Suche nach dem Lenin-Denkmal im Berliner Wald: Handgranaten sind leichter zu finden als der Revolutionär
Das 1991 abgerissene Lenindenkmal soll doch nicht in die Zitadelle Spandau ziehen. Weil es angeblich nicht zu finden sei. Aber stimmt das? Eine Expedition in den Köpenicker Forst, wo es einst vergraben wurde.
Es wäre wohl zu schön gewesen, wenn Genosse Lenin wirklich in den Westen umgezogen wäre. In der Spandauer Zitadelle bereiten sie ihm gerade eine neue Bleibe vor: Das gewaltige Denkmal vom Leninplatz, dem heutigen Platz der Vereinten Nationen in Friedrichshain, sollte ein zentrales Objekt in der Ausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ werden. Ende 1991 war es unter dem Protest von Anwohnern und klassenbewussten Bürgern in mehr als 120 Teile zerlegt und in den Müggelwald am südöstlichen Stadtrand gebracht worden. Noch vor wenigen Tagen sagte Museumsleiterin Andrea Theissen: „Wir warten auf die Entscheidung, ob und wann wir es ausgraben können.“ Und zwar seit 2010.
Vier Jahre nach dem Antrag kam jetzt zu Theissens Entsetzen die Absage des Landesdenkmalamtes – mit einer Begründung, die eher nach einer Ausrede als nach einer Erklärung klingt: Die Lage des Kopfes sei nicht genau zu orten, umfassende Suchgrabungen wären notwendig; zu langwierig und zu teuer.
Dabei waren die Denkmalschützer, die der Museumschefin jetzt in den Rücken fallen, von Anfang an in die Planung involviert. Es gab nur Differenzen darüber, ob bloß Lenins Kopf oder das ganze Denkmal gezeigt werden soll. Das ist allerdings mit 19 Metern gut doppelt so hoch wie die Ausstellungsräume in Spandau.
Wenn also Lenin nicht unters Volk zurückkehren darf, könnte man ihn doch einfach an seinem Grab besuchen, oder? Der Ausflug auf die bewaldete Halbinsel zwischen Seddinsee und Großer Krampe wird sich als Expedition erweisen.
Das Suchgebiet ist etwa so groß wie das Tempelhofer Feld, aber wegen der Bäume extrem viel unübersichtlicher. Hinter Müggelheim nimmt man erst mal halb rechts den Asphaltweg, der früher zum Campingplatz führte und nach dessen Stilllegung teilweise weggehackt wurde. Jetzt endet er genau am Abzweig eines weiteren Weges, der auf ein verschlossenes Stahltor trifft. Schießplatz, Betreten verboten!
Es ist der einzige Weg in diese eigentümliche Senke, die wohl mal eine Kiesgrube war. Hier müssen die Lastwagen mit Lenin im November 1991 reingefahren sein, hier müssten sie auch wieder raus. Doch für den schlüssellosen Kundschafter bleibt nur der Weg über die Hügel ringsum. Gelbe Blumen wiegen sich im Wind, Kiefernkronen rauschen, rechts und links des Waldweges ist nichts als Dickicht. Schulterhohe Brennnesseln und umgestürzte – oder quergelegte? – Bäume halten zusammen. An einer Art Hexentanzplatz endet der Weg.
Also zurück und von der Rückseite herangepirscht an die vielleicht 200 Meter breite und 15 Meter tiefe Senke. Mit stiebender Erosion rumpelt man den sandigen Hang hinab. Unten kein Lüftchen, kein Weg, kein Handynetz. Nur stattliche Fliegen auf dem warmen Sand zwischen halbhohen Kiefern, eine mit Schutt ummauerte Feuerstelle, ein Stuhlgerippe, eine leere Chipstüte, mindestens haltbar bis 22.07.2012. Noch mehr Bauschutt. Aber es sind eher Ziegel und nicht der rötliche ukrainische Marmorgranit, aus dem Nikolai Tomski 1970 den Lenin für Ulbrichts Arbeiter und Bauern schuf. Dazwischen eine zerbrochene graue Plastikdose mit der Aufschrift „…itationshandgranat…“ – Eine HANDGRANATE?! Hoffen wir, dass „…itation“ der Rest von „Imitation“ ist, die Handgranate also nur ein Übungsexemplar mit gedämpftem Puff. Trotzdem: Nichts wie raus hier!
Auf dem Rückweg sticht ein länglicher Erdhaufen ins Auge, auf dem nur Kräuter und Blumen wachsen. Das könnte, ach was, das muss Lenins Grab sein!
Unbezahlbar, hier zu graben, sagt der oberste Denkmalschützer? Man möchte gleich anfangen, nur wäre das ohne Genehmigung eine Ordnungswidrigkeit gemäß Landeswaldgesetz. Aber mit zwei, drei Helfern – Gibt’s im Landesdenkmalamt eigentlich Praktikanten? – hätte man den Fall wohl in wenigen Tagen geklärt. Ach so, die Position des Kopfes ist unbekannt? Hier, wo das Handy wieder Empfang hat, gibt es Bilder der knapp 130 Denkmalteile, wie sie in den ersten Monaten gänzlich unbedeckt im Wald lagen. Auch der Kopf.
Es gab Gerüchte, der Kopf sei geklaut worden
Unter Regie von Marx, Forstamtsleiter Karl-Heinz Marx, waren die Teile zugeschüttet worden. Dass der Kopf zwischenzeitlich geklaut wurde, wie die inzwischen nicht mehr allzu aktive Bürgerinitiative Lenindenkmal vor Jahren mutmaßte, scheint unrealistisch. Nur ein Ohr soll ihm abgeschlagen worden sein.
Das letzte Mal, dass die Stadtentwicklungsverwaltung für Lenin Geld herausgerückt hat, war 2003: Nachdem Wind, Wetter und Vandalen Teile des Denkmals freigelegt hatten, ließ sie noch ein paar Ladungen Sand draufschütten. „Enorm wertvoll“ sei das Material des Monuments, ließ eine Sprecherin damals wissen. Und die Entscheidung, es abzuräumen und durch ein possierliches Springbrünnlein zu ersetzen, bezeichnete sie als „städtebaulich tödlich“.
All das hätte in der Zitadelle reflektiert werden können. Auch die Tatsache, dass ein Russe aus ukrainischem Gestein einen haushohen Revolutionär für Berlin schuf, ist ja angesichts der aktuellen Weltlage nicht ganz uninteressant. Aber der Rest der Welt ist hier im Müggelwald weit weg. Die einzigen Menschen vor der Rückkehr in die Zivilisation an diesem Sommertag sind vier Waldarbeiter. Einer kann sich sogar noch an den herumliegenden Lenin erinnern. Aber wo genau das war, wisse er nicht mehr.
Am anderen Ende der Stadt, in Spandau, müssen sie jetzt ohne Lenin weitermachen. „Bei der Restaurierung und Konservierung der Figuren sind wir gut dran“, sagt Museumsleiterin Theissen. Dass der avisierte Eröffnungstermin vom Herbst auf nächste Frühjahr verschoben werden musste, sei den bei einem so alten Bauwerk üblichen Problemen geschuldet. So sei in der Zitadelle eine eigentlich gut aussehende Decke plötzlich zerbröselt. Von insgesamt 14 Millionen Euro flössen rund elf ins Bauwerk.
Das Gros der bisher rund 100 Denkmale für die Ausstellung stammt aus der einstigen Siegesallee im Tiergarten. Auch die haben mehr als 20 Jahre unter der Erde verbracht, nachdem der Landeskonservator sie 1954 zu ihrem Schutz im Park von Schloss Bellevue vergraben ließ. Eine passendere Gesellschaft für Lenin als auf der Zitadelle wäre also kaum vorstellbar.