend hinzu: „Ich bin ja nicht wahnsinnig“ und ist wieder ganz er selbst. Er spricht wie er liest, der subtile, selbstironische Humor seiner Kurzgeschichten beherrscht auch seine Worte. Und, die Fans wird es freuen, damit hat Evers auch seine Romanfiguren ausgestattet. „Nur dass eben nicht auf jeder Seite drei Pointen kommen“, sagt er. Denn hier geht es nicht um Witz, nicht um Jux, diese rasante Geschichte lebt von der Spannung. „Wer keine Krimis mag, der hat keine Chance.“
3,5 Millionen Menschen leben in Berlin – und etwa zehn Millionen Ratten. Was wäre, wenn ein Mensch diese Horde kontrollieren würde? Sie gezielt füttert und so dafür sorgt, dass Kammerjägerfirmen immer genug Arbeit haben? Und wenn dieser Mensch beschlösse, die Population innerhalb kürzester Zeit enorm zu vergrößern? Wäre so jemand nicht der Herrscher der Stadt, der „König von Berlin?“. Diese Grundidee teilt Evers in verschiedene Geschichtsstränge. Vier Tage lang erhöht er ständig den Druck: Immer mehr Ratten, mehr Tote, tiefere politische Verwicklungen, bis sich am vierten Tag der ganze Druck im krachenden Finale entlädt. Immer mittendrin Hauptkommissar Carsten Lanner und dessen Lieblingsfeind aus der Schulzeit, Georg Wolters, Kammerjäger. Beide kommen aus Niedersachsen – wie Evers, der eigentlich Gerd Winter heißt und sein Pseudonym aus seiner Geburtsstadt Evershorst bei Diepholz gebildet hat. „Ich habe mich quasi aufgeteilt“, sagt er. Hier Wolters, der Schluffi, der elf Studiengänge abgebrochen hat und Kammerjäger wurde. Und dort Kommissar Lanner, der in Berlin groß rauskommen will. Der etwas dickliche „Dorfsheriff“, der hastig um kurz vor sechs eine große Portion Pommes verschlingt, weil er aus Angst vor dem nächsten Gürtelloch nach 18 Uhr keine Kohlenhydrate mehr isst.
Auch Evers, 45, hat über die Jahre ein bisschen zugelegt, trägt einen schwarzen Rollkragenpulli, obwohl es dafür eigentlich noch zu warm ist. Die schwarze Jacke hat er über den Stuhl gehängt. Die dunkelblaue Jeans ist etwas zu kurz, die schwarzen Schuhe sind abgetreten. Dass seine beiden Alter Egos sich gegenseitig nicht ausstehen können, findet Evers normal. „Ich bin jemand, der mit sich selbst sehr viel schimpft“, sagt er. „Insofern muss man sich keine Sorgen machen.“ Den Plan zum Roman trug er seit Jahren mit sich herum, eine von vier Ideen – zweieinhalb Krimis, ein Kinderbuch – wurde auserkoren für dieses gewagte Projekt, das Evers sich vielleicht zu keinem anderen Zeitpunkt mehr getraut hätte. Sein letztes Buch „Für Eile fehlt mir die Zeit“ war so erfolgreich, dass er keinesfalls noch einmal genau das Gleiche machen wollte. Er ist ein großer Krimi-Fan, ließ sich von Stephen King und Serien wie Sopranos, Breaking Bad oder 24 inspirieren. Auch in seinen Kabarettprogrammen gelingt es ihm häufig, den Bogen über längere Zeit zu spannen, auf längst vergessene Details aus früheren Geschichten zurückzukommen. „Ich bin im Thema drin und kann, glaube ich, sagen: Das ist richtig gut geworden“, sagt er ungewohnt selbstbewusst.
Rasant schrieb er die erste Version herunter, in sechs Wochen. „Was für eine Erleichterung“, erzählt Evers, der sich als grundsätzlich sehr faulen Menschen sieht. „Ich dachte: Wie blöd war ich denn all die Jahre, immer diese kurzen Geschichten zu schreiben? Da muss man dauernd wieder eine neue anfangen. Und das Anfangen ist doch immer das Schwierigste.“ Die Geschichte geriet ihm zu groß, zu aufwendig, viel zu verschachtelt. Aus den anvisierten 280 Seiten wurden mehr als 600. Dann kam der eigentliche Prozess: Kürzen, zusammenstreichen, Tempo erhöhen oder rausnehmen, Geheimnisse halten. Geblieben sind 381 Seiten – und viel Platz für eine Fortsetzung. Am liebsten natürlich für eine Trilogie, sagt Evers, „aber ich leg’s nicht drauf an.“ Auf keinen Fall wird er sofort den nächsten Teil beginnen, zu zwangsläufig erschiene ihm das. Vielleicht macht er sich an eines der anderen Buchkonzepte, die noch in ihm brodeln. Vielleicht bleibt er einfach wieder bei der kurzen Form. Die Geschichten wird er ohnehin weiterhin schreiben, schon deshalb, weil einmal pro Woche Radio Eins eine sendet. So ist am Ende doch irgendwie wieder alles beim Alten.
Horst Evers: Der König von Berlin. Rowohlt Berlin, 19,95 Euro. Evers’ Lesung an diesem Montag (20 Uhr, Renaissance-Theater) ist ausverkauft. Radio Eins überträgt live von 19 bis 21 Uhr.
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