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Mehr Zeit, statt guter Vorsätze.
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Statt Rauchentwöhnung und Sportmotivation: Guter Vorsatz: mehr Zeit nehmen

Neues Jahr, gleiche Vorsätze: Mit dem Rauchen aufhören, endlich Sport treiben. Unsere Kolumnistin Hatice Akyün genießt stattdessen für ein paar Stunden die gewonnene Zeit.

Die erste Million sei die schwerste, erklärte mir ein Freund, als ich die leeren Seiten meines Terminkalenders beklagte. Er gab mir den Ratschlag, mich auf die zweite zu konzentrieren. Scherzkeks, dachte ich und überlegte, ob die Tote-Hosen-Zeit im Januar der Grund ist, das neue Jahr mit guten Vorsätzen vollzupflastern? So fällt nicht sofort auf, dass man unterbeschäftigt im Hamsterrad dreht. Mit meinen Vorsätzen sieht es in diesem Jahr dürftig aus. Mit dem Rauchen aufhören fällt bei mir flach, weil ich nie geraucht habe. Weniger trinken geht auch nicht, weil mein jährlicher Alkoholkonsum in eine Flasche Prosecco passt. Mehr bewegen? Bitte nicht! Tagtäglich quäle ich mich über meine Joggingstrecke und laufe gegen den Verfall meiner sterblichen Hülle an. Bliebe mir also nur noch der berühmte Vorsatz „mehr Zeit“. Zeit hätte ich, nur das Geld für die Hobbys fehlt.

Dem Schicksal eine Chance geben

In einem Anflug von vorgetäuschtem Jahresanfangsaktionismus, könnte ich meine Haushaltsliste abarbeiten: Endlich die Griffe an den Kleiderschrank schrauben, die Verdunklungsrollos im Kinderzimmer anbringen, den Duschkopf entkalken, den Backofen reinigen und die Fenster putzen. Aber halt, das würde mich nur in Depressionen stürzen. Und wie stehe ich da, wenn gerade mal zwei Wochen des neuen Jahres vorbei sind und ich schon den Kopf hängen lasse? Zuversicht ist Einsicht auf Aussicht. Nur woher nehmen? Zuerst einmal nehme ich mir nichts vor und lebe nach dem Vorsatz: Liebes, neues Jahr, zeig’ mir, was du vorhast mit mir. Schon Goethe schrieb über die Berliner: „Es lebt aber dort ein so verwegener Menschenschlag beisammen, dass man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern dass man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muss, um sich über Wasser zu halten.“ Ich genehmige mir deshalb mehr Fahrlässigkeit statt Vorsatz und gebe dem Schicksal durch Unterlassen eine Chance. Ich mache quasi das, worauf Berlin gebaut ist – leben und leben lassen. Denn genau genommen läuft auch Chaos in geregelten Bahnen und bekommt irgendwann einen eigenen Rhythmus. Niemand weiß das besser als die Berliner.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Im Tagesspiegel schreibt sie einmal pro Woche über ihre Heimat.
Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Im Tagesspiegel schreibt sie einmal pro Woche über ihre Heimat.
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Schnell wächst die Aufgabenliste

Während ich mich also in mein neues Motto „alles kann, nichts muss“ stückweise hineinlebe, ruft mein Verlag an und will noch diese Woche das Konzept für ein neues Buch, eine engagierte Buchhändlerin lädt mich zu einer Lesung ein, kann aber kein Honorar zahlen, ein Veranstalter möchte meine Expertise zur interkulturellen Bildung, ein anderer würde mich gerne für eine Neujahransprache buchen, wofür er mir die Übernahme von Reisekosten in Aussicht stellt und ein Magazin bittet eindringlich, bis Ende des Monats die Reportage zu schreiben, für die es sich seit einem Jahr nicht die Bohne interessiert hat.

Ich höre schon das Quietschen im Hamsterrad und plane, wie ich diese Begehrlichkeiten in den nächsten zwei Wochen bedienen kann. Aber danach, fest versprochen, Indianerehrenwort, dann, genau dann, werde ich mein selbstbestimmtes, fahrlässiges und Offen-für-alles-Leben beginnen. Oder wie mein Vater sagen würde: „Basina degil, sonuna bak.“ Schau nicht auf den Anfang, sondern aufs Ende.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

Hatice Akyün

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