Berlin: „Hab ick wat von Pause jesacht?“
Ein fauler Winter geht übel aus: mit Übergewicht, Kreislaufleiden oder Depressionen. Was hilft? Bewegung! Unsere Autoren testen Neues und Klassiker: Vibrationstraining zum Beispiel, Gymnastik in der Sauna oder den Indoor-Berg
FÜR FROSTBEULEN
Das Sauna-Yoga. Als ich das Kaninchen mache und mich ganz klein zusammenrolle, ersticke ich fast, weil mir das T-Shirt beim Einatmen vor der Nase klebt. Meine Hände können mir nicht helfen, die sind irgendwo hinterm Rücken verschränkt. Das ist der einzige schlimme Moment. Ich hatte mit viel mehr schlimmen Momenten gerechnet. Ich war beim Bikram-Yoga.
Bikram-Yoga hat Herr Bikram erfunden, genauer: der indische Yoga-Lehrer Bikram Choudhury und zwar in den 70er Jahren in Los Angeles. Hartes Training unter extremen Bedingungen, das ist Bikram-Yoga, sagt das Yoga-Lexikon. Es soll eine Synthese sein zwischen dem traditionellen Yoga und den westlichen Fitness-Trends. Das Besondere aber ist die Temperatur: Im Bikram-Yoga-Raum sind es 38 Grad. Man könnte denken: Puh! Aber als ich das brandneue Studio in Berlin-Mitte betrete, denke ich: Ah! Und stelle mir vor, wie toll es erst wird, hier reinzukommen, wenn’s draußen eklig novemberkalt ist.
Ich habe zu viel an. Viel zu viel. Knielange Turnhose, weites T-Shirt – die anderen turnen in Hotpants und Bustier. 90 Minuten lang machen wir 26 yogische Übungen. Stehen auf einem Bein. Verknoten zwei Beine. Strecken das Rückgrat (Kaninchen) oder stauchen es (Kamel). Das ist alles ziemlich anstrengend, und wir sind sehr konzentriert. Wir turnen vor einer Spiegelwand, um unsere Haltung zu überprüfen. Ich sehe nur mein pink angelaufenes Gesicht. „Guckt auf die Nasenspitze“, sagt Trainerin Beate, die ein Bein aufs andere gelegt in die Hocke geht, ohne auch nur zu zittern. Als ich auf dem Rücken liege und versuche, ruhig zu atmen, höre ich das Heizungsgebläse und denke: Es dürfte gar nicht kälter sein. Man ist in der Wärme so wunderbar aufgehoben. Ob ich mich jemals wieder zum Dauerlauf in den nasskalten Park zwinge… Ich weiß nicht.
Bikram-Yoga Berlin Mitte, Neue Schönhauser Straße 18, 3. Hinterhof, Telefon 3087 87 83. Im Angebot: 15 Kurse pro Woche. Eröffnungsangebot: zehn Mal für zehn Euro sowie Monatskarten für 95 bis 870 Euro. Bikram-Yoga in Kreuzberg: Gneisenaustraße 2, Telefon 6956 55 22.
FÜR ADRENALINSÜCHTIGE
Die Kletterwand. Junge Menschen, starke Menschen, muskulös, Hände, groß wie Wiener Schnitzel. Und ich mittendrin. Könnte ihr Vater sein, mindestens. Mickermuskeln, makkaronidünne Waden. Warum bin ich eigentlich hier? Klettern. Wer ist denn auf diese Idee gekommen?
Zum Glück gibt es Johanna. Und Johanna duldet kein Zaudern. Hinein in den Klettergurt, sagt die Leiterin des Schnupper-Trainings, Seil dran und los geht’s. Aufi! Der Berg ruft.
Wie? Da hinauf? Senkrecht ist gar kein Ausdruck. Weiße Wände, rote Wände steilen sich mit garstigen Überhängen kirchturmhoch bis unters Hallendach. 15 Meter sind das nur, sagt Johanna. Ich weiß, dass sie lügt, um mich zu beruhigen. Wahrscheinlich sind 50 Meter, der Magen macht seltsame Bewegungen.
Die anderen, die mit den Schnitzelhänden, sind schon halb oben, greifen in diese bunt an die Wände gedübelten Griffe, als wären es Bierkrughenkel, ziehen und stemmen und spreizen. Ein Sonntagsspaziergang in der Vertikalen. Ein Training, wie es kompletter kaum sein kann. Weil das Klettern Muskeln beansprucht, von denen man vorher kaum wusste, dass es sie gibt. Und wintermüden Körpern tigergleiche Geschmeidigkeit beschert.
Der Berg ruft lauter. Und ruft jetzt immer deutlicher nach mir. Ruhe bewahren, kann nichts passieren, bin ja fest am Seil. Und Johanna wacht. Erste Griffe, erste Tritte, geht ja, hochziehen, nachdrücken, geht immer besser, geht immer schneller, gähnender Abgrund unter mir, Höhenrausch, links blüht ein Edelweiß und rechts der Enzian, aufi!, nächster Griff, Gemsen meckern, ein Steinbockrudel stiebt davon. Herrliche Berge, sonnige Höhen, Bergvagabunden sind wir. Nächster Griff, nächster Tritt. Adrenalin, Endorphine, Glückshormone.
Wenn nur dieses rote Etwas nicht wäre. Dieses runde, glatte, abweisende Ding. Krötenartig klebt es an der Wand. Soll wohl ein Griff sein, he? Aber wie packt man ihn, wie packt man eine Kröte? Hingefasst, abgerutscht. Noch einmal. Wieder weggeglitscht. Der Puls wird schneller. Was tun? Da oben vielleicht, dieser gelbe Stift. Klein wie ein Flaschenkorken. Wie greift man den? Aussichtslos. Schweißausbrüche. Das rechte Bein beginnt sich zu beschweren. Steht schließlich schon eine halbe Ewigkeit auf diesem Minitritt. Fängt an zu zittern, „Nähmaschine“ heißt das in der alpinen Fachsprache. Und die rote Kröte lacht mich aus. Johanna, hilf, hab ein Einsehen, lass mich hier runter, Johanna!!! Wolfgang Prosinger
Magic Mountain GmbH, Böttgerstraße 20-26 in Wedding, Telefon 88715790, Eintritt 12-14 Euro, Schnupperkurs 30 Euro. Klettern geht auch in der T-Hall Kletterhalle, Thiemannstraße 1 in Neukölln, Telefon 68089864. Tageskarte ab 10 Euro, Probestunde 30 Euro.
FÜR TRENDSETTER
Der Vibrationstrainer. Noch 17 Sekunden, sagt Patrick, mein „Personal Trainer“. Wie? Doch solange noch? Immerhin, dann müssten es in sieben Sekunden nur noch zehn sein. Zehn Sekunden sind super! Von da wird die Ewigkeit überschaubar, eingeteilt in zehn Einheiten. Zehn Mal piept „Fitvibe“, das ist das Gerät: eine kleine anthrazitfarbene Platte, zehn Zentimeter überm Boden, ein Griff auf Armhöhe, ein Display. Auf die Platte stellt man sich drauf und macht Muskelübungen. Und sie vibriert dabei. Zehn Piepser, dann hat es ein Einsehen. Dann ist es vorbei. Doch, das ist zu schaffen, sogar mit Pudding-Knie und Gummi-Wade und Tunnelblick. Ab zehn kann man mitzählen, neun, acht, verdammt, wo bleibt die Sieben? Tiefer in die Hocke, sagt Patrick. Aber das geht nicht, denke ich, dann platzt doch die Gummi-Wade. Sechs. Warum ist es plötzlich so heiß hier?
Hier. Holmes-Place, Friedrichstraße, Fitnessstudio, erster Stock; hier, wo nun ein unerklärlicher Nebel wallt, der all die anderen verschluckt. Auch Patrick ist weg. Ach nein, er ist noch da. Man hört ihn reden. Auch die Fettverbrennung würde aktiviert. Die Drei wäre jetzt super. Aber die Fünf ist noch nicht da.
Vibrationstraining? 50 Sekunden bei 25 Hertz, gerne auch mehr. Good Vibrations. Dreidimensionale, unregelmäßige Schwingungen, gegen die dein Körper keine Chance hat, darauf kann er sich nicht einstellen. Oh nein, keine Chance! Direktemang rein in deine allerletzte Faser – zu 100 Prozent, wo herkömmliches Krafttraining nur 40 erreicht. Stimuliert die Muskeln. Lockert die Gelenke. Setzt Hormone frei. Strafft Bindegewebe. Danach fühlt man sich so, sagt Patrick, und baut sich mit seinen imposanten 1,95 in bester Body-Builder-Manier vor einem auf. Vibrationstraining. Ist ganz neu. Haben Sportwissenschaftler entwickelt. In der Reha machen sie das schon länger. Das hier fühlt sich nicht nach Reha an.
Vibrationstraining. Oberkörper. Rückenmuskulatur. Bizeps. Nix bleibt verschont. Das ist ja das, nun ja, Tolle – das Gerät fühlt sich anscheinend für den ganzen Körper verantwortlich. Lockert Verspannungen. Stärkt den passiven Bewegungsapparat. Baut Stress ab. Sagt Patrick und merkt: Ich baue ab. Wahrscheinlich sehe ich schon aus wie früher Zoetemelk in Alpe d’Huez. Blass. Ausgelaugt. Das Haar klebt an der Stirn. Gerüttelt werden ist anstrengend. Patrick hat ein Einsehen. Man kann das Gerät auch zur Entspannung benutzen, zwei Minuten, 30 Hertz: davor legen, auf eine Matte, Beine drauf. Patrick sagt, zwei Einheiten pro Woche wären gut, je eine halbe Stunde. Es verbessert auch die Koordination. Langfristig bestimmt. Kurzfristig stellt sich die Frage – wie kommt man danach die Treppe runter? Axel Vornbäumen
Die Nutzung von Vibrationstrainingsgeräten kostet immer extra, und das nicht zu knapp: Bei Holmes Place, Telefon 20624949, kosten 30 Minuten für Mitglieder 10 Euro, für Gäste 15 Euro (Gäste dürfen drei Mal kommen, dann müssen sie Mitglied werden). Auch bei Aspria (nur als Mitglied), Karlsruher Straße 20, Telefon 890688810, da heißt das Gerät Power Plate, 20 Minuten 10 Euro, Fünferkarte mit Trainer 45 Euro, Zehnerkarte 79 Euro. Oder bei Bauchladen, Bismarckstraße 97, Telefon 3121110, Zehnerkarte für 20-Minuten-Einheiten 98 Euro; hier ist aber eine Mitgliedschaft nicht erforderlich.
FÜR HARTE
Der Boxkurs. Es fängt alles damit an, dass ich an der Straßenbahnhaltestelle stehe, und die Straßenbahn nach Weißensee kommt nicht. Ich werde mich verspäten! Was sie wohl im Boxtempel dazu sagen? Ob ich Liegestützen vorturnen muss? Der erste Schweißausbruch. Um 18 Uhr und zwei Minuten platze ich mit klopfendem Herzen in die Halle. Etwa 20 Männer transpirieren in Zweierreihen, unter erbarmungslosem Neonlicht. „Stell dich hinten dazu“, sagt der Trainer. Ich mache mit: rasend schnelle Hampelmänner in allen Variationen, auf der Stelle traben, Hüftkreisen, Stretching. „Die Hacken zum Arsch, schneller, schneller“, kommandiert er. Ich muss lachen – in meinem Mitte-Yoga-Kurs würde es jetzt heißen: „Spürt die Energie, die aus dem Fuß-Chi ins Sonnengeflecht strömt.“ Im Boxtempel nennen sie die Dinge beim Namen, und ansonsten gilt offenbar die Regel: Schnauze halten. Sehr angenehm für jemanden aus der Kommunikationsbranche! Dann merke ich, dass die anderen Turner kleine Gewichte in den Händen halten.
Später bringt der Trainer mir die Box-Grundhaltung bei. 30 Minuten Schattenboxen vor dem Spiegel. Ich schwitze wie blöd, aber es fühlt sich gut an. Der Trainer korrigiert meine Haltung. Ich trage peinlicherweise einen kleinmädchenmäßigen, hellblauen Trainingsanzug. Als der Trainer merkt, dass ich einen kurzen Moment die Fäuste fallen lassen will, um die Jacke abzustreifen, sagt er: „Hab’ ick wat von Pause jesacht?“ Dann legt er mir Bandagen an und stülpt mir richtige Boxhandschuhe über – ich, das Bantamgewicht, bin reif für den Jahrhundertkampf mit dem gefürchteten Sandsack. Nimm das! Und jetzt das! Während die Fortgeschrittenen nebenan beim Sparring sind, ziehe ich die Schultern hoch, schütze mein Gesicht und laufe einen Schritt vor und einen zurück. Beim Schlag atme ich aus, schnaubend wie ein Zwergpony. Für eine kurzen Augenblick befürchte ich, der Sandsack könnte sich rächen. Tut er auch, er pendelt relativ schnell zurück in meine Richtung, aber ich ducke mich, weiche aus. Da sagt der Trainer einen guten Satz: „Mensch, mach’ dir nich’ kleener alste bist!“ Ich muss grinsen.
Und für einen kurzen Moment stelle ich mir vor, der Sack wäre kein Sack, sondern ein Mensch. Ein ganz bestimmter Mensch. Es wirkt.
Nach 90 Minuten folgen noch ein paar extrem unangenehme Partnerübungen für den Bauch: Situps zum Beispiel. Ich schaffe elf am Stück – vielleicht auch, weil ein wildfremder Mann mit unglaublichen Bauchmuskeln auf mir drauf sitzt. Er schafft 30. Das war’s. In der Frauenumkleide ist es ziemlich einsam. Die Männer gehen ohne mich Bier trinken. Esther Kogelboom
Boxtempel Weißensee, Lehderstrasse 42-43, Telefon 0172/6069423. Boxen ist dienstags um 20 Uhr und freitags um 18 Uhr. Für ein Probestunde sollte man sich vorher anmelden. Pünktlichkeit ist sehr zu empfehlen. Nichts für schwache Nerven. Die Fitnessvariante heißt Tae Bo oder Fit Bo. In vielen Studios.
FÜR ZWISCHENDURCH
Kneipentischtennis. Von wegen Spaßveranstaltung. Wenn es hier wirklich nur um Spaß ginge, würde ich bestimmt nicht so das Gesicht verziehen. Jeder Schlag ins Aus ärgert mich. Jeder Ball ins Netz ist mir peinlich. Vielleicht, weil ich mich nicht bloß vor einem Mitspieler blamiere, sondern gleich vor 20. Was in der Kneipe „Dr. Pong“ in Prenzlauer Berg gespielt wird, kennen die meisten noch aus der Schule: „Chinesisch“ heißt das in Fachkreisen, manche sagen auch „Rundlauf“ oder „Tischtennis für Arme“. Die Regeln sind simpel: Einfach den Ball übers Netz schlagen, auf die andere Seite hetzen, anstellen, warten, wieder schlagen, wieder laufen. Wer daneben haut, scheidet aus. Die letzten beiden machen den Sieger unter sich aus, dann geht alles wieder von vorne los.
Einige Gäste spielen so gut, als würden sie ihre gesamte Freizeit hier verbringen. Oder heimlich zu Hause im Keller üben. Jedenfalls kommen immer dieselben Typen ins Finale – und leider sind es auch immer dieselben, die gleich zu Beginn einer neuen Runde rausfliegen. Ich zum Beispiel. Bei meinen Kurzeinsätzen kann ich wohl kaum von Sport reden. Und was ich dabei an Kalorien verliere, nehme ich sofort wieder zu mir, weil ich während des Spiels Bier trinke. Immerhin: Wer in der einen Hand den Schläger und in der anderen die Bierflasche hält, kann sich nicht auch noch eine Zigarette anzünden. Gar nicht so ungesund, das Kneipentischtennis. Sebastian Leber
Dr. Pong, Eberswalder Straße 21 in Prenzlauer Berg. Rundlauf gibt’s jeden Abend ab 22 Uhr, sonntags schon ab 14 Uhr. Infos unter www.drpong.net. Ähnliches gibt’s in der Bar an der Schwiebusser Straße 2, Kreuzberg, mittwochs ab 20 Uhr, mit DJ, und im Mysliwska, Schlesische Straße 35, Kreuzberg, sonntags ab 15 Uhr.
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