Insektizid gegen Kiefernschädlinge: Gift-Hubschrauber, vor denen die Bewohner Angst haben
Ab Montag sollen in Brandenburgs Wäldern Schädlinge aus der Luft bekämpft werden. Ansonsten stirbt der Wald, sagen Förster. Umweltschützer sehen das anders.
Beelitz - Der Mann im weißen Schutzanzug mit der martialisch anmutenden Gasmaske streckt ein Schild in die Kamera: „Kein Gift in Brandenburgs Wäldern!“ steht darauf. Auf Internetseiten der Naturschutzorganisation BUND, der Aktion Tempelwald oder der Bürgerinitiative Naturwald ist die Rede vom „unfassbaren Gifteinsatz Brandenburger Behörden ausgerechnet zur Brutzeit“, von sterbenden Insekten und verschwindenden Vögeln, von dreimonatiger Totenstille im Wald und unkalkulierbarer Dioxingefahr.“
Karl Tempel, Besitzer von 80 Hektar Wald bei Beelitz, geht noch weiter: „Was der Landesforstbetrieb Brandenburg da machen will, ist eine einzige Katastrophe. So etwas können sich nur Idioten ausdenken. Die werden schon sehen, was sie davon haben, wenn die Bilder von den Hubschraubern, die ihr Gift über dem Wald versprühen, um die Welt gehen.“
Ab dem heutigen Montag könnte es diese Bilder tatsächlich geben. Wie berichtet sollen die Raupen des Nonnen-Schmetterlings, die sich in diesem Jahr explosionsartig vermehrt haben, im Auftrag des Landesforstbetriebes aus der Luft bekämpft werden. Die „Nonne“, wie die Raupe umgangssprachlich genannt wird, ist ein Kiefernschädling, der verheerende Schäden bis zum Absterben ganzer Wälder anrichten kann. Wirksamen Schutz dagegen verspricht nach Ansicht der Forstfachleute nur das Insektizid „Karate Forst flüssig“, das aber – so die Befürchtung vieler Menschen in den um das Waldgebiet liegenden Dörfern Fichtenwalde, Borkwalde und Borkheide im Landkreis Potsdam-Mittelmark –nicht nur auch andere Insekten tötet, sondern auch gesundheitliche Schäden für Menschen haben könnte.
Karl Tempel, der in den vergangenen Jahren einen Teil seiner Flächen von Kiefern- zu Mischwald umgebaut hat, ist sogar der Ansicht, dass der Forstbetrieb die Gefahr „aus Profilierungssucht absichtlich übertreibt“, wie er dem Tagesspiegel sagte: „Ich habe noch keine erhöhte Konzentration des Schädlings feststellen können, für mich ist das reine Panikmache.“
Ein Waldbesitzer aus dem Elbe-Elster-Kreis kann darüber nur den Kopf schütteln. „Bei uns waren im vergangenen Jahr innerhalb von wenigen Tagen alle Kiefern kahl gefressen und sind abgestorben“, erzählt er.
Hubertus Kraut, Direktor des Landesforstbetriebs Brandenburg, erklärt das Phänomen. „2017 und Anfang 2018 haben wir durch Stürme viele Bäume verloren“, sagt er: „Dann kam die monatelange Dürre, und die Bäume mussten alle ihre Kräfte aktivieren, um zu überleben. In solchen Situationen haben Schädlinge wie die Nonne ein leichtes Spiel.“
Niemand im Forstbetrieb sei glücklich darüber, Insektizide einzusetzen, sagt Kraut. Aber ein landesweites Monitoring habe schon Ende 2018 eine drastisch erhöhte Zahl an Schädlingen aufgezeigt. Man habe noch gehofft, dass ein niederschlagsreicher Winter die Situation verbessere, aber der sei bekanntlich nicht eingetreten. „In dem betreffenden Gebiet haben wir jetzt so viele Nonnen, dass sie den Wald nicht nur einmal, sondern mehrmals vernichten könnten.“
Unterstützung erhält der Forstbetrieb vom Waldbesitzerverband Brandenburg. Der fordert, dass die Wälder jetzt gerettet werden müssen, weil Tausenden Hektar Wald der Kahlfraß durch Schädlingsbefall drohe. „Wenn wir nicht handeln, stirbt der Wald, und unsere Kinder und Enkel stehen vor Kahlflächen“, sagt der Verbandsvorsitzende Thomas Weber. Der Einsatz von Pflanzenschutz im Wald sei immer eine „Ultima Ratio“, wenn keine anderen Mittel gegen den Kahlfraß helfen, betonte er. Von rund 1000 angeschriebenen Waldeigentümern hätten lediglich sechs Eigentümer Bedenken gegen den Einsatz der Insektizide.
Weber wendet sich direkt an die Anwohner der betroffenen Gemeinden und die Bürgerinitiative. Die Bedenken seien verständlich, es sei positiv, wenn sich Menschen Sorgen um das ökologische Gleichgewicht machen: „Jetzt aber geht es darum, die befallenen Waldflächen zu retten, damit sie auch in Zukunft Klimaschützer, Wasserspeicher, Erholungsort und Lebensraum für Tiere sein können.“ Da sich der Schädling nicht auf Nadelbäume beschränke, sondern sich auch von Jungpflanzen und Laubbäumen ernähre, sei darüber hinaus der Waldumbau gefährdet.
Die Kritiker des Insektizideinsatzes lassen sich davon nicht beirren. Sie hatten schon am Wochenende weit mehr als 50 000 Unterschriften auf der Internetplattform www.change.org gesammelt und die Brandenburger Politiker aufgefordert, Stellung zu beziehen.
Die verweisen bislang darauf, dass sie volles Vertrauen in den Landesforstbetrieb haben. „Ich bin eigentlich sogar froh darüber, dass es die Kritik gibt“, sagt dessen Direktor, Hubertus Kraut: „Es war ja nicht immer so, dass sich Menschen Gedanken um den Wald und die Natur machen.“ Seine Behörde habe nicht nur die Erlaubnis für den Einsatz, sondern auch grünes Licht von den Bundesbehörden. „Natürlich kann man darauf verzichten und es der Natur selbst überlassen, wieder ins Gleichgewicht zu kommen“, sagt er. Das würde aber mehr als 100 Jahre dauern und angesichts der Wichtigkeit des Ökosystems Wald auch für das Erreichen der Klimaziele sei der Insektizid-Einsatz für ihn das kleinere Übel. „Und wenn wir mangels Holz nur noch Kunststoff verwenden, wird die Welt auch nicht gesünder.“
Die gesundheitlichen Bedenken der Bürgerinitiative teilt er nicht. „Wir haben alle Einwohner und Gemeinden informiert, Versammlungen abgehalten, Schilder aufgestellt und die Sicherheitsabstände zu den bewohnten Gebieten noch einmal erhöht“, sagt er. Der Einsatz müsse aber jetzt und aus der Luft erfolgen. „Die Raupen sind geschlüpft, nach oben gekrochen und fressen die Wipfel der Kiefern kahl. Jetzt müssen wir sie erwischen, das Zeitfenster ist nur schmal.“
Deshalb werde der Einsatz im Landkreis Potsdam-Mittelmark auch wie geplant ab dem heutigen Montag stattfinden. Es sei denn, der Wind weht zu stark oder es regnet. Dann sei die Aktion nicht effektiv genug, sagt Kraut. Wenn das Gift über den Baumwipfeln versprüht ist, darf der Wald 48 Stunden lang nicht betreten werden. Waldfrüchte, Kräuter und Pilze sollte man drei Wochen lang nicht sammeln, sagt Hubertus Kraut.
Wenn man sich daran halte, sei der Einsatz von „Karate“ unbedenklich. Im Übrigen komme das Insektizid auch in der Landwirtschaft zum Einsatz – sogar bei der Produktion von Lebensmitteln wie etwa Kartoffeln. Die Kritiker der Aktion, zu denen auch der Nabu gehört, werden auch diese Argumente nicht überzeugen.