Berlin: Gottes Helferinnen
Vor 175 Jahren wurde die Elisabeth Klinik gegründet. Das zweitälteste Krankenhaus der Stadt wurde lange von Diakonissen geführt.
Wie hat sich die Stadt verändert! Wenn Magdalene Riedel aus dem siebten Stock des Hauses blickt, in dem sie lebt – ein Mitarbeiterhaus auf dem Gelände der Evangelischen Elisabeth Klinik –, dann sieht sie direkt auf die Neue Nationalgalerie und den Potsdamer Platz. Als sie anfing, in der Klinik als Diakonisse zu arbeiten „lag Berlin in Trümmern“, erzählt die 89-Jährige. Wegen des Krieges hatte sie aus ihrer oberschlesischen Heimat Liegnitz fliehen müssen. Ihren sicheren Hafen fand sie in der Elisabeth Klinik, die damals noch Elisabeth-Krankenhaus hieß. Magdalene Riedel war 22, als sie „Schwester Magdalene“ wurde. Wie Brigitte von Below. Die heute 80-Jährige war 1945 mit ihren Eltern und sieben Pferden von Ostpreußen nach Herford in Westfalen geflohen, wo sie zur Schule ging und eine Diakonisse aus dem Elisabeth-Krankenhaus kennenlernte. „Die Schwester hatte eine enorm glaubhafte Ausstrahlung, das hat mich überzeugt“, sagt sie. 1953 begann auch sie als Diakonisse im Elisabeth-Krankenhaus.
Jetzt sitzen beide, Schwester Magdalene und Schwester Brigitte, im Mitarbeiterhaus und erzählen ihre Lebensgeschichte. Zwei Diakonissen mit weißen Häubchen, zwei von Hunderten, die mit ihrer Arbeit dieses Haus geprägt und dabei ein gutes Stück seiner Geschichte miterlebt haben. Am kommenden Freitag feiert die Elisabeth Klinik ihren 175. Geburtstag. Damit ist sie das zweitälteste Krankenhaus Berlins nach der Charité. Die wurde 1710 gegründet, und danach gab es erstmal lange nichts. „Im 18. Jahrhundert war die Charité das einzige Berliner Krankenhaus mit ausgebildeten Pflegerinnen und Ärzten verschiedener Fachrichtungen, mit Krankensälen und Behandlungsräumen“, sagt der Historiker Clemens Tangerding, der ein Buch zum Jubiläum der Elisabeth Klinik geschrieben hat. „Daneben existierten zwar Fürsorgevereine und Hilfseinrichtungen für Waisenkinder oder arme Dienstmädchen. Ihr Hauptaugenmerk lag aber eher darauf, Menschen vor Armut zu bewahren.“
Einer dieser Fürsorgevereine, der 1833 von Johannes Evangelista Gossner gegründete Frauen-Krankenverein, unternahm 1837 dann den Schritt zum richtigen Krankenhaus und wählte dazu einen Bauplatz vor dem Potsdamer Tor am Landwehrkanal, wo die Klinik noch heute liegt. 1858 wurde das Mutterhaus eingerichtet, in dem die Diakonissen lebten, die die Klinik über 100 Jahre getragen haben. Sie waren für Verwaltung, Pflege und Hauswirtschaft zuständig. Ganz ähnlich wie das 1847 eröffnete und 1970 geschlossene Bethanien-Krankenhaus in Kreuzberg .
Schwester Magdalene fing in der Waschküche an. „Es gab nicht genügend Trachten für alle, also wurde gesammelt, ich bekam eine Tracht aus drei Kleidern.“ Zwei Drittel der Bausubstanz des Krankenhauses hatte der Krieg zerstört, darunter auch die Kirche, eine Steinbaracke diente als Ersatz. Schwester Brigitte kam in die Chirurgie, danach in die Krankenpflege. Das Aussenden von Diakonissen gehört zu den Gründungsgedanken der Diakonie, und so war sie ab 1957 zehn Jahre lang für die Apostel-Paulus-Gemeinde in Schöneberg tätig, besuchte Kranke zu Hause, bezog ihre Betten, wusch ihre Kleider. Viele waren vom Krieg gezeichnet, Schwester Brigitte konnte ihnen eine Stütze sein. Genau wie später für „die Langhaarigen“, wie sie ihre Patienten aus den späten Sechzigern nennt. Die Nähe zum Bahnhof Zoo, zur Kneipen- und Prostituiertenszene in der Potsdamer Straße und zur Disco „Sound“ in der Kurfürstenstraße, heute ein Pflegeheim, machte die Klinik zur Anlaufstelle für Drogenabhängige und Alkoholiker. Schwester Brigitte pflegte sie und nahm einige mit in den Gottesdienst, „um sie auf den rechten Weg zu führen“. Bei einigen soll es sogar geklappt haben.
Für Historiker Tangerding ist spannend zu sehen, wie Großereignisse der deutschen Geschichte immer wieder in die Klinik hineingetragen wurden – durch ihre zentrale Lage. Die Revolutionäre vom März 1848 kamen zur Behandlung, auch die Verletzten der Kämpfe zwischen Nazis und Kommunisten in den Dreißigern, die Flüchtlinge von 1945, später Hausbesetzer, Demonstranten gegen Reagan, die Bauarbeiter vom Potsdamer Platz: „Geschichte produziert eine Menge Verletzungen, und einige davon wurden hier behandelt“, sagt Tangerding.
Das Prinzip eines von Diakonissen geführten Krankenhauses war jedoch bereits Ende der sechziger Jahre nicht mehr aufrechtzuerhalten. Es fehlte Nachwuchs, die „Feierabendschwestern“ wurden immer zahlreicher, die Diakonissen konnten aus eigenen Mitteln die Altersversorgung der vielen Schwestern im Ruhestand nicht mehr bezahlen. 1969 übernahm der „Verein zur Errichtung evangelischer Krankenhäuser“ das Haus. Seit 2009 nennt er sich „Paul Gerhardt Diakonie“ und ist Träger von fünf Berliner Krankenhäusern: von Martin-Luther- und Hubertus-Krankenhaus, dem evangelischen Waldkrankenhaus Spandau, der Elisabeth Klinik und der Lungenklinik Buch.
Für die Schwestern der Elisabeth Klinik bedeutete die Übernahme, dass von nun an die evangelische Kirche in Berlin und Brandenburg für ihre Sicherheit im Alter aufkam. „Für uns ist gut gesorgt“, sagen sie. Das Diakonissenhaus wurde 2007 offiziell aufgelöst. Heute ist die Elisabeth Klinik ein modernder Standort; zu den Schwerpunkten gehört die Laserchirurgie, mit der Tumorleiden und Gefäßmissbildungen behandelt werden können. Und die Klinik verändert weiter ihr Gesicht: Gerade wurde das alte Seniorenstift an der Lützowstraße abgerissen, dort soll ein neues Pflegeheim errichtet werden.
Für Schwester Magdalene und Schwester Brigitte war und ist die Elisabeth Klinik vor allem eines: ihr Platz. Schwester Brigitte zitiert gern den 2. Korintherbrief des Paulus: „Alle Krisen, Unfälle, Katastrophen und Krankheiten sind Reden Gottes, auf dass Menschen sich finden und versöhnen.“ Man kann das glauben oder nicht. Für die Patienten der Elisabeth Klinik jedenfalls war der innige Glaube der Diakonissen lange ein Segen.
Festakt zum 175. Jubiläum der Evangelischen Elisabeth Klinik am 24.8. um 14 Uhr, Lützowstraße 24-26. Das Buch „175 Jahre Evangelische Elisabeth Klinik“ von Clemens Tangerding wird an diesem Tag vorgestellt (mehr unter www.pgdiakonie.de)
Udo Badelt
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