Saubere Sache in Kreuzberg: "Graffiti ist keine Schmiererei"
Graffitis entfernen? Das kommt für Carlson Janke nicht in Frage. Als Mitarbeiter des Graffiti-Archivs in Kreuzberg engagiert er sich für einen bunten Bezirk.
Eine Botschaft ragt in den Himmel über dem Schlesischen Tor. „Bonjour Tristesse“, hallo Traurigkeit – diese Worte schrieb ein Unbekannter vor genau dreißig Jahren auf den grauen Giebel der Schlesischen Straße 7 in Kreuzberg. Seitdem prägen sie den Kiez, sie wurden unzählige Male fotografiert. Jeder, der die Straßenecke passiert, muss sich mit ihnen auseinander setzen, ob Investorin oder Obdachloser. Damit ist der Schriftzug für Carlson Janke ein Paradebeispiel für das, was Graffiti leistet: "Graffiti ist keine Schmiererei, sondern Kommunikation", erklärt er, während er mit einem Spatel einen Aufkleber von der bunt besprühten Garageneinfahrt gegenüber kratzt. Janke, 30 Jahre alt, ist Mitarbeiter beim Graffiti Archiv Berlin. Seit 2009 dokumentieren er und seine Kollegen Medien-Debatten über das Thema, leiten Workshops an Schulen und führen Schulklassen aus der westdeutschen Provinz durchs bunt bemalte Kreuzberg, wo sie sich oft erst einmal geschockt die Augen reiben.
Die Mitarbeiter des Grafitti-Archivs sind dann Mittler zwischen den Welten. Sie animieren nicht zum Sprayen, aber sie erklären es und fördern den Diskurs. Bei den Schulklassen, aber auch bei Berliner Jugendlichen - zum Beispiel mit ihrer Aktion am 13. September: Gemeinsam mit Interessierten werden sie einen Tag lang die Grafittis rund um das Schlesische Tor restaurieren. Für Janke gehört die Streetart zu Berlin und muss erhalten und gepflegt werden, sagt er und knüllt den gerade abgekratzten Aufkleber von einer Malerei zu einem kleinen Ball zusammen. Beim Grafitti-Archiv verfolgen sie einen ganz anderen Ansatz. Mit Schwämmen werden sie Dreck von bunten Wänden schrubben, sie werden Moos und Grünzeug rupfen und Plakatreste abkratzen, damit Kreuzbergs Wandkunstwerke wieder leuchten. Dabei wird Janke erzählen, was all die Zacken und Zeichen bedeuten. Denn nicht alle Spielarten der Straßenkunst sind schließlich so eingängig und leicht interpretierbar wie "Bonjour Tristesse". Aber auch verschlüsselte Botschaften könne man lesen lernen: Wer hinterlässt sie wo und mit wem? Wie interagieren sie mit dem Kiez? Wenn man sich damit beschäftige, sagt Janke, gehe man plötzlich mit anderen Augen durch die Stadt. "Dann erzählen die Wände plötzlich lauter Geschichten von dem Wunsch, sich die Stadt wieder anzueignen, entgegen der Interessen von Hausbesitzern und Werbetreibenden."
Auch "Bonjour Tristesse" hat neuerdings eine Ergänzung bekommen: "Bitte lebn" steht seit zwei Jahren neben dem alten Slogan, mit Anarchie-Zeichen, in dicken roten Buchstaben. Janke wird den Jugendlichen bei der Aktion auch diesen neuen Spruch zeigen und erklären. "Die Wände sprechen, wenn man drauf achtet. Es gibt viel zu entdecken."
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