Behörden in Berlin: Haste mal 'nen Arzt?
Hunderte Stellen im Gesundheitsdienst sind unbesetzt. Berlin ist für Seuchen und Katastrophen wohl schlecht gerüstet. Und auch bei der Sanierung der Charité wird der Mangel spürbar.
Dass sich in den Bezirken zu wenig Personal um zu viele Aufgaben kümmert – und Anwohner oft wochenlang warten – ist bekannt. Doch nun droht der Personalmangel zum Problem für Katastrophenschutz, Seuchenbekämpfung und Bedürftigenversorgung zu werden. Nach Tagesspiegel-Informationen gehen auch behördenintern Kenner davon aus, dass einige Bezirke mindestens für Notlagen nicht ausreichend gewappnet sind. Unfälle in Menschenmassen, Keimbefall in Kliniken oder Seuchen in Schulen – die dafür zuständigen Amtsärzte fehlen oft. Insgesamt sind 80 Mediziner-Vollzeitstellen in den Gesundheitsämtern der Stadt nicht besetzt. Derzeit arbeiten noch rund 220 Amtsärzte in Berlin, fast überall gibt es Zusatzbedarf an Medizinern.
Personalmangel: Pädagogen, Psychologen, Zahnärzte, aber auch IT-Spezialisten und Übersetzer
Insgesamt sind im öffentlichen Gesundheitsdienst des Landes rund 400 der 1600 vorgesehenen Stellen unbesetzt. Es fehlen Pädagogen, Psychologen und Zahnärzte, aber auch IT-Spezialisten und Übersetzer. Die Senatsgesundheitsverwaltung spricht auf Nachfrage immerhin von mehr als 300 unbesetzten Stellen. Bald könnte es darüber zum Streit zwischen Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU), der Opposition und den Bezirken kommen. Auch in den Ärzteverbänden rumort es.
Heiko Thomas, Gesundheitsexperte der Grünen, fordert angesichts der Lage auf den Gesundheitsämtern: Czaja müsse dem Regierenden Bürgermeister mitteilen, dass die Versorgung im Notfall, zuweilen auch die Grundversorgung, nicht mehr sichergestellt werden könne. Amtsärzte sind für Untersuchungen von Kindern vor den Einschulungen zuständig, schreiben Gutachten für Behörden und behandeln Unversicherte – beispielsweise Flüchtlinge. Außerdem prüfen sie die Hygiene in Kliniken und Heimen.
Czaja sagte dem Tagesspiegel, im Krisenfall würden stadtweit „alle Kräfte konzentriert“, eine mögliche Katastrophe sei deshalb gut zu bewältigen. Problematisch sei die Personalsituation „vielmehr im Alltag, wenn es beispielsweise um die Vielzahl an Einschulungsuntersuchungen oder Trinkwasserbefunde“ sowie unversicherte Zugereiste aus anderen Ländern der Europäischen Union gehe. „Diese Aufgaben sind mit einer zu dünnen Personaldecke nicht mehr vollumfänglich zu leisten“, sagte Czaja.
Gerade in Mitte könnte der Engpass bald zum Problem werden. Dort räumt gerade die Charité ihren Bettenturm, die Patienten ziehen in einen Interimsbau. Die Sanierung ist aufwendig, die temporären Räume der Universitätsklinik müssen von Ärzten des Bezirkes begutachtet werden. Nur fehlen amtliche Hygieniker, was besonders problematisch ist, da in Mitte selbst im bundesweiten Vergleich besonders viele Kliniken stehen. „Wir suchen dringend zwei Hygieniker“, bestätigte Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD). Auch die Stelle der amtsärztlichen Leiterin ist vakant. „Bislang gibt es nur eine Bewerbung“, sagte Hanke.
Mediziner in Amtsstuben verdienen 1000 Euro weniger im Monat
Ähnliches ist aus anderen Bezirken zu hören: Mediziner zieht es nicht in die Amtsstuben, auch weil dort oft 1000 Euro weniger im Monat gezahlt werden als in Kliniken. „Wir sind nicht konkurrenzfähig“, sagte Hanke. Derzeit fangen angestellte Fachärzte in den Ämtern meist mit weniger als 3800 Euro brutto im Monat an, als Beamte bekommen sie anfangs oft 3600 Euro. Klaus Bethke vom Verband der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes fordert einen Einheitstarif im öffentlichen Sektor, so dass zwischen Kliniken, Bundeswehr und Bezirken kein allzu großes Lohngefälle bestehe. Der Marburger Bund, in dem viele Krankenhausärzte organisiert sind, fordert für den Gesundheitsdienst ein „ärztespezifisches Entgeltsystem“ wie in den Kliniken. Noch werden Amtsärzte nach dem Landestarif bezahlt, der für die Beschäftigten der Verwaltungen gilt.
Besonders Hygienespezialisten werden die Ämter schwer bekommen. Ab 2016 werden Hygieniker wegen einer neuen Verordnung verstärkt von Krankenhäusern gesucht, entsprechend ausgebildete Ärzte dürften eher dort anfangen als in den weniger gut zahlenden Ämtern. „Wir laufen in eine echte Krisensituation“, sagt der Grünen-Abgeordnete Thomas. Um mehr Ärzte in den Gesundheitsdienst zu bekommen, plädiert Wolfgang Albers (Linke), Chef des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus, für eine Rotation: Klinikärzte sollen nach Wunsch und Bedarf zeitweise in den Bezirken arbeiten können. Immerhin sind in den Ämtern die Arbeitszeiten klarer geregelt als in vielen Kliniken.
Der Streit um den Mangel an Amtsärzten ist nicht ganz neu. Als 2009 vor der Schweinegrippe gewarnt wurde, hätten eigentlich Amtsärzte das Impfen organisieren müssen. Damals hieß es: Das Personal reiche nicht, niedergelassene Praxisärzte sollten helfen. Wenig später hatte der heutige Gesundheitssenator und damalige Oppositionspolitiker Czaja eine bessere Ausstattung des Gesundheitsdienstes gefordert. Die Personallage in Mitte begründet Bezirksbürgermeister Hanke auch mit dem vom Senat angeordneten Sparen. Wie berichtet, werden zehntausende Stellen im öffentlichen Dienst der hochverschuldeten Stadt gestrichen.