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In Lichterfelde ersetzen Pferde bereits Rasenmäher. Vielleicht auch bald auf dem Tempelhofer Feld.
© Mike Wolff

Baupläne für früheres Militärgelände: Großstadtwildnis in Gefahr

Der BUND hat den Landschaftspark Lichterfelde Süd mit dem Umweltpreis ausgezeichnet, bald soll hier aber gebaut werden. Die Pläne bedrohen ein kaum bekanntes Naturparadies mit enormer Artenvielfalt.

Die Mauer fiel vor 23 Jahren, aber der Stacheldrahtzaun um diesen geheimnisvollen Quadratkilometer im Berliner Süden steht immer noch. Dickicht behindert den Blick auf das Gelände, das in Stadtplänen ein weißer Fleck ist. Mit Glück oder Räuberleiter lässt sich ein Blick auf Pferde erhaschen, die durch die halb offene Weide- und Heidelandschaft im Inneren der Umzäunung stieben. Die hat sich zu einem der ökologisch wertvollsten Flecken Berlins entwickelt: 861 Arten, steht in einem Gutachten des Landesbeauftragen für Naturschutz. „Der Eigentümer“ verbietet auf Schildern am Zaun das Betreten, ohne sich zu erkennen zu geben. Das vermeidet häufigen Schildertausch, wenn mal wieder der Eigentümer wechselt. Erst übte die US-Army hier in Lichterfelde Süd den Häuserkampf. Dann ging es zurück an die Bahn, deren Immobiliengesellschaft Vivico, deren Nachfolger CA Immo – und jetzt an die Groth-Gruppe, die Quartiere wie das um die CDU-Zentrale am Tiergarten und das gegenüber gelegene Köbis-Dreieck errichtet hat. Dass Groth ein Gelände kauft, weil dort 51 Vogelarten brüten sowie 387 verschiedene Farne und Blühpflanzen wachsen, wäre neu.

Insofern ist es Anerkennung und Mahnung zugleich, dass der Naturschutzverband BUND seinen diesjährigen Umweltpreis für bürgerschaftliches Engagement jetzt denen verliehen hat, die sich bisher um das Areal kümmern: dem „Aktionsbündnis Landschaftspark Lichterfelde Süd“ und dem Projekt „Großstadtwildnis Lichterfelder Weidelandschaft“.

Letzteres erreicht man über ein Tor im Zaun an der Réaumurstraße. Wo die Thermometersiedlung mit ihren Wohntürmen nach Süden hin endet, beginnt das Revier von Anne Loba und der „Reitgemeinschaft Holderhof“. Die Tiermedizinerin hält etwa 40 Pferde auf Teilflächen des früheren Militärgebietes. Eine Zwischennutzung, seit 22 Jahren. „Ein Angebot an Berlin, den Bezirk und den Eigentümer“, sagt Loba. Ein Angebot, für das sie Miete zahlt und den Preis, praktisch ohne Einkünfte zu leben. Die Pferde sind das Jahr über draußen und werden „von Menschen geritten, die sich kein eigenes Pferd leisten können“, sagt Loba. Ihren Lebensabend fristen die Tiere als Rasenmäher. Sie halten die Landschaft offen, die sonst zu Wald werden würde. Anne Loba hilft nur sporadisch mit der Astschere nach, um beispielsweise Robinien zu kappen, deren ungenießbare Rinde kein Pferd anrührt. Mobile Zäune hindern die Tiere daran, einen Ort zu sehr zu strapazieren, und sichern so die Artenvielfalt. Und ersparen möglicherweise einem Investor den Ärger, den er sich durch die Abholzung eines sonst hier gewachsenen Waldes einhandeln würde. Erfahrungsgemäß treibt eine große Eiche die Menschen stärker um als die mehr als 100 überwiegend kleinen Pflanzen- und Tierarten hier, die auf der Roten Liste stehen.

Die Nachbarn dürfen das Gelände nur bei geführten Touren erkunden. Uwe Stenzel vom Aktionsbündnis Lichterfelde Süd sagt, das Areal solle „mit einer sehr kontrollierten Nutzung behutsam geöffnet“ werden, etwa bei Veranstaltungen mit Bezug zur Natur. Der Zaun solle ebenso bleiben wie die Pferde. Langfristig schwebt dem Bündnis eine Nutzung wie die des Schöneberger Südgeländes vor, in dem tags eine Parkordnung gilt und nachts die Türen zu sind. Neubauten will das Bündnis auf die nördlichen und westlichen Ränder des Geländes beschränken, wo bereits Gewerbebetriebe existieren und die Anhalter Bahn vorbeirauscht. Die Bezirkspolitiker weiß das Bündnis einhellig hinter sich. „Damit, dass sogar die CDU zu uns überläuft, hatten wir nicht gerechnet“, sagt Stenzel. Im Büro von Stadtentwicklungsstadtrat Norbert Schmidt (CDU) heißt es, dass rund zwei Drittel der Fläche „schützenswert und nicht bebaubar seien“. Wenn der Bezirk Baurecht schafft, würden in jedem Fall die Bürger beteiligt. Allerdings könnte der Senat die Planung an sich ziehen, weil er den Bau möglichst vieler Wohnungen für gesamtstädtisch bedeutsam hält. Frühere Pläne sahen bis zu 5000 Wohnungen auf dem Gelände vor.

Die Groth-Gruppe, die die 96 Hektar Anfang Oktober übernommen hat, verweist auf den Flächennutzungsplan von 1994, der eine Wohn-, Misch- und Gewerbenutzung vorsieht. „Derzeit werden die Planungsvoraussetzungen für eine Wohnbebauung erarbeitet“, heißt es. „Alle Beteiligten gehen von einem Baustart im Herbst 2015 aus.“

Stefan Jacobs

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