Berliner Wohnungspolitik: Gutachter streiten über Zulässigkeit des Mietendeckels
Der Berliner Senat will die Mieten einfrieren. Ist das verfassungswidrig? Dazu konkurrieren nun verschiedene Rechtsgutachten.
- Laura Hofmann
- Fatina Keilani
Zum geplanten Berliner Mietendeckel hat die Schlacht der Gutachter begonnen. Das Mietrecht ist Bundesrecht, geregelt im BGB. Dort finden sich zwei Kappungsgrenzen, Stichwort 15 Prozent in drei Jahren und ortsübliche Vergleichsmiete, die mit der Mietpreisbremse eingeführt wurden. Außerdem gilt seit Jahresbeginn eine Deckelung für Modernisierungsumlagen.
Wenn diese Regelung abschließend ist, gibt es keinen Raum für eine Landesregelung, und das Berliner Vorhaben ist rechtswidrig. Andererseits sind die Länder für das Wohnungswesen zuständig, und der Deckel soll ein Instrument zur Steuerung sein. Mit der Frage, was gilt, haben sich inzwischen mehrere Anwaltskanzleien, die SPD, Immobilienverbände und der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages beschäftigt.
Die SPD sieht keine Probleme, der Bundestag sehr wohl
Je nach Auftraggeber kommen die Gutachten erwartbar zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ein 63-seitiges Rechtsgutachten der Professoren Franz Mayer und Markus Artz für die SPD-Fraktion vom März verweist auf die Verfassung von Berlin, die ein Rechts auf Wohnen festschreibt (anders als das Grundgesetz) und auf die Verordnungsermächtigung im BGB, wonach Landesregierungen bei Wohnungsnot Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten bestimmen können. Der Landesgesetzgeber dürfe in einen überhitzten Markt eingreifen. Der Deckel kann demnach also kommen. Wenig überraschend, schließlich regiert die SPD und trägt den Deckel mit.
Anders der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Die Bundesgesetzgebung entfalte im Bereich des Zivilrechts eine Sperrwirkung für die Landesgesetzgebung, heißt es in dem Gutachten, das vom CSU-Abgeordneten Hans Michelbach in Auftrag gegeben wurde. Zudem dürfe das Eigentumsgrundrecht zwar eingeschränkt, aber nie in seiner Substanz verletzt werden. Deshalb müsse es möglich sein, die allgemeine Preissteigerung durch Mieterhöhungen auszugleichen.
Die Ausnutzung von Mangellagen auf dem Wohnungsmarkt zur Erzielung einer höheren Miete genieße angesichts der sozialen Bedeutung der Wohnung für die hierauf angewiesenen Menschen allerdings keinen verfassungsrechtlichen Schutz. Die acht Seiten erschienen an dem Tag, an dem der Senat den Deckel beschloss – dem 18. Juni.
Gutachten lässt Hintertür offen
Interessant ist allerdings, dass es sich bei diesem Papier bereits um das dritte Gutachten des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestags zum Mietendeckel handelt. In den ersten beiden sahen die Gutachter die Kompetenz der Länder für dieses Instrument als klar nicht gegeben an. Im neusten Schreiben heißt es jedoch: „Eine Zuständigkeit der Länder für ein Verbot von Mieterhöhungen könnte sich aus der Gesetzgebungskompetenz für das Wohnungswesen ergeben."
Das Wohnungswesen umfasse "öffentlich-rechtliche Maßnahmen zur Wohnraumbeschaffung und zur Wohnraumnutzung". Die Länder sind demnach befugt für "Regelungen über die Bewirtschaftung des Wohnraums, die soziale Wohnraumförderung, der Abbau von Fehlsubventionierungen im Wohnungswesen, das Wohnungsbindungsrecht, das Zweckentfremdungsverbot und das Wohnungsgenossenschaftsrecht".
Dann folgt ein entscheidender Satz: "Ein Verbot von Mieterhöhungen kann als Maßnahme über die Wohnraumnutzung angesehen werden." So argumentieren auch die Berliner Sozialdemokraten, die den Mietendeckel vorgeschlagen haben. Allerdings, warnen die Gutachter, sei eine landesrechtliche Regelung nur dann zulässig, wenn sie nicht in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes eingreife.
"Ich kann den rot-rot-grünen Senat nur davor warnen, einen Verfassungskonflikt heraufzubeschwören", sagte Michelbach. Er ist sicher: Der Senat greift mit seinem Mietdeckel in abschließend geregelte Zuständigkeiten des Bundes ein. "Er täuscht den Bürgern Lösungen vor, um von eigenem Versagen abzulehnen", so Michaelbach weiter. Damit behindere die Berliner Landesregierung Neubau günstiger Wohnungen, Bauunterhaltung und Modernisierung.
Kanzleien sind von Rechtswidrigkeit überzeugt
Auf der Homepage des Haufe-Verlags finden sich zudem Links zu Gutachten der Großkanzlei Hogan Lovells und der Kanzlei Heußen, und beide kommen zu dem Schluss, dass der Mietendeckel verfassungswidrig sei. Die Heußen-Anwälte nehmen dabei auf das Mayer/Artz-Gutachten direkt Bezug.
Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) sagte dem Tagesspiegel am Sonntag: "Von Beginn an gibt es beim Mietendeckel widerstreitende juristische Auffassungen zur Kompetenzfrage." Mit der Vorlage des neuen Gutachtens habe der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages "eine weitere, aber keine neue Sachlage" geschaffen. Die vom Senat vertretene Auffassung zur landesrechtlichen Umsetzungbarkeit des Vorhabens werde dadurch nicht erschüttert.
Die von Berlin angestoßene Debatte zu bundespolitischen Folgen sei erfreulich. "Am Ende geht es nicht um einen Kompetenzstreit zwischen Bund und Land, sondern um den wirksamen Schutz von Mieterinnen und Mietern", sagte Lompscher. Die Bundestagsabgeordnete Eva Högl, die zur Gruppe der Berliner Sozialdemokraten gehört, die den Mietendeckel vorgeschlagen haben, sagte dem Tagesspiegel: „Wir sind der Auffassung, dass der Mietendeckel verfassungsgemäß ist und haben das sauber juristisch geprüft.“ Sie gehe davon aus, dass am Ende das Bundesverfassungsgericht entscheidet: „Dem sehe ich ganz entspannt entgegen.“
Senat hat FAQ zum Deckel auf seiner Internetseite
Die Stadtentwicklungsverwaltung präsentiert auf ihrer Internetseite ein Frage-Antwort-Format rund um den Mietendeckel. Auch die Zulässigkeitsfrage wird hier gestellt und unter Verweis und Verlinkung zum SPD-Gutachten beantwortet. Es sei „juristisches Neuland“, das man betrete, steht da auch, und dass der Senat seine Zuständigkeit aus Artikel 70 Grundgesetz ableite, wo die Zuständigkeit für das Wohnungswesen den Ländern übertragen wird.
„Was ist, wenn höchstrichterlich festgestellt werden sollte, dass der Mietendeckel nicht verfassungsgemäß ist oder aus anderen Gründen aufgehoben werden muss?“, lautet eine weitere Frage. Die Antwort: Es gebe zwei Möglichkeiten. Entweder die gerichtliche Feststellung einer Verfassungswidrigkeit, wofür allerdings hohe Hürden bestünden. Dann würde eine gerichtliche Entscheidung hierzu nicht zwingend das Ende des Deckels bedeuten, sondern vielleicht bloß die Notwendigkeit der Überarbeitung des Gesetzes. Oder es kommt zum Rechtsstreit um ein konkretes Mieterhöhungsverlangen. Würde der Vermieter die Klage gewinnen, würden die Mieterinnen und Mieter auf die bisherigen Regelungen des BGB zurückfallen, so der Senat. Er arbeitet weiter am Deckel-Gesetz, das bis Herbst vorliegen soll. Der Streit wird fortgesetzt.