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Im November 1990 glich die Mainzer Straße in Friedrichshain einem Schlachtfeld.
© Werner Schulze/Imago

November 1990 in Berlin: Häuserkampf in der Mainzer Straße

Als im November 1990 die Mainzer Straße gestürmt wird, eskaliert der Kampf zwischen Polizei und Hausbesetzern. Und die rot-grüne Koalition zerbricht. Lesen Sie hier einen Auszug des Artikels und den ganzen Text im digitalen Kiosk Blendle.

Wolfgang Wieland kommt mit dem Fahrrad. Ist ja nicht weit von der Wohnung in Kreuzberg, „und auch nicht mehr so lebensgefährlich wie damals – also ich kann Ihnen sagen, kurz nach der Wende mit dem Rad durch Ost-Berlin zu fahren, das war kein Vergnügen, so wie die Trabis da an einem vorbeigesaust sind“.

Damals war so allerlei gefährlich im Wilden Osten, besonders an der Mainzer Straße, wo Wolfgang Wieland jetzt sein Rad an eine Laterne kettet. 300 Meter zwischen Boxhagener Straße und Frankfurter Allee, die aus dem Westen zugewanderte autonome Szene wollte hier ihre Freie Republik Friedrichshain ausrufen, „mit Passierscheinen und allem drum und dran“.

Wolfgang Wieland lacht. Und sagt, dass es damals ganz und gar nicht lustig war. Vor einem Vierteljahrhundert, zwischen dem 12. und 14. November 1990, wüteten in der Mainzer Straße die Kämpfe zwischen Polizisten und Hausbesetzern. Berlin erlebte einen Ausbruch der Gewalt, wie ihn so kurz nach dem friedlichen Mauerfall niemand für möglich gehalten hätte. Am Ende stehen 13 geräumte Häuser, eine verwüstete Straße und eine zerbrochene Koalition. Wolfgang Wielands Alternative Liste (AL) mochte nicht mehr mit Walter Mompers SPD, „die sich an unser Allerheiligstes gewagt hatte“, an die Räumung der seit Längerem besetzten Häuser.

„Unter den Kapuzen steckte die schwäbische Landjugend“

Wolfgang Wieland ist heute wie damals Rechtsanwalt ohne politisches Mandat. Ein kräftiger Mann mit grauem Haar, er ist 67 Jahre alt und kümmert sich nur noch um „Mandanten, die mich nicht mehr loslassen“. 1990 war er frisch aus dem Parlament rotierter Abgeordneter der AL, dem Berliner Vorläufer der Grünen, dem er bis 1989 noch als Fraktionsvorsitzender gedient hatte. Zu den Kämpfen um die Mainzer Straße ist er erst mit dem Fahrrad gefahren und später mit dem Auto, weil er von einer Gefängniszelle zur nächsten fuhr, um die festgenommenen Besetzer juristisch zu vertreten, sie kamen fast alle aus dem Westen. „Unter den Kapuzen steckte die schwäbische Landjugend“, sagt Wieland und lacht ein krächzendes Lachen, es ist einer jahreszeittypischen Erkältung geschuldet.

Im November 2015 wird Berlin von einer großen Koalition regiert, und auch in der Mainzer Straße erinnert nichts mehr an die Zustände der Nachwendezeit. Frisch gestrichene Fassaden mit schmiedeeisernen Balkonen und die typisch Friedrichshainer Mischung aus Bistros, Spätis, Tattoo- und Yogastudios. Das Kopfsteinpflaster, aus dem die Besetzer ihre Munition zusammenstellten, ist einem Asphaltband gewichen. Vor drei Häusern künden flatternde Planen von Umbauten. „1990 standen noch überall Holzgerüste“, sagt Wieland. „An denen haben sich die Besetzer auch bedient."

Bald haben junge Leute 13 Häuser besetzt

Wohnungsbesetzungen sind nichts Ungewöhnliches in Ost-Berlin, ja sogar eine gängige Verfahrensweise an der Basis, vorbei an den bürokratischen Hürden, die sich auch in der DDR auftürmen. Wer mit dem Einzug in eine leere Wohnung Tatsachen schafft, bekommt von der kommunalen Wohnungsverwaltung schnell einen Mietvertrag. In der Mainzer Straße ist das ein wenig komplizierter. Ende der 70er Jahre beschließt der Ost-Berliner Magistrat, die Häuser auf der westlichen Straßenseite abzureißen und durch Plattenbauten zu ersetzen. 1989 stehen die Häuser leer, aber die Abrissbagger rollen nie an. Die DDR hat Wichtigeres zu tun.

Auf der östlichen Straßenseite können die Mieter zuschauen, wie gegenüber die Häuser verfallen. Bis die Wende kommt und mit ihr die Zeit der systematischen Besetzung. Bald haben sich die jungen Leute 13 Häuser in Berlin erobert. „Die Szene hat das Vakuum erkannt und zugegriffen“, erzählt Wolfgang Wieland. In Prenzlauer Berg, Mitte, Friedrichshain, und ganz besonders in der Mainzer Straße, denn wo sonst steht schon ein ganzer Straßenzug zur Besetzung zur Verfügung?

Schnell übertragen die West-Berliner Autonomen ihre Lebensvorstellungen auf die Ostseite der Stadt. Für jeden ist etwas dabei: In die Mainzer Straße 3 zieht ein Lesben- und Frauenhaus ein, Nummer 4 wird zum Tuntenhaus, Nummer 5 dient den Besetzern als Zentrale.

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