Nachruf: Hanna-Renate Laurien: Streitbar und versöhnlich
Die CDU-Politikerin und frühere Berliner Schulsenatorin Hanna-Renate Laurien ist im Alter von 81 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
Politiker wie sie nennt man heute „authentisch“ – mit hohem Respekt, weil sie so selten geworden sind. Für seine Überzeugungen einstehen, sich nicht verbiegen lassen, Fachkompetenz zeigen statt medienwirksamer Allgegenwart, das waren die Prinzipien, nach denen sich Hanna-Renate Laurien ihr Leben lang richtete, auch wenn sie selbst das vermutlich viel beiläufiger formuliert hätte. Wenn sie als Schulsenatorin eine Schule besuchte – sie besuchte viele Schulen – dann ließ sie keinen Zweifel daran, dass sie am liebsten in die nächste Klasse marschieren und dort kompetenten Unterricht abhalten würde. Und wenn sie von „meinen Kopftuchmädchen“ sprach, so stand dieses Wort nicht für abfällige Polarisierung, sondern war ein fürsorgliches Synonym für die Integrationsprobleme türkischer Schulkinder.
In Parteigremien stellte sie die Sache immer über die Parteidisziplin, blieb unberechenbar – und so war es wohl konsequent, dass der finale Karriereschritt, die Nominierung zur CDU-Kandidatin für das Amt des Regierenden Bürgermeisters 1984, nicht gelang. Die Parteibasis wollte sie, aber gegen den Machthandwerker Eberhard Diepgen hatte sie keine Chance. Doch sie diente ihm loyal weiter als Senatorin, stieg 1986 als Nachfolgerin Heinrich Lummers zur Bürgermeisterin auf.
Die gebürtige Danzigerin war 1981 in der Mannschaft Richard von Weizsäckers nach Berlin gekommen. Zu passen schien das nicht: Zum Katholizismus konvertiert, ohne ausgeprägten Berliner Zungenschlag, zumal eine, die als profilierte Kultusministerin des Flächenlandes Rheinland-Pfalz schon eine statusmäßig eher höhere Position einnahm? Immerhin war sie in Spremberg (Niederlausitz) aufgewachsen, hatte nach dem Krieg in Berlin Anglistik, Germanistik und Philosophie studiert und die FU mitbegründet. Und sie sah sich in der Pflicht, die Aufbruchsstimmung der Berliner CDU mit Weizsäcker zu unterstützen. Streitbar, aber voller Mutterwitz und stets versöhnlich packte sie ihre Arbeit an, scheute nicht vor Konflikten zurück, die sie für unumgänglich hielt, legte sich also beispielsweise 1983 mit den friedenstrunkenen GEW-Funktionären an, die die Schule mit allerhand Streikaktionen politisieren wollten.
Selbst im Ruhestand 2002 eckte sie noch einmal an, als sie die Louise-Schroeder-Medaille, eine ihrer zahllosen Auszeichnungen, zurückgab – aus Protest gegen die Entscheidung der Jury, diese Medaille auch der Schriftstellerin Daniela Dahn zu verleihen, die sie als anti-westliche Pamphletistin aus tiefstem Herzen ablehnte. Da kam der alte, respektvolle Spott noch einmal auf, „Hanna-Granata“ hatte sich, ihrer Überzeugung wegen, wieder einmal mit allen angelegt.
Auch wenn sie im Gedächtnis West-Berlins vor allem als charismatische Schulpolitikerin verankert ist, sah sie ihre Arbeit als erste Gesamtberliner Parlamentspräsidentin 1991 bis 1995 als krönenden Schlussstein ihrer Karriere. Als erste Frau in diesem Amt organisierte sie 1993 den Umzug des Abgeordnetenhauses vom Rathaus Schöneberg in den Preußischen Landtag, eröffnete zu diesem Anlass eine beeindruckende Ausstellung und leitete zahllose Sitzungen mit schlagfertiger Autorität. Unvergessen, wie sie eine späte, uferlose Plenardebatte mit dem Ausruf „Ihr habtse doch nicht alle!“ zum abrupten Ende brachte. Ihren Abschied aus dem Amt garnierte sie mit der Weisheit des Theologen Balthasar Gratian: „Lasse die Dinge, ehe sie dich verlassen“, in ihrer Fassung: „Man soll gehen, wenn es den Leuten noch leid tut“.
Mit diesem Tag war sie aus der Tagespolitik verschwunden, stürzte sich aber um so intensiver in ihre zahllosen Ehrenämter. Weil sie viel von Kochen und gutem Wein verstand, kümmerte sie sich beispielsweise um die Ausbildung des Gastronomie-Nachwuchses. Weil sie ihre Wurzeln in Danzig nicht vergessen hatte, trat sie für die deutsch-polnische Versöhnung ein. Am wichtigsten war ihr aber das Engagement für die Kirche: Sie amtierte als Vorsitzende des Berliner Diözesanrats, Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Vorsitzende des Katholischen Frauenbunds und viel gefragte Vermittlerin in religiös bedingten Konflikten, sie kämpfte für die Ökumene und dachte über das Priesteramt der Frau nach; schon als junge Schulleiterin in Köln hatte sie durchgesetzt, dass eine schwangere Schülerin das Abitur machen durfte. Man hätte gern gewusst, was sie über die aktuellen Missbrauchsskandale ihrer Kirche zu sagen gewusst hätte – es wäre kritisch, hilfreich, nachdenkenswert ausgefallen. Dazu wird es nicht mehr kommen: Hanna-Renate Laurien ist am gestrigen Freitag im Alter von 81 Jahren in Berlin gestorben.
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