Der erste Tag am BER: Großer Bahnhof am neuen Flughafen – mit vielen Besuchern
An seinem ersten vollen Betriebstag ist der Airport ein Publikumsmagnet. Fluggäste sind allerdings selten - und manche haben Orientierungsprobleme.
Von der Gangway winkt Knecht Ruprecht und vor dem Tower steht ein Schneemann mit Kochtopfmütze neben einem geschmückten Weihnachtsbaum. So sieht er aus, der BER, „Dein Flughafen zum Entdecken und Ausmalen“. Die Vorlage aus Zeichenkarton ist gefragt an diesem Sonntag, dem ersten im coronagedimmten Normalbetrieb des neuen Flughafens. Früh ist es noch ruhig in den Weiten des Terminals, aber am Mittag steppt selbst im Raum der Stille, der in Wahrheit ein schummrig beleuchtetes Labyrinth aus mehreren Räumen mit grauen Ziegelwänden ist, der Bär.
Während zur Eröffnung neben den VIPs fast nur Journalisten, Polizisten, demonstrierende Klimaschutzpinguine und ein paar einzelne Männer mit Stoffbeuteln am BER unterwegs waren, dominieren am Sonntag Paare und Familien, um mal zu schauen, wo ihr Steuergeld geblieben ist. Es ist voll und zugleich ruhig in der Halle, was an der Maskenpflicht liegen mag oder an der Ehrfurcht vor dem neuen Gebäude. „Sehr, sehr schön“ sei das geworden, findet eine Frau aus Petershagen, das östlich Berlins
Das geht nun nicht mehr. Obwohl: Die Monitore verkünden nur etwa alle 20 Minuten einen Abflug; sie zeigen alle Starts bis Montagabend an und sind trotzdem halb leer. Und wenn man sich umschaut in der leise summenden Halle, sieht man fast niemanden mit Gepäck. Großer Bahnhof, bodenständig.
Anschaulich wird der Ernst der Lage auf dem Weg zur Besucherterrasse, der als verglaste Brücke über den Sicherheitsbereich führt. Außer der einsamen Kassierin im Duty-Free-Shop, zwei Zollbeamten in ihrem Häuschen und einer rastlos auf und ab gehenden Sicherheitsfrau am Bordkartenleser ist dort kein menschliches Leben sichtbar. Wer die weitläufige – und im November noch kostenlos zugängliche – Besucherterrasse erreicht hat, blickt westwärts direkt auf den Covid-Parkplatz von einem guten Dutzend Easyjet-Maschinen.
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Hinter dem Tower im Dunst parken mindestens ebenso viele von Lufthansa, die vorerst nicht gebraucht werden. „Schon praktisch für den Flughafen, dass er mit so geringer Auslastung starten kann, während sich alles einspielt“, sagt ein Mann aus Wilmersdorf, dessen Tochter unbedingt hierher wollte, aber just bei der Ankunft im Terminalbahnhof („ab Südkreuz direkt mit dem IC!“) in ihrem Buggy eingeschlafen ist. Der Mann zeigt lachend auf eine Pfütze, die von einem Leck im Terrassendach gespeist wird: „Ist halt ein zehn Jahre altes Gebäude.“
Ansonsten kann er nicht meckern. Er nicht und auch kein anderer, den man fragt: Die Anbindung – super. Das Terminal: zeitlos und solide. Ein Vierertrupp mit roten BER-Team-Pullovern, der am Terrassenzugang außer den Ausmalbildern auch Flyer und Gummibärchen verteilt, bestätigt den Eindruck: Ob heute schon irgendwer gemosert habe? Alle schütteln die Köpfe. „Neugierig und interessiert“ sei die Stimmung durchweg.
Eine andere BER-Frau wird später erleichtert sagen: „Dieses Wochenende ist auch ein bisschen Traumabewältigung für uns.“ Im Hintergrund düdelt eine Durchsage: „Der Fahrer des Wagens „B-Estehzwchtfüneun“ möge sich umgehend zu seinem Auto begeben, spricht die Automatenstimme. Da müssen die Techniker wohl noch mal ran.
Und nicht nur die: Ein junges Paar, das gerade gelandet ist, lobt das Tempo von Ausstieg und Gepäckausgabe, aber weiß nun nicht recht, wo es weitergeht. Der Busfahrer eines X7ers Richtung Rudow, der vor dem Terminal kurz Pause macht, berichtet, dass er dauernd nach dem Weg zur S-Bahn oder zum Regio gefragt werde, weil Leute den eigentlich direkt unter ihnen befindlichen Bahnhof nicht finden.
Prompt hetzt ein Mann in Monteurskluft vorbei und fragt leicht genervt nach dem Shuttle Richtung ZKL, was immer das sein mag. Da muss der Busfahrer passen, und der Monteur knurrt, der Flughafen sollte lieber mal Auskunftspersonal auch draußen vors Terminal stellen, statt drinnen Süßkram zu verschenken.
[Endlich fertig! Aus der Dauerbaustelle BER wird ein internationaler Flughafen. Doch viele Probleme bleiben. Lesen Sie alle Beiträge zum neuen Hauptstadtflughafen auf unserer Themenseite.]
Der Kundenbetreuer der S-Bahn, der unten auf dem Bahnsteig hilft, hat eine Erklärung für die regelmäßige Verwirrung, die auch er hier erlebe: Die Schilder sind zu klein. Außerdem rotbraun und schwarz; man müsse ziemlich nahe rangehen. Das sei ein typisch deutsches Phänomen, sagt der Mann, französischer Muttersprachler: In französischen Büchern sei die Schrift meist deutlich größer als in deutschen. „Aber warum? Man muss doch auch an die Leute denken, die nicht so gut gucken können.“ Wenn man unter diesem Gesichtspunkt noch einmal über den Willy-Brandt-Platz wandert, stellt man fest, wie recht der Servicemann hat.
Der Taxibranche nützt diese Unzulänglichkeit offenbar nichts: Gerade mal ein Dutzend stehen in der Schlange, kein einziges davon aus Berlin, und Kunden sind nicht in Sicht – maximaler Kontrast zum seligen TXL. Der Weg zum Taxistand am BER ist kurz, aber immer noch weiter als der auf den Bahnsteig. Es sei denn, man verläuft sich unterwegs und kommt auf diese Weise in Ebene null am etwas ab vom Schuss gelegenen Marché-Restaurant vorbei, das nach einem Tag seinen Gästebereich wieder schließt: „Ab Montag gibt’s nur noch Take-Away“, sagt eine Mitarbeiterin, die an diesem Sonntag zum ersten und wohl vorerst letzten Mal gut zu tun hat.
Vor ihrem Tresen laufen Menschen in gebückter Haltung vorbei. Sie haben die in die Bodenfliesen eingelassenen Münzen aus aller Welt bemerkt, über die die meisten achtlos hinweglaufen. „Kein Wunder, dass dit Ding so teuer jeworden ist!“, ruft ein Vater seiner Familie zu. Großes Hallo bei der Sippe. Aber ansonsten wirkt der BER an seinem ersten Betriebstag nicht mehr wie eine Lachnummer. Sondern wie ein moderner Tiefbahnhof mit einem überdimensionierten Flughafen obendrauf.