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„Mein Vertrauen in die Polizei ist schwer erschüttert“. Innensenator Frank Henkel im Mai 2013.
© dpa

Neue Panne um NSU-Aufklärung in Berlin: Henkel macht der Polizei Vorwürfe

Innensenator Frank Henkel (CDU) muss die nächste Panne bei der Aufarbeitung der verfehlten NSU-Fahndung eingestehen - nur knapp eine Woche nach der vorherigen. Diesmal gibt Henkel der Polizei die Schuld und kritisiert sie scharf.

Das Chaos um die Aufklärung der Versäumnisse bei der NSU-Fahndung wird immer größer – und Innensenator Frank Henkel (CDU) macht der Polizei schwere Vorwürfe. Henkel musste am  Montag das Abgeordnetenhaus über einen weitere Panne bei der Aufarbeitung der NSU-Akten informieren: Am Wochenende hat der Leiter des Landeskriminalamtes beim Lesen der Akte der Vertrauensperson 620 einen weiteren – den achten – Treffer entdeckt, der zuvor völlig übersehen worden war. Der frühere Spitzel VP 620 stand mit dem Umfeld des Thüringer Terror-Trios NSU in Kontakt.

Ursprünglich wollte Henkel das Parlament informieren, wieso das Landeskriminalamt im vergangenen Oktober von sieben Berichten nur zwei dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages und dem Abgeordnetenhaus zugeleitet hatte. Die fehlenden fünf Fundstellen hatte die Polizei vor einer Woche entdeckt, als ein Akteneinsichtsgesuch aus dem Innenausschuss bearbeitet und dazu Unterlagen aus den Jahren 2000 bis 2003 gesichtet wurden. Henkel hatte dazu Aufklärung für die Sitzung des Innenausschusses versprochen. Zur Vorbereitung nahm sich der Leiter des Landeskriminalamtes, Christian Steiof, selbst die Akten in die Hand und entdeckte den achten Hinweis.  Dieser soll aber „keine NSU-Relevanz“ haben, betonten Innenverwaltung und Polizei. In den Fundstellen würden die 1998 untergetauchten Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht erwähnt. In den Berichten wird allerdings der sächsische Rechtsextremist Jan W. genannt. Ihn hatte der Brandenburger Verfassungsschutz Ende der 1990er Jahre im Verdacht, dem Trio Waffen zu besorgen. Die Bundesanwaltschaft führt Jan W. als Beschuldigten im NSU-Verfahren.

Henkel kritisiert die Fehleranfälligkeit bei der Polizei

Henkel sprach von einer „unbegreiflichen Schlamperei“. „Für einen solchen Fehler gibt es keine Rechtfertigung“, herrschte der Senator die Polizeiführung an, die mit im Innenausschuss saß. „Ich bin menschlich und fachlich schwer enttäuscht“, und weiter: „Mein Vertrauen in die Polizei ist schwer erschüttert.“

Offensichtlich war es auch Henkel neu, dass die Akten im Landeskriminalamt nur von jeweils einer Person durchgesehen worden, eine zweite Person zur Kontrolle fehlte. „Dass es beim Staatsschutz kein Vier-Augen-Prinzip gibt, lässt mich fassungslos zurück“, sagte Henkel. „Mit einer solchen Fehleranfälligkeit gewinnen wir kein Vertrauen zurück, sondern zerstören es immer weiter.“

Henkel kündigte Konsequenzen an: Alle Akten zu V-Personen sollen von der Polizei in die Innenverwaltung geholt werden, beim Staatsschutz sollen nur Kopien verbleiben. Es soll um etwa 10 000 Seiten Papier gehen. Dort sollen die Akten von einer noch zu bildenden Auswertegruppe aus Experten der Innenverwaltung und der Polizei noch einmal vollständig kontrolliert werden. Dabei werde es sicherlich „weitere Erkenntnisse“ geben, prophezeite Steiof.

Jetzt sollen personelle Konsequenzen auf die erneute Panne folgen

Personelle Konsequenzen sollen nun folgen. Henkel will sich in den kommenden Tagen mit Polizeipräsident Klaus Kandt und LKA-Chef Steiof treffen. Dem Vernehmen nach ist die Zahl der mit dem NSU-Komplex beschäftigten Beamten beim Staatsschutz viel zu gering. Hintergrund sei der Wunsch nach Geheimhaltung gewesen – nicht zu viele Menschen sollten Einblick haben. „Das ist uns auf die Füße gefallen“, sagte Kandt am Rande der Sitzung. Auf welcher Ebene es personelle Konsequenzen geben wird – ob an der Spitze oder bei den Sachbearbeitern –, sagte Henkel nicht. Kandt will „frischen Wind reinbringen“ in den Staatsschutz, er benützte auch das Wort „Rotation“ innerhalb der Behörde.

Steiof begründete sein Aktenstudium am Wochenende damit, dass er vor der Sitzung des Innenausschusses „sicher gehen wollte“, dass in der Akte nicht noch etwas zu finden ist. „Ich habe mir den Vorwurf zu machen, die Akte nicht früher gelesen zu haben“, sagte Steiof, der seit zwei Jahren an der Spitze des Landeskriminalamtes steht. Auch dass er kein Vier-Augen-Prinzip angeordnet habe, kreidete sich Steiof als „meinen Fehler“ an.

Die Grünen warfen Henkel totales Versagen vor und forderten den Rücktritt von Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU). „Der Mann muss weg“, sagte der Innenexperte Benedikt Lux im Ausschuss. Dieser Forderung schlossen sich die anderen Oppositionsparteien nicht an. Udo Wolf von der Linkspartei kritisierte, dass im LKA die Akten von den V-Mann-Führern durchgesehen werden: „Da wird doch der Bock zum Gärtner gemacht.“ 

In der kommenden Woche will der Innenausschuss erneut zum Thema NSU beraten. Neue Überraschungen nicht ausgeschlossen.

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