Deutsche-Wohnen-Manager Thomsen: "Hat der Mietendeckel Bestand, kostet uns das bis zu 330 Millionen Euro"
Henrik Thomsen, verantwortlich für die Neubauprojekte des Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen, spricht im Interview über seine Strategie in der Corona-Krise.
Die Deutsche Wohnen SE ist das größte private Wohnungsunternehmen Berlins, hat aber auch Bestände in anderen Bundesländern. Im Geschäftsjahr 2019 wuchs der Gewinn vor Steuern um rund 30 Prozent auf 704 Millionen Euro, der Immobilienbestand verzeichnete einen Wertzuwachs um 1,4 Milliarden Euro. Das Unternehmen steht als großer privater Vermieter auch in der Kritik: So fordert eine Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen enteignen!"
Herr Thomsen. Am 25. März, mitten in der Corona-Krise, erklärte die Deutsche Wohnen, sie werde drei Milliarden Euro in den Neubau von Wohnungen, Büros und Pflegeheimen investieren. Ist der Konzern immun gegen das Virus?
Wir sind – wie alle anderen Unternehmen – nicht immun gegen das Coronavirus. Wir sind aufgrund unseres robusten Geschäftsmodells aber besser aufgestellt als viele andere. Daher können und wollen wir unsere Investitionsziele auch weiterhin verfolgen. Neubau ist essenziell zur Lösung der Wohnungsprobleme in Deutschland. Daher ist das Thema für uns strategisch wichtig.
Die Corona-Krise scheint Ihr Unternehmen aber nicht weiter zu beeinflussen.
Nein, das ist natürlich nicht so. Der größte Teil unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeitet von Zuhause. Für unsere Mieterinnen und Mieter sind wir weiterhin durchgängig erreichbar, wenn aktuell auch fast ausschließlich per Brief, Mail, Telefon oder über unser Kundenportal.
Wir versuchen auch so gut es geht unsere Hausmeister in unseren Quartieren zu halten. Einzelne Hausmeister haben dafür sogar freiwillig ihren Urlaub unterbrochen, um verhinderte Kolleginnen und Kollegen zu vertreten. Und – insofern berührt uns die Situation sehr.
Aber brechen bei Ihnen auch Einnahmen weg wie in anderen Branchen?
Wir haben auch Gewerbetreibende bei uns, die ihre Miete nicht mehr bezahlen können und die Stundungen, die dann von uns angeboten werden, auch in Anspruch nehmen. Jetzt gibt es ja von der Regierung umfangreiche Hilfspakete. Wo staatliche Förderung nicht greift oder ausreicht, wollen wir einspringen.
Dafür haben wir einen Hilfsfonds eingerichtet, mit dem wir mehr als 30 Millionen Euro bereitstellen. Diese Mittel sollen in Not geratenen Wohnungs- und Gewerbemietern ebenso zu Gute kommen wie Handwerksbetrieben, Dienstleistern aber auch sozialen Vereinen und Projekten, mit denen uns eine lange Zusammenarbeit und Partnerschaft verbindet.
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In welcher Form wird denn dieser Fonds bisher in Anspruch genommen?
Wir glauben an die soziale Marktwirtschaft und daran, dass wir dazu unseren Beitrag zu leisten haben. Wir bitten unsere Mieterinnen und Mieter, die Schwierigkeiten haben, Kontakt aufzunehmen, damit wir uns den Einzelfall anschauen können. Es geht dann darum, dass wir schnell und unbürokratisch einspringen können. Im Schnitt haben wir eine Bearbeitungszeit von unter zehn Tagen.
Wie viele Anträge liegen schon vor?
Im Moment haben wir pro Tag etwa 40 Anfragen von Gewerbetreibenden. Die meisten Anfragen kommen natürlich aus Berlin, dort sind wir ja auch am stärksten engagiert mit rund 110 000 Wohnungen. Dabei schauen wir gemeinsam, wie wir unterstützen können. Das muss nicht immer die Stundung oder der Mietverzicht sein.
Ein Beispiel: Es gibt ein Friseur- und Kosmetikstudio, die Mieter hatten Vertragsbeginn am 1. April, wollten ihren Laden aufmachen, hatten schon alles eingerichtet, und dann kam der Shutdown. Da haben wir gesagt, wir erlassen die Miete zu 100 Prozent und verschieben einfach den Vertragsbeginn auf den Termin, an dem sie aufmachen dürfen.
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Aus der Immobilienwirtschaft, sowohl von Mietern als auch Vermietern, kommt die Forderung, einen staatlichen Hilfsfonds einzurichten – ist das der falsche Weg?
Nein, wir betrachten das auch als ein wichtiges Thema. Wir stehen erst am Anfang der Krise, das dürfen wir nicht vergessen. Bei Unternehmen, die auf den laufenden Kundenverkehr angewiesen sind, wirkt sich das sofort aus. Andere Mieter, etwa Dienstleister oder Softwareunternehmen, merken die Wirkung vielleicht erst deutlich später. Da wäre es gut, wenn der Staat einen Hilfsfonds bereithielte, um das aufzufangen.
Wie schätzen Sie die Corona-Krise ein, was Immobilienunternehmen allgemein und speziell die Deutsche Wohnen angeht. Wie muss man sich das Geschäftsjahr 2020 vorstellen?
Die Krise wird insbesondere die gewerbliche Immobilienwirtschaft hart treffen. Hotels, Gaststätten, Vergnügungsstätten und so weiter werden in diesem Jahr Verluste anhäufen. Auch bei Bürogebäuden und dem produzierenden Gewerbe könnte es mit zeitlicher Verzögerung zu Mietausfällen kommen.
Noch später kann es auch Auswirkungen auf den Wohnungsmietmarkt geben. Etwa, wenn Mieter dauerhaft in Kurzarbeit gehen müssen oder gar ihren Arbeitsplatz verlieren.
Aber die Deutsche Wohnen wird das nicht so hart treffen, allein schon wegen der Größe des Unternehmens, oder?
Weniger wegen der Größe, denke ich, sondern weil wir im Bestand unsere Wohnungen zu moderaten Mieten anbieten; die durchschnittliche Miete bei der Deutsche Wohnen liegt derzeit bei 6,94 Euro pro Quadratmeter.
Die Bezahlbarkeit unserer Wohnungen wirkt sich an der Stelle als stabilisierender Faktor aus. Vermieter im Hochpreissegment wird es deutlich härter treffen.
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Anfang des Jahres, als alle noch über den Berliner Mietendeckel redeten, erklärte die Deutsche Wohnen, alle Neubauvorhaben kämen jetzt auf den Prüfstand. Das ist offenbar nicht mehr der Fall. Ist der Mietendeckel kein Thema mehr bei Ihnen?
Wer ist nach wie vor Thema bei uns. Wir haben gerade mehr als 100 000 Mieter in Berlin informiert, was der Mietendeckel für sie bedeutet. Das war ein riesiger Aufwand. Unsere Überzeugung ist weiterhin, dass das Gesetz verfassungswidrig ist, da gibt es ja auch erste Anzeichen von Gerichten, dass sie diese Einschätzung teilen.
Wenn der Mietendeckel trotzdem Bestand hat, würde uns das in den nächsten Jahren bis zu 330 Millionen Euro kosten. Dass wir den Neubau auf den Prüfstand stellen, bezieht sich daher nur auf Berlin. Wir können nur in einem investitionsfreundlichen Klima bauen – das ist hoffentlich verständlich.
Also werden Investitionen umgeschichtet, raus aus Berlin, nach Bayern und Baden-Württemberg?
Berlin ist und bleibt unser Heimat- und Kernmarkt. Derzeit entwickeln wir rund 4000 Wohnungen in Berlin und Umgebung. Wir haben keine Planungen gestoppt. Aber abhängig davon, was mit dem Mietendeckel passiert, müssen wir überprüfen, wo wir bauen.
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Wo sollen die Wohnungen entstehen?
Wir haben mehrere Projekte und Grundstücke gekauft, etwa die ehemaligen Kabelwerke in Köpenick. Das sind sieben Hektar, wo wir ungefähr 1000 Wohnungen bauen können. In Marienhain, ebenfalls in Köpenick, können wir 1200 Wohnungen, in Westend 580, in Spandau 224 und in Krampnitz in Potsdam perspektivisch rund 1300 Wohnungen errichten. Das treiben wir alles voran.
Auf vielen Baustellen läuft es nicht mehr rund. Bauarbeiter kommen nicht mehr zur Arbeit, sind krank oder haben Angst sich anzustecken. Der Materialnachschub verzögert sich, wie sieht es bei ihnen aus?
Wir halten unsere Baufirmen weiter beschäftigt, so gut es eben geht. Wenn wir Sanierungen haben, können wir teilweise nicht mehr in die Wohnungen. Daher versuchen wir umzuschichten.
In welcher Preislage sollen die Neubauwohnungen mal vermietet werden?
Für jedes Projekt gibt es Vereinbarungen mit den Bezirken. Dazu zählt zum Teil auch die Regelung, 30 Prozent preisgebundene Sozialwohnungen zu errichten. Bei der Neuvermietung unserer Wohnungen im Bestand haben wir versprochen, mindestens jede vierte freie Wohnung an Mieter mit Wohnberechtigungsschein zu vergeben. Das Versprechen halten wir.
Was für Mieten sind bei den nicht preisgebundenen Neubauten geplant, etwa in den großen Quartieren in Köpenick?
Dafür ist es noch viel zu früh. Bei den Kabelwerken sind wir noch am Anfang des Bebauungsplanverfahrens. Hier werden wir 30 Prozent sozialen Wohnungsbau anbieten – aber erst in etwa vier Jahren.
In Marienhain beginnen aber schon die Bauarbeiten…
Dort wollen wir anfangen. Und wir gehen Stand heute von einer Miete von bis zu 13 Euro aus. Das hängt aber auch von den Baukosten ab, wir können ja erst in zwei bis drei Jahren die Wohnungen fertigstellen und vermieten.
Zur Person: Der Deutsch-Däne Henrik Thomsen, Jahrgang 1964, ist Chief Development Officer der Deutsche Wohnen, dort zuständig für alle Neubauvorhaben. Das Interview führte Thomas Loy.
Thomas Loy