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Mitten durch den östlichen Park am Gleisdreieck fährt an besonderen Gelegenheiten auf den historischen Schienen eine Bahn des angrenzenden Museums für Verkehr und Technik.
© dpa

Ein Jahr Park am Gleisdreieck: Grüner Abenteuerspielplatz mitten in der Stadt

Der Gleisdreieckpark feiert Einjähriges. Die Kreuzberger sind glücklich – ihr Traum ist wahr geworden. Jetzt wächst er nach Schöneberg hinein. Doch bisher ist die grüne Attraktion inmitten der City über die angrenzenden Kieze hinaus wenig bekannt.

An den zwei Schaukeln am „Interkulturellen Rosenduft-Garten“ stehen die Kinder und Erwachsenen schon Samstagvormittag um 10 Uhr Schlange. Es ist das Gefühl, in den Himmel hineinzuschweben, das sie hier in die Südostecke des Parks am Gleisdreieck lockt. Diese Schaukeln sind ungewöhnlich groß, weit kann man ausschwingen – aber das ist nicht der einzige Grund für den Anflug von Freiheit, den sie beim Auf und Ab empfinden. Es ist der grüne Ort selbst, an dem die Stadt so überraschend an Weite gewinnt, wie man das ansonsten fast nur vom Tempelhofer Feld oder dem Britzer Garten kennt. Da ist der Blick vom Schaukelbrett auf die große „Kreuzberger Wiese“, umrahmt von Gehölzen, Wegen, Spielplätzen, dschungelartigen Wäldchen, überwucherten Gleisen, Prellböcken und anderen Eisenbahnrelikten aus den Tagen, als durch den Park noch Züge rollten. Und hinten in der Kulisse Mittes Skyline.

Bilder: Die Grünanlage am Gleisdreieck

Vor genau einem Jahr wurde der Kreuzberg zugewandte Ostteil des Parks am Gleisdreieck eröffnet, seither fasziniert diese außergewöhnliche grüne Oase mehr und mehr Besucher. Am heutigen Sonntag wird deshalb von 11 bis 17 Uhr mit einem Parkfest und Parkführungen Geburtstag gefeiert – während gleichzeitig auf der anderen Seite der Fernbahntrasse nach Schöneberg hin selbst am Wochenende Bagger rattern. Dort wird der zweite Teil des Parks am Gleisdreieck – der Westpark – mit Hochdruck angelegt. Im Herbst 2013 will man hier die Eröffnung feiern.

Klappt alles wie geplant, so ist das Parkkonzept des Senats ein großes Stück vorangekommen – unter dem Motto: „Berlin wird immer grüner“ (siehe Kasten). Durchgehende Rasen- und Erholungsflächen gehören dazu – vom Tilla-Durieux-Park am Potsdamer Platz über die Parks am Gleisdreieck bis zum Naturpark Schöneberger Südgelände. Um das zu erreichen, muss noch ein dritter letzter Bauabschnitt des Gleisdreieckparks am sogenannten „Flaschenhals“ zwischen Yorckstraße und Monumentenstraße abgeschlossen sein. Diese Arbeiten werden aber möglicherweise noch bis 2014/15 andauern. Ein erster Kraftakt ist allerdings schon vollbracht: Vor einer Woche wurde die älteste der Yorckbrücken, frisch saniert, in einer nächtlichen Kranaktion wieder auf ihren früheren Platz gehievt. Sie soll künftig für Fußgänger und Radler den Flaschenhals mit dem Ostpark verbinden.

Im Westteil an der Schöneberger Seite wird die künftige grüne Oase noch unter den U-Bahnviadukten der U2 und U1 bis Herbst 2013 angelegt.
Im Westteil an der Schöneberger Seite wird die künftige grüne Oase noch unter den U-Bahnviadukten der U2 und U1 bis Herbst 2013 angelegt.
© dpa

Am Sonnabend strömen schon in der Morgensonne Jogger, Radler, Skater, Eltern mit Leiterwagen voller Kinder von Kreuzberg aus in den östlichen Park. Etwa drei Meter steigen sie an den Eingängen an der Möckernstraße Treppen hinauf, denn der 17 Hektar große Park liegt auf einem Plateau, einst aufgeschüttet für die Gleise des Potsdamer und Anhalter Güterbahnhofs am Gleisdreieck. In den späten 40er Jahren wurde der Betrieb dort eingestellt, während des Kalten Krieges lag das Areal des heutigen Ost- und Westparks brach, von der Natur überwuchert, eine einzigartige Wildnis entstand. Erst in den 90er Jahren, als der Potsdamer Platz neu entstand, wurden dort Lager für die Baulogistik angelegt – danach setzten Bürgerinitiativen ihre grüne Vision durch: einen insgesamt 26 Hektar umfassenden neuen Park auf den Bahnbrachen.

Bilder: Wo das Gleisdreieck noch immer Wildnis ist

Neben den Skater- und Ballsportfeldern im Ostpark üben junge Leute philippinischen Stockkampf. Jogger drehen ihre Runden. Klaus Mühlig (62) gehört seit September 2011 dazu. Er keucht ein wenig, während er ein Birkenwäldchen durchquert, in dem die Natur weiterhin über die Schienen wuchern darf. Und freut sich wie viele andere Anwohner so sehr über den Park, dass er sein Training unterbricht, um kurz Bilanz zu ziehen: „Toi, toi, toi, alles prima“, sagt er. Es gebe kaum mehr Vandalismus, was kurz nach der Eröffnung noch ein Problem war.

Die landeseigene Grün Berlin GmbH, die den Park verwaltet, hat auch hier wie auf dem Tempelhofer Feld offenbar eine glückliche Hand. Hinzu kommt, dass der Park von den Anliegern intensiv mitgeplant wurde, weshalb sich mehr Menschen für ihn verantwortlich fühlen. Und auch das bis ins Detail durchdachte vielfältige Konzept des Berliner Landschaftsarchitektenbüros Loidl trägt dazu bei. Ein Tagesprogramm im Park? Da kann man erst über weite Wiesen flanieren, dann die Gleiswildnis durchqueren, an Kletterspielplätzen verweilen, Kaffee trinken am zentralen Platz, buddeln und Wigwams bauen mit den Kindern am Naturerlebnisplatz, den Multi-Kulti-Gärtnern am Rosenduft-Garten beim Anbinden ihrer rot blühenden Bohnen zuschauen und noch jede Menge mehr entdecken. Und wie in Tempelhof die Luftfahrtgeschichte, begleitet hier den Besucher auf Schritt und Tritt die Historie der Eisenbahn.

Gleichwohl ist die noch junge grüne Attraktion inmitten der City bisher über die angrenzenden Kieze hinaus wenig bekannt. „Hier sieht man meist nur Anwohner“, sagt Skateboarder Sven Keller (17), während er an der Halfpipe verschnauft. Doch spätestens, wenn der Westpark fertig sei, könne das eine Sogwirkung haben. „Dann wird den Leuten klar, wie viel tolles neues Grün Berlin hinzugewinnt.“

Stadtweit ist bislang nur die riesige Sandfläche auf dem Areal des Westparks – direkt an den Viadukten der U 2 – zum Treff der Volleyballer geworden. Der größte „BeachPark“ Berlins wurde mit Sand aus der Baugrube des Alexa-Shoppingcenters aufgeschüttet. Und er wird in den Park einbezogen, zu dessen urbanem Flair hier die U-Bahnviadukte gehören und die auf abgetrennten Gleisen vorüberfahrenden Regionalzüge und ICEs, die mitten im Park, zwischen Goldrutenfeldern, teils im Fernbahntunnel verschwinden.

Auf dem Dach des Tunnelmundes soll eine Sonnenterrasse entstehen. Die Beachvolleyballer haben dann die Qual der Wahl: Entweder an der eigenen Beachbar abchillen - oder über den ICE’s.

Christoph Stollowsky

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