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Ob Kreuzberg, Prenzlauer Berg oder Neukölln: Immer wieder kocht in Berlin die Gentrifizierungsdebatte hoch. Doch auch in Rio de Janeiro stellt unser Autor fest liegt einiges im Argen.
© dpa

Wem gehören die Städte?: Gringos, Betongold und Gentrifizierer - ob in Berlin oder Rio de Janeiro

In Berlin ärgerte ihn die Gentrifizierungsdebatte, in Rio de Janeiro machen sie ihn plötzlich für die steigenden Mieten verantwortlich. Unfug, sagt Auswanderer Philipp Lichterbeck. Nicht wir sind die Schuldigen, sondern die Märkte, die Lebensraum als Ware behandeln.

"Und daran seid ihr schuld, Gringos!" Ja, er meinte wirklich mich. Einige Umstehende blickten vorwurfsvoll in meine Richtung und nickten. Jetzt sollte ich also für die steigenden Mieten in Rio de Janeiro verantwortlich sein. Ich, vor sieben Monaten aus Berlin ausgewandert, wurde im Handumdrehen zur Ursache eines der drängendsten Probleme der Stadt erklärt. Vom vermeintlich Gentrifizierten hatte ich mich in einen vermeintlichen Gentrifizierer verwandelt.

Dabei fand ich die Debatte schon in Berlin kleinkariert und schief. Schließlich herrscht die Logik des Marktes. Das Recht auf Profit und Privateigentum wird über alle anderen Interessen gestellt und per Staatsgewalt durchgesetzt. Da ist es doch ziemlich absurd, irgendwelche Schwaben auf der Suche nach Heimeligkeit oder spanische Jugendliche auf der Suche nach Perspektiven für etwas verantwortlich zu machen, dessen Symptom sie zwar sind – aber sicher nicht die Ursache! Letztlich war es das nach der Finanzkrise vagabundierende Kapital, das in einem grauen Stadtteil namens Neukölln eine extrem lukrative Anlagemöglichkeit entdeckt hatte. Wo sonst waren solche Renditen zu erzielen? Berlin war und ist open for business wie der Irak nach der US-Invasion.

Gentrifizierungsdebatte: Der Kampf um die Stadt findet nicht nur in Berlin statt

Nun aber musste ich mich 10 000 Kilometer entfernt mit dem Thema beschäftigen. Und mir wurde klar, dass der Mensch erstens ein Bedürfnis nach Sündenböcken zu haben scheint, und dass zweitens der Kampf um die Stadt nicht nur in Berlin ausgetragen wird (auch wenn man sich dort gerne für den Nabel der Welt hält). Es ist ein globales Phänomen ist, das man genauso in Schanghai, Mumbai, Luanda und Rio beobachten kann. Wem gehört die Stadt des 21. Jahrhunderts? Allen ihren Bewohnern? Oder den wenigen, die sie sich noch leisten können? Den Unternehmen, die den öffentlichen Raum usurpieren und nach ihren Vorstellungen formen?

Das Gespräch hatte vor einer Bar in Rios Bohemeviertel Santa Teresa begonnen. Er hieß Diego, war Mitte 30, Informatiker und selbst erst vor zehn Jahren aus Buenos Aires eingewandert. Dennoch betrachtete er sich bereits als Alteingesessener. Über die Massenproteste der vergangenen Wochen waren wir auf die Fußball-WM zu sprechen gekommen – deren Finale genau heute in einem Jahr in Rio de Janeiro ausgetragen wird – und damit auch auf die exorbitant steigenden Immobilienpreise der Stadt. Für eine 100-Quadratmeter-Wohnung zahlt man hier im Schnitt umgerechnet 1350 Euro Miete – ein Mehr von 65 Prozent seit 2008. Der Quadratmeterpreis beim Kauf einer Wohnung ist sogar um 135 Prozent gestiegen und liegt jetzt bei 3200 Euro (in Berlin: 2500 Euro). Der Vergleich mit 2008 ist nicht zufällig. 2007 wurde Brasilien zum Austragungsland der Fußball-WM erkoren, 2009 bekam Rio den Zuschlag für die Olympischen Spiele.

700 Euro beträgt der Durchschnittslohn in Rio, er steigt vier Mal langsamer als der Quadratmeterpreis

Damit begann ein gewaltiger Stadtumbau: neue Schnellstraßen, Seilbahnen, Trambahnen und Sportstätten sowie die kommerzielle Erschließung des alten Hafenviertels inklusive Trump-Towers, Boutiquen und Lounges. Es wird geklotzt, und wer nicht weicht, wird vertrieben. So wie die Bewohner von Favelas, deren Häuser im Weg stehen. Oder die Einwohner der aufgewerteten Viertel, die sich die Preise nicht mehr leisten können.

700 Euro beträgt der Durchschnittslohn in Rio, er steigt vier Mal langsamer als der Quadratmeterpreis. So wird eine Stadt Ware und Sponsorenumfeld. Komfortzone für die neuen Eliten. Ihr solltet in Berlin wirklich hoffen, dass der Olympische Kelch noch oft an euch vorübergeht!

Immer mehr Ausländer kommen nach Rio, um ihr Glück zu versuchen. So wie ich. Mein Viertel Santa Teresa liegt auf einem grünen Hügel, es ist alternativ und mondän. Eine Art Kreuzberg in subtropischem Grunewald. Deswegen haben sich auch hier die Preise und Mieten vervielfacht. Aber nicht ich habe sie angehoben, sondern vielmehr ein System, in dem die Stadt nicht mehr als kollektiver Gestaltungsraum gilt, sondern nur noch als Anlagemöglichkeit. Als Betongold. Dagegen sollte sich der Kampf richten – und nicht gegen vermeintliche Gentrifizierer, ob Gringos oder nicht. Ob in Rio oder in Berlin. Der Kampf um die Stadt ist ein globales Problem, das man genauso in Schanghai und Rio beobachten kann.

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